Zum Hauptinhalt springen

Das Gespenst der Sozialdemokratie

Von Walter Kühner (Bürgerjournalist)

Leserforum

Replik auf den Gastkommentar von Miriam Leitner vom 20.10.2015


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 9 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Das Tätigwerden von Menschen als freiwillige Flüchtlingshelfer einem Akt sozialdemokratischer Solidarität gleichzusetzen, ist eine Fehleinschätzung. Nachbarschaftshilfe, die von der ÖVP propagiert wird, ist ja auch gelebte Solidarität, aber diese Art von Solidarität ist das genaue Gegenmodell einer sozialdemokratischen Solidarität, die den Staat und die Gesellschaft solidarisch in die Pflicht nimmt und nicht die solidarische Hilfe dem Nachbarn aufbürdet, um Kosten zu sparen.

Die Flüchtlingskrise ist aufgrund ihrer Dimension eine Ausnahmesituation, wo der Staat objektiv überfordert ist und es Freiwilliger bedarf. Aber die Helfer deswegen alle als "de facto sozialdemokratische Bewegung" einzustufen und ideologisch der SPÖ zuzuordnen, ist naiv.

Das zeigt die ganze Tragik der Sozialdemokratie und deren Orientierungslosigkeit auf.

Ein Gespenst geht um in Europa: das Gespenst der Sozialdemokratie. Sie leidet an Blutarmut, Rückgratlosigkeit und Antriebsschwäche - vorbei die Zeiten einstiger Blüte, reduziert auf ein geisterhaftes, nicht fassbares Gespenst. Ihre Gesichtsfarbe ist nur noch fahlrot, denn sie leidet an gefährlicher Blässe und droht gänzlich zu verblassen. Ihre Angehörigen täuschen nur vor, dass sie quicklebendig ist. Sie ist jedoch nur mehr Hülle. Außen steht in großen roten Lettern: Sozialdemokratie; aber programmatischer Inhalt ist keiner zu erkennen.

Das Hauptproblem aller sozialdemokratischen Parteien ist, dass sie kein sozialdemokratisches Gesellschaftsmodell mehr haben und sich der Logik der Finanzmärkte unterwerfen. Brosamen für die systembedingten Verlierer, damit sie nicht verhungern: das ist der letzte solidarische Akt - aber keine Steuererhöhungen und kein Bonusstopp für jene, die Millionen verdienen. Prekäre Arbeitsverhältnisse sind zumutbar, aber die Deckelung der Megagehälter von Managern ist unzumutbar. Das ist die Logik des liberalen Rechtsstaates: Freiheit - aber ohne Gleichheit und Brüderlichkeit.

Man braucht sich ja nur umzusehen in Europa. In Deutschland wurden unter Gerhard Schröder mit den Minijobs (bis zu 450 EUR) prekäre Arbeitsverhältnisse ermöglicht und legitimiert, wofür die Firmen auch noch subventioniert werden.

In Großbritannien ist die Labour Party unter Tony Blair in die Fußstapfen des neoliberalen Idols Margaret Thatcher getreten. Vom britischen Sozialstaat, einst einer der großzügigsten Europas, ist nach Tony Blair praktisch nichts mehr übrig geblieben. Wichtig war Blair das Finanzzentrum London und nicht die darbenden ehemaligen Industriestädte und deren arbeitslose Bewohner.

Und Österreich? Hierzulande sieht es (noch) nicht ganz so arg aus. Österreich hinkt der Entwicklung ja immer hinterher, die Sozialpartnerschaft wirkt noch nach. Aber prekäre Arbeitsverhältnisse gibt es auch hier immer mehr, nur werden sie nicht so sehr thematisiert. Die fatale Diagnose für die SPÖ ist die gleiche: Blässe und Schwindsucht beim Eintreten für sozialdemokratische Werte. Dafür findet der SPÖ-Bundeskanzler zu allem immer so schöne, salbungsvolle Worte: verbales Valium fürs Volk.

Jedoch ist in Österreich weit und breit kein Jeremy Corbyn zu sehen, um der Partei neuen alten Impetus zu verleihen. Corbyn hat 500mal im Parlament gegen die Parteilinie gestimmt. Das ist in Österreich undenkbar. Der einzige bekannte Parteirebell, Josef Cap, der - es ist immerhin vier Jahrzehnte her (!) - die Partei offen kritisierte, ist nach seinem großen Auftritt ein angepasster, strammer Parteisoldat geworden.

Und Alfred Gusenbauer, ehemaliger Vorsitzender der Sozialistischen Jugend? In seiner Zeit als Bundeskanzler tat er Wortmeldungen aus der Partei als "Gesudere" ab, danach beriet er für ein fettes Honorar die Hypo-Alpe-Adria-Bank, und er sitzt in diversen Aufsichtsräten des Konzerns eines österreichischen Magnaten, der zudem Gründer einer neoliberalen Partei ist.

Die SPÖ ist nicht reformierbar, die Machtverflechtungen sind einfach zu groß und die Beharrungskräfte zu stark. Einzige Chance für die Wiederbelebung der sozialdemokratischen Idee wäre die Gründung einer neuen Partei mit echtem sozialdemokratischen Anspruch als Konkurrenz zur SPÖ. Aber woher sollen die Gründungsmitglieder kommen? Ideal wären bekannte, kritische Personen aus der SPÖ. Aber die gibt es nicht. Und auch sonst sind weit und breit keine ernstzunehmenden Linken auszumachen, denen so etwas zuzutrauen wäre.