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Das g’schnupfte Tor

Von Tamara Arthofer

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Tamara Arthofer
Tamara Arthofer ist Sport-Ressortleiterin.

Wie weit soll man als Sportler gehen? Bis es weh tut oder weiter? Der Grat ist schmal, keiner zeigte das besser als Bode Miller.


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Sportler- (und Sportjournalisten-)Jargon muss ja jetzt nicht immer der rhetorischen Weisheit letzter Schluss sein. Da werden Tore schon mal so en passant g’schnupft, was jetzt zwar nicht unbedingt mit nasaler Applikation zu tun hat, deswegen als Ausdruck aber nicht minder verharmlosend ist. Schließlich kann auch so ein g’schnupftes Tor schnell unliebsame Folgen für die Gesundheit haben. Siehe Bode Miller: Da fährt der Amerikaner nach einem Jahr Rennpause einen famosen Lauf, bis er im unteren Teil Kontakt mit der Torstange aufnimmt, Richtung, Kontrolle über die Skier und die Chance auf eine Medaille verliert. Mehr noch: Es kann gut sein, dass dieses eine g’schnupfte Tor eine der schillerndsten Karrieren im Skirennsport - nicht nur wegen seiner Erfolge, sondern wegen seiner Breitenwirksamkeit - nun für immer beendet hat. Mag sein, dass der ORF dieses historische Ausmaß des Moments erkannte und der Kommentator deswegen so unerbittlich auf seinen Co Hans Knauß einredete, doch bitte hinzuschauen, obwohl dieser, als Ex-Skifahrer mit etwas mehr Sensibilität ausgestattet, beinahe flehte, es bitte nicht tun zu müssen. Jedenfalls kamen einem in diesen Augenblicken unweigerlich Zeilen aus Reinhard Fendrichs Sportvoyeurismus-Hymne "Es lebe der Sport" in den Sinn. Doch immerhin: Bode Miller lag ja - zum Glück - nicht regungslos im Schnee, er wirbelte und rutschte vielmehr über ihn, die Kante vom Ski des einen Beins im Fleisch des anderen. Und nach den Endloswiederholungen im TV tauchte dann unweigerlich die Frage auf, ob man denn so direkt an ein Tor heranfahren dürfe. Natürlich: Als Otto-Normalskifahrer sollte man es vielleicht lieber unterlassen, vor allem mit rund 100 km/h. Als Profisportler, der schon etliche solche und ähnliche Situationen gemeistert hat, ist man es aber gewohnt, sich stets am Limit zu bewegen und dies nach Möglichkeit immer weiter auszureizen. Nicht zuletzt Bode Miller steht für diese Art des Skifahrens, "on the edge" sagt er in jedem zweiten Satz. Und es kann ja auch gut gehen: Hermann Maier hat anno 1999 bei seiner Fahrt zu Abfahrtsgold die Tore nicht g’schnupft, sondern gleich niedergemäht, dass jeder Traktor neidisch würde (die haben nämlich nicht so ein Tempo drauf). Und am Donnerstag hat auch Kjetil Jansrud ein Tor g’schnupft, abgesehen von ein paar blauen Flecken keinen gröberen Schaden genommen und fast noch eine Medaille gewonnen. Hannes Reichelt hatte im Abfahrtstraining eine ähnliche Erfahrung gemacht, mit Glück einen Sturz vermieden, aber vielleicht genau deswegen bis auf seinen kleinen Fehler im unteren Teil im Super G eine besonders präzise Fahrt hingelegt, die ihn schließlich zum Weltmeister machte. Man weiß es nicht. Fakt ist aber, dass diese unterschiedlichen Fälle als Lehrbeispiele dienen können, wie schmal der Grat ist, auf dem die Fahrer sich bewegen: Wo zwischen Sieg und Niederlage oft nur Hundertstelsekunden liegen, sind es manchmal nur Millimeter zwischen großem Triumph und mitunter schwerwiegenden Gesundheitsschäden. Natürlich kann man das spannend und mitreißend finden, natürlich macht das einen großen Teil der Faszination des Skisports aus. Doch noch mehr veranschaulicht es auch dessen Absurdität.