Der Vize-Gouverneur der ukrainischen Nationalbank, Vladyslav Raschkowan, über den Bankensektor.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 9 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Im ukrainischen Bankensektor bleibt momentan kaum ein Stein auf dem anderen. Mehr als 40 Banken wurde seit dem Machtwechsel im Vorjahr die Lizenz entzogen, sei es wegen intransparenter Eigentümerstrukturen, fehlender Kapitalisierung oder Geldwäsche. Die Institute kämpfen trotz Sparzinsen von 17 bis 25 Prozent aufgrund der Krise gegen massiven Kapitalabfluss und viele Kreditausfälle. Auch die ukrainische Nationalbank selbst will sich von Grund auf reformieren. Der Mitarbeiterstand von 11.000 wird halbiert, aus 25 Regionalbüros werden vier. Im bisher forderndsten Kampf der Zentralbank, den um die Landeswährung Griwen (gegenüber dem Euro verlor sie allein seit Jänner 30 Prozent an Wert), bescheinigen ihr Experten aufgrund von Liberalisierungsbestrebungen langfristig die richtige Tendenz. Für Maßnahmen auf dem Weg dorthin - etwa Beschränkungen von Devisenkäufen von Privatpersonen oder verpflichtender Verkauf von Devisenerlösen von Exporteuren - wurde sie in den vergangenen Wochen jedoch teils heftig kritisiert. Die "Wiener Zeitung" sprach mit dem Vize-Chef der Nationalbank, Vladyslav Raschkowan.
"Wiener Zeitung": Was können wir künftig von der ukrainischen Wirtschaft erwarten?Vladyslav Raschkowan: Aktuell beeinflusst vor allem der Krieg im Osten die Wirtschaft negativ. Dieser hat nicht nur einen nicht unwesentlichen Teil der Industrie physisch zerstört, sondern lässt auch den Donbass als sehr wichtigen Konsumenten von in der Ukraine produzierten Waren und Dienstleistungen ausfallen. Unsere Prognose ist, dass sich der Rückgang der Wirtschaftsleistung heuer und 2016 fortsetzen wird. Unsere letztgenannten Zahlen liegen bei einem BIP-Minus von 7,5 Prozent für 2015. Wir sehen aber weitere Risiken durch Probleme im Agrarsektor oder eine mögliche neue Eskalation im Osten.
Unsere Inflationsprognose liegt bei 30 Prozent für heuer. Dies aufgrund der Importe, die wegen des stark gesunkenen Griwens teurer werden, aber auch wegen der Anhebung der Tarife für Gas und Strom in mehreren Etappen. Insgesamt gibt es sehr umfangreiche Reformprogramme, die auf die Strukturen abzielen und sehr tiefgreifend sind. Wenn wir diese jetzt nicht durchführen, sieht unsere Zukunft nicht rosig aus. Ich bin aber überzeugt davon, dass wir sie alle abarbeiten. Schaffen wir das, können wir auch 2016 schon wieder mit Wachstum rechnen.
Ihr Optimismus in Ehren - über der Ukraine schwebt dennoch das Damoklesschwert in Gestalt eines Staatsbankrotts.
Moody’s hat kürzlich das Rating der Ukraine gesenkt (die Ukraine steht nur noch eine Note vor dem Zahlungsausfall, Anm.) und damit die Risiken der Umstrukturierung der Auslandsschulden miteinkalkuliert. Ich kann dazu sagen: Das Programm des Internationalen Währungsfonds (der IWF einigte sich mit der Ukraine im März auf ein Vierjahresprogramm in Höhe von 17,5 Milliarden Dollar, Anm.) hat die Möglichkeit kurzfristiger Zahlungsprobleme der Ukraine derart minimiert, dass es sich gar nicht mehr lohnt, darüber zu reden. Unsere Finanzministerin Natalie Jarekso war zudem kürzlich in den USA und Großbritannien, um mit Geldgebern über eine Restrukturierung der Auslandsschulden zu sprechen. Ich bin überzeugt davon, dass man hier zu einer Lösung kommt.
Auch mit dem Kreditgeber Russland?
Mir fällt es schwer, das zu kommentieren. Denn hier fließen auch andere Aspekte als rein finanzielle ein. Was aber die ukrainischen Inlandsschulden betrifft, besteht keine Gefahr eines inneren Bankrotts. Die meisten Schulden des Staates entfallen auf die Nationalbank und andere staatliche Banken.
Der IWF fordert die Reform des Bankensektors. Seit 2014 wurden 44 der fast 180 ukrainischen Banken aus dem Markt genommen. Wie kam es zu der großen Zahl?
Die Probleme des Bankensektors stammen nicht aus dem schwierigen Jahr 2014, sondern aus Perioden davor. Leider kam es etwa im Zuge der Krise 2008/09 zu keiner Bereinigung - im Gegenteil, es wurde Geld in den Sektor gepumpt, manche Banken wurden gerettet und man fuhr fort wie vorher. Es wurden keine Lehren aus der Krise gezogen. Ein großes Problem ist: Den meisten einheimischen Banken fehlt ein richtiges System von Corporate Governance (Unternehmensführung und -kontrolle, Anm.). Das beginnt bei der Frage, wer Eigentümer ist. Beim Großteil der ukrainischen Banken wussten wir de jure nicht, wer die Eigentümer sind.
Wenn man nicht weiß, wer Eigentümer ist, entsteht ein zweites Problem: Investoren brachten Kapital in die Bank ein und zogen es gleich darauf wieder ab, indem sie sich selbst Kredite auszahlen ließen. Auf diese Weise war ihr Anreiz, die Bank am Leben zu halten, gleich null. Und dabei erwähne ich noch nicht einmal, dass Geld, das als Kapital eingezahlt wurde, zum Teil nicht wirklich existierte. Ein Punkt des IWF-Programmes ist zudem Selbstoffenlegung im Bereich Insider-Lending (Kredite, die an Direktoren oder Angestellte der Bank vergeben werden, Anm.). Offiziell liegt Insider-Lending in der Ukraine bei 1,36 Prozent. De facto aber verstecken viele Banken hier Kredite, bei manchen sind es sogar 60 bis 70 Prozent ihrer Aktiva.
Erwarten Sie weitere Lizenzentzüge?
Wir werden weiterhin Banken die Lizenz entziehen, wenn die Eigentümer kein reales Kapital in ihren Banken haben, den Anteil des Insider-Lendings nicht verkleinern wollen, ihr Eigentum nicht offenlegen und nicht klar sagen, wer hinter der Bank steht und für sie verantwortlich ist - sondern fünf Zyprioten als Besitzer registriert sind.
Aber was ist mit den Problemen rund um die sehr hohen Volumina bei Fremdwährungskrediten?
Dass die Nationalbank diese Kreditvergabe nicht stoppte, war ein sehr großer Fehler. Heute sind mehr als 50 Prozent der Bankbilanzen in Fremdwährung denominiert. Die Abwertung des Griwen ist ein Problem für Kreditnehmer wie Banken selbst, denn durch sie erhöht sich der Bestand an notleidenden Krediten. Laut der Ratingagentur Fitch liegen die Non-Performing-Loans in der Ukraine bei 40 Prozent.
Im Vorjahr wurden 1,6 Milliarden Dollar an Krediten durch die Nationalbank vergeben, um ukrainische Banken zu stützen. Mit wie viel Bedarf rechnen Sie für heuer?
Die Liquiditätsbedürfnisse der Banken 2014 waren vor allem durch Geldabflüsse von Bankkonten begründet. Insgesamt wurden 130 Milliarden Griwen von Konten abgezogen - eine sehr große Summe. Die Nationalbank gab netto rund 35 Milliarden Griwen aus, das heißt, sie deckte nur einen Teil der abgezogenen Summen ab. Wir sehen aber seit der zweiten Jahreshälfte 2014, dass das Volumen dieser Hilfskredite rückläufig ist. Heuer wird alles davon abhängen, ob es gelingt, den Kapitalabfluss von den Banken zu stoppen. Wir rechnen damit, dass das gelingt. Zudem haben wir vor, den Großteil der Devisenbeschränkungen bei der Abhebung von Bankeinlagen in den nächsten zwei Quartalen aufzuheben. Das wird möglich, wenn der Krieg nicht eskaliert.
Wie sehr spielt in der Vergabe der Stabilitätskredite eine Rolle, wer Eigentümer der Bank ist? Die VAB Bank (des siebtreichsten Ukrainers, Oleg Bakhmatiuk) wurde entgegen allgemeiner Erwartungen nicht mit Staatsgeld gerettet. Die Privatbank des Oligarchen und bis vor kurzem Gouverneur von Dnipropetrovsk, Ihor Kolomojskij, erhielt Mittel.
Diese zwei Banken kann man nicht miteinander vergleichen. VAB ist etwa die zwanziggrößte des Landes, Privatbank ist die mit Abstand größte. Bei der VAB Bank gab es zwei große Probleme, einerseits ein sehr großer Anteil an related party lending ohne die Möglichkeit und Absicht des Eigentümers, diesen Anteil zu vermindern. Andererseits brauchte die Bank laut Stresstest Kapital, und das war keine kleine Summe. Der Eigentümer hat versucht, Geld aufzutreiben, schaffte es aber nicht. Wir haben sehr viel mit der Bank gesprochen, aber sie haben den Anforderungen nicht entsprochen.
Und Kolomojskij entsprach den Anforderungen?
Kolomojskij – also die Privatbank – ist vor allem die systemrelevanteste Bank der Ukraine, sie hat etwa einen Marktanteil bei den Bankeinlagen von 25 Prozent der natürlichen Personen. Darüber hinaus entspricht die Bank den Anforderungen für diese Kredite, es gibt einen Sanierungsplan, harte Garantien, ein Kurator ist eingesetzt.
Sind die Banken in der Ostukraine in Betrieb?
Nein, aktuell ist es den Banken verboten, in der Zone der "Anti-Terror-Operation" zu operieren. Aber natürlich müssen wir entsprechend den Minsk-Vereinbarungen darüber nachdenken, wie wir den Geldverkehr sicherstellen können, um die Auszahlung der Sozialleistungen für die Menschen, die dort wohnen, durchzuführen. Daran arbeiten wir gerade. Auf der anderen Seite müssen wir am Finanzmonitoring arbeiten, um Terrorismus zu verhindern, dass Gelder, die in diese Richtung geschickt werden, nicht für terroristische Aktivitäten (der Rebellen, Anm.) verwendet werden.
Die Familie des Ex-Präsidenten Wiktor Janukowitsch war auch im Bankensektor aktiv, Sohn Alexander etwa besaß die All-Ukrainian Bank of Development (WBR), die inzwischen liquidiert wurde. Was passiert mit den weiteren Assets?
Diese Banken haben keine
große Rolle gespielt, sie waren verhältnismäßig klein. Die WBR wurde vom Markt genommen unter anderem aus Gründen des
Finanzmonitorings. Was das Suchen von Aktiva und gerichtliche Angelegenheiten gegen die ehemalige Führung der Ukraine betrifft: Sofern diese für schuldig
erkannt wurden, liegt dies im Aufgabenfeld der Sicherheitsorgane.
In Wien wurde kürzlich die Agentur zur Modernisierung der Ukraine (AMU) gegründet, die mithilfe namhafter europäischer Politiker, darunter Ex-Vizekanzler Michael Spindelegger, einen Reformplan ausarbeiten soll. Der umstrittene ukrainische Oligarch Dmytro Firtasch soll dies finanzieren. Arbeiten Sie mit der AMU zusammen?
Leider - oder zum Glück - arbeiten wir nicht mit ihnen zusammen. Ehrlich gesagt sieht das alles ein wenig mehr nach übermäßiger PR-Aktivität aus als nach etwas Realem. Warum? Nehmen wir die Bank Nadra, die Herrn Firtasch gehörte. Auch hier haben wir uns mit den Aktionären über eine Stützung der Bank unterhalten. Sie hatte schon 2009 Schwierigkeiten, befand sich unter vorübergehender Administration, Herr Firtasch hat sie damals gerettet. Seit 2009 hat er sie aber nicht mehr rekapitalisiert, nicht umstrukturiert, sondern nur Liquidität zugeschossen, die dann in Form von Krediten an Firmen seiner Holding wieder abgezogen wurde. Da keine Kapitalisierung erfolgte, mussten wir sie vom Markt nehmen.
Können wir künftig eine vollständige Liberalisierung der ukrainischen Währung erwarten?
Der Übergang zu einem freien Wechselkurs ist ein Teil der Finanzsektorreform. Wir sind bereit, von Beschränkungen im Währungsbereich abzugehen. Es ist aber sehr schwer, von sehr strengen Beschränkungen, die es einfach historisch gibt, auf eine völlige Liberalisierung umzusteigen. Ich glaube, hier müssen wir noch eine gewisse Zeit lang warten.
Vladyslav Raschkowan ist seit November 2014 Vizegouverneur der ukrainischen Nationalbank. Davor war er unter anderem Finanzchef der Unicredit in der Ukraine.