Selbstbehalte: Es ist alles offen. | Zumindest in Niederösterreich keine Spitalsschließungen. | "Wiener Zeitung": Wann hat Sie denn der Ruf von Wolfgang Schüssel mit dem Angebot, Gesundheitsministerin zu werden, erreicht?
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Andrea Kdolsky: Es war nicht Schüssel sondern Wilhelm Molterer, der mich am Dienstag Früh um 8 Uhr angerufen und gefragt hat, ob ich - sofern der ÖVP-Vorstand zustimmt - bereit wäre, dieses Amt zu übernehmen. Ich habe mich darüber sehr gefreut und zugesagt.
Ohne Zögern?
Ja, ohne jede Bedenkzeit.
Sie selbst sind Ärztin und waren, bevor Sie das Management der Spitalsholding in Niederösterreich übernahmen, auch Gewerkschaftsfunktionärin. Wird Sie das nicht behindern, wenn es darum geht, die Interessen der Beitragszahler gegen diese mächtigen Lobbies durchzusetzen?
Ich würde das nur ungern gegen die Ärzte und Gewerkschaft umsetzen, sondern mit diesen gemeinsam. Ich persönlich habe auch als Gewerkschafterin nie an Extrempositionen festgehalten. Es geht darum, im Konsens mit allen, neue Modelle zu entwickeln. In meinem bisherigen Job in der Spitalsholding ist es mir gelungen, hervorragende Lösungen zu finden. Es kann auch ein Vorteil sein, wenn man alle beteiligten Strukturen aus eigener Erfahrung kennt. Das Wesentliche ist richtige Kommunikation und die notwendige Flexibilität. Im Gesundheitswesen dreht sich alles nur um eines - den Patienten. Um diesen müssen sich alle scharren.
Wenn man sich die Diskussion anschaut, könnte man den Eindruck gewinnen, nicht um den Patienten, sondern um das Geld dreht sich alles. Die Finanzierung kracht an allen Ecken und Enden. Die Regierung hat sich vorerst auf eine Erhöhung der Sozialversicherungsbeiträge um 0,15 Prozent geeinigt. Wie viel mehr Geld wird dadurch in die Kassen fließen und wie groß ist der darüber hinaus gehende Finanzierungsbedarf?
Ich bitte um Verständnis, dass ich an meinem ersten Tag im Amt noch keine Aussagen dazu machen kann. Ich muss mich zuerst in die Details einarbeiten. Alles, was ich jetzt sagen würde, wären lediglich Schätzungen, ich will mich aber auf klare Fakten stützen. Deshalb bitte ich um etwas Geduld.
Niederösterreichs Landeshauptmann Erwin Pröll, Ihr letzter Chef, ist überzeugt, dass im Gesundheitswesen noch enormes Einsparungspotenzial besteht. Wie groß ist das Ihrer Einschätzung nach?
Auch hier kann ich noch keine österreichweiten Zahlen nennen. In Niederösterreich haben wir aber gezeigt, dass es möglich ist, durch Synergien innerhalb der Spitalsstrukturen, maximaler Kostentransparenz und gut organisierter Verwaltungsebene erhebliche Einsparungen vorzunehmen. Beispiele dafür sind etwa ein zentraler Einkauf oder eine Zusammenführung einzelner Spitalsbereiche zu Exzellenzzentren. Die zentrale Botschaft lautet hier: Das Gießkannen-Prinzip ist vorbei! Und das hilft uns auch wesentlich, neue Qualitätsstrukturen festzulegen.
Werden auch Spitalsschließungen notwendig sein?
Nein, in Niederösterreich jedenfalls sind wir ohne diese Maßnahme ausgekommen.
Können Sie eine Erhöhung der Selbstbehalte in den kommenden vier Jahren ausschließen?
Auch hier werde ich mich zuerst mit Experten zusammensetzen und ein Gesamt-Finanzierungskonzept erarbeiten, das erst dann der Öffentlichkeit präsentiert wird, wenn es fertig ist.
Eine Erhöhung ist demnach also sehr wohl möglich?
Es ist alles offen.
Welche Herausforderungen kommen auf das Gesundheitssystem in den kommenden Jahren abseits der Finanzierung zu?
Die demographische Entwicklung wird hier im Mittelpunkt stehen, auch wird es neue Krankheiten geben. Das 19. war das Jahrhundert der Seuchen - bis das Penicillin erfunden wurde. Krebs prägte das 20. Jahrhundert, im 21. Jahrhundert werden neurologische Erkrankungen bestimmend sein. Die Zahl der Demenz-Patienten wird ansteigen.
Zu Ihren Aufgaben zählt auch die Familienpolitik. Was wird sich verändern?
Wir müssen darüber nachdenken, was Familie im 21. Jahrhundert bedeutet. Vor allem die Frauen brauchen hier die Chance, Beruf, Karriere und Kinder zu vereinbaren. Die Politik hat hier die Aufgabe, die notwendigen Rahmenbedingungen bereitzustellen.
Zur Person:
Fachärztin, christliche Gewerkschafterin, Spitalsmanagerin in Niederösterreich und nun Gesundheitsministerin der ÖVP: Andrea Kdolsky kann auf eine vielfältige Karriere zurückblicken. Begonnen hat die 43-jährige Wienerin, die als
resolute, zielstrebige, durchsetzungskräftige Frau mit dem Zug nach oben gilt, ihre Laufbahn als Fachärztin für Anästhesie am Wiener AKH, war dann Vorsitzende der Hochschullehrer-Gewerkschaft und wechselte schließlich an die Spitze der NÖ Landeskliniken-Holding.
Als Gewerkschafterin rief sie 2002 zum Warnstreik gegen die von der ÖVP forcierte Uni-Reform auf. Wenn sie künftig mit der GÖD zu tun hat, könnte sie dort auf ein bekanntes Gesicht treffen: Sie ist mit ihrem Nachfolger an der Spitze der Hochschullehrer-Gewerkschaft, dem Unfallmediziner Richard Kdolsky, verheiratet.
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