Es sind grausige Szenen, die sich am 29. April 1945 in Mailand abspielen: Ein Lastwagen bringt die Leichen von Benito Mussolini und seiner Geliebten Clara Petacci vom Comer See in die lombardische Metropole, wo sie auf der Piazzale Loreto abgeladen werden. Die aufgebrachte Menge macht sich über die leblosen Körper her, tritt wie wild auf sie ein, bevor sie kopfüber an einer Tankstelle aufgehängt werden.
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Erst kürzlich tauchte in Italien bisher unveröffentlichtes Filmmaterial auf, 16 historische Minuten, in denen ein Kameramann die schockierenden Geschehnisse festhielt. "Jeder stirbt, wie es seinem Charakter entspricht", hatte Mussolini auf dem Höhepunkt seiner Macht einmal gesagt.
Der Duce, der sein eigenes Volk verachtet haben soll, wurde am Ende selbst gehasst. "Die Gebrechen des italienischen Charakters sind Oberflächlichkeit, Leichtsinn und der Glaube, dass schon alles gut gehen wird", sagte Mussolini über seine Landsleute. Sie seien "ein Volk von Schafen". Jedoch war es der Diktator selbst, der sich bis zuletzt blind für die ausweglose militärische Lage Italiens zeigte.
Sein Aufstieg war rasant, ebenso wie sein Untergang. Am 29. Juli 1883 in kleinen Verhältnissen im norditalienischen Predappio geboren, wird der ausgebildete Lehrer, der zunächst als sozialistischer Journalist und Chef des Parteiorgans "Avanti" tätig war, 1921 ins Parlament gewählt. 1919 hatte er in Mailand die Bewegung "Fasci di Combattimento" gegründet. 1922 bildet er nach dem "Marsch auf Rom" im Auftrag des Königs Viktor Emanuel III. seine erste Regierung. Als die Faschisten 1924 bei den Wahlen 65 Prozent der Stimmen erhalten, beginnt 1925 die Ära des Diktators.
Bis 1943 hielt der Duce das Zepter trotz Misserfolgen und bitterer Niederlagen - wie in Äthiopien, Albanien, Griechenland und Nordafrika - fest in der Hand. Als der Krieg verloren ging, wurde er vom Führungsgremium seiner Partei, dem Faschistischen Großrat, entmachtet und festgenommen.
Zwar wurde er zunächst noch einmal von den Deutschen aus der Festung Gran Sasso in den Abruzzen befreit und als Führer des Marionettenregimes der "Italienischen Sozialrepublik" (Republik von Salo) eingesetzt. Aber sein Schicksal war besiegelt: Nach dem Scheitern der Verhandlungen mit den Partisanen floh er aus Italien. Mit einer Wehrmachtsuniform getarnt, versteckt er sich auf einem deutschen Lastwagen, der ihn über die Schweiz nach Deutschland bringen soll. Am Comer See wird er jedoch von Partisanen erkannt, gefangen genommen und einen Tag später, am 28. April 1945, ohne Gerichtsverfahren zusammen mit Clara Petacci erschossen.
Duce-Enkelin Alessandra Mussolini, die heute als Abgeordnete ihrer postfaschistischen Partei "Soziale Alternative" im Parlament sitzt, kritisierte: "Italien darf keinen geschichtlichen Fetischismus dulden. Mussolinis Hinrichtung bleibt ein Mord, ein Verbrechen, das keineswegs gerechtfertigt werden kann." Mussolinis Ende war schockierend, ganz und gar öffentlich und für die verzweifelten, aufgebrachten Italiener wie ein befreiender Racheakt. Dennoch: In Italien ist er noch allseits präsent. Mittlerweile bezeichnen viele Italiener den Duce als ein Opfer Hitlers, nicht als dessen Komplizen. Und der heutige italienische Außenminister Gianfranco Fini von der rechten Alleanza Nazionale rühmte ihn noch 1994 als "größten Staatsmann des Jahrhunderts", Worte die er so heute nicht mehr sagen würde. dpa