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Das Gewitter im Gehirn

Von Alexandra Grass

Wissen
Die richtigen Gehirnregionen aufzuspüren, bedarf genauester Untersuchungsmethoden.
© AIT

Neue Technologie verbessert Diagnose und Therapie bei Epilepsie.


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Wien. Eine neue Technologie könnte die Diagnose und Therapie für Menschen mit Epilepsie (Krampfleiden) maßgeblich verbessern. In Zusammenarbeit mit dem Epileptologen Christoph Baumgartner vom Neurologischen Krankenhaus Rosenhügel testet das Austrian Institute of Technology (AIT) in einer klinischen Studie eine neue Möglichkeit, um epileptische Anfälle automatisch erkennen zu können.

Die Epilepsie ist die häufigste neurologische Erkrankung. Jeder zehnte Mensch erleidet einmal in seinem Leben einen Krampfanfall. In Österreich sind rund 80.000 Patienten von wiederkehrenden, nicht vorhersagbaren Anfällen betroffen. Für eine Diagnose ist die Aufzeichnung von Gehirnsignalen mittels EEG (Elektroenzephalographie) notwendig. Oft über einen längeren Zeitraum hinweg. Gerade Patienten, die nicht auf eine medikamentöse Therapie mit Antiepileptika ansprechen - das sind etwa 30 Prozent der Betroffenen -, bleibt meist nur die Chance einer Operation.

Hirnareal identifizieren

Vor einem solchen Eingriff muss jedoch das genau Hirnareal identifiziert werden, das für die Erkrankung verantwortlich ist. Die manuelle Auswertung der aufgezeichneten Gehirnströme ist in höchstem Maße zeitaufwendig und auch fehleranfällig.

Der vom AIT entwickelte "EpiScan" kann epileptische Anfälle bereits zum Zeitpunkt des Auftretens erkennen und entsprechend alarmieren. Für das medizinische Personal ist damit ein sofortiges und zielgerichtetes Eingreifen möglich.

Untersuchungsmöglichkeiten sind ein Oberflächen-EEG mit rund 30 Elektroden, die am Kopf angelegt werden, die invasive Anbringung von Elektroden - Streifen, die direkt unter der Schädeldecke auf das Gehirn gelegt werden -, oder die Einbringung von Tiefenelektroden in das Gehirn.

Damit kann im Krankenhaus genauestens untersucht werden, wann Anfälle auftreten und von welcher Region sie ausgehen. Bei bis zu 6000 Patienten wäre laut Baumgartner ein chirurgischer Eingriff angebracht, um die betroffene Hirnregion zu entfernen. Die Erfolgsrate, dass die Anfälle nicht mehr auftreten, liegt bei 60 bis 70 Prozent. Eine Operation wird allerdings nur dann in Betracht gezogen, wenn die Betroffenen nicht auf Medikamente ansprechen.

Auch bei Kindern wird oft eine Operation in Erwägung gezogen. Bisher war aber nicht bekannt, wann der günstigste Zeitpunkt für ein Absetzen der Arznei nach einem solchen Eingriff ist, um nicht eine erhöhte Gefahr für weitere Krampfanfälle zu riskieren.

Erste Absetzversuche

Jetzt hat ein internationales Forscherteam mit Beteiligung der Medizinischen Universität Wien herausgefunden, dass ein Absetzen bereits unmittelbar nach der Operation erfolgsversprechend ist. An den meisten Zentren war bisher mindestens zwei Jahre gewartet worden, bis ein entsprechender Versuch überhaupt diskutiert wurde.

Das bedeutet eine enorme Verbesserung der Lebensqualität der betroffenen Kinder, betonen die Wissenschafter im Fachmagazin "Lancet Neurology". Epilepsiechirurgische Eingriffe werden bereits bei Kleinkindern im Alter von nur wenigen Monaten durchgeführt. Je jünger die kleinen Patienten sind, desto wichtiger sind diese Erkenntnisse der Forschergruppe.

Die vom AIT entwickelte Technologie könnte in Zukunft auch im Alltag von Epilepsiepatienten von großer Bedeutung sein. Mit Hilfe des Systems könnten die Betroffenen eventuell unmittelbar vor einem auftretenden Anfall gewarnt werden, um sich zum Beispiel noch rechtzeitig hinlegen zu können, um Stürzen vorzubeugen. Auch wäre es möglich, durch entsprechend implantierte Teile im Gehirn elektrische Impulse auszulösen, um einen Anfall überhaupt vermeiden zu können. Doch das ist alles noch Zukunftsmusik.