Zum Hauptinhalt springen

Das grüne Virus befällt die USA

Von Engelbert Washietl

Kommentare
Der Autor ist Vorsitzender der "Initiative Qualität im Journalismus"; zuvor Wirtschaftsblatt, Presse, und Salzburger Nachrichten.

Soll der Nobelpreisträger Al Gore ins Rennen um die Bush-Nachfolge gehen? Besser nicht. Der nächste US-Präsident kommt um Öko-Positionen sowieso nicht herum.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 16 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Eigentlich müssten die Europäer jubeln. Mit großer Verspätung sind die Amerikaner dabei, ökologische Positionen in die Tages- und Parteipolitik einzubeziehen, die in Europa längst den politischen Diskurs bestimmen. Dazu hat es nicht den Friedensnobelpreis für den ehemaligen US-Vizepräsidenten Al Gore gebraucht, obwohl auch diese hohe, europäisch punzierte Auszeichnung imstande ist, die Öko-Diskussion in Amerika zu fördern.

Schließlich steuert der Gouverneur von Kalifornien, Arnold Schwarzenegger, als Republikaner schon längst einen Kurs, der das Gegenprogramm zur verstockten Hinhaltepolitik des Präsidenten George W. Bush ist. Schwarzenegger hat sich nicht umsonst für den Ende Oktober in Lissabon stattfindenden Klimagipfel angekündigt. Und bei den US-Demokraten ist das Öko-Thema sowieso schon lange aktuell. Nicht nur Al Gore, sondern auch Ex-Präsident Bill Clinton gehören zu den Herolden eines Programms, das die Zukunft der Menschheit in die Realpolitik einbezieht.

Die großen Parteimaschinen sind gerade dabei, sich mit einer Ideenwelt anzufreunden, die in der breiten Wählerschicht signifikant viele Anhänger erreicht. Die Parteiapparate tun also das, was die großen Volksparteien Europas links und rechts von der Mitte schon seit zwanzig Jahren machen: grüne Ideen übernehmen, aber die Grünen als Konkurrenten möglichst im Zaum halten.

Insofern braucht es absolut keine Präsidentschaftskandidatur Al Gores. Er kann als Schöpfer des zu Recht auch kritisierten Klima-Propagandafilms "Eine unbequeme Wahrheit" und als Haupt der Allianz für den Klimaschutz weiter betreiben, was er längst tut: ein wichtiges Thema popularisieren und mit sämtlichen kommunikationstechnischen Mitteln zuspitzen, damit das amerikanische Establishment auf Dauer nicht daran vorbei kann. Die politische Knochenarbeit mit all den Fehlern und billigen Kompromissen, die unvermeidlich sein werden, soll ein anderer erledigen.

Oder eine andere Facette: Egal, ob Hillary Clinton in ihrer Kampagne für die eigene Person nur berechnend ist oder nicht - sie hat ihren Mann, Ex-US-Präsident Bill Clinton, und auch den neuen Nobelpreisträger Al Gore zu wohlmeinenden Beratern. Und das heißt: Grüne Markierungen finden sich auch in ihrem Konzept.

Veränderungen von der Wurzel bis Washington

Der Vorsitzende des UNO-Weltklimarates IPPC, Rajendra Pachauri, mit dessen Organisation sich Al Gore den Nobelpreis teilt, sagte in einem am Samstag in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" veröffentlichten Interview sehr präzise, worauf es ankommt: "Amerika ist eine Demokratie, und deshalb werden Veränderungen an der Wurzel bald auch in Washington ankommen." Das wird spätestens mit dem Amtswechsel im Weißen Haus im Jänner 2009 der Fall sein.

Die große Vernunft wird deshalb noch lange nicht ausbrechen - es gibt sie in der Politik selten, und außerdem fehlen für eine langfristige Strategie zur Schonung der Umwelt die Rezepte; man denke nur an die Energieknappheit. Es ist aber sehr wahrscheinlich, dass Europa und die USA künftig gemeinsam nachdenken werden.

Möglich, dass die Vereinigten Staaten so wie fast bei allen wichtigen Vorhaben genial übertreiben und sogar ökologisch richtig zu holzen beginnen. Wenn man liest, dass in kalifornischen Wohnblocks sogar das Rauchen verboten werden soll, wenn sich Wohnungsnachbarn gestört fühlen, kann man sich ausmalen, was die Welt erwartet. In der US-Politik geht es manchmal recht preußisch zu. Aber was soll´s: Ein härterer Zugriff schadet der Natur weniger als die bisherige Tatenlosigkeit.