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Das Gute und Gerechte - ein Traum

Von Cathren Müller

Wirtschaft
Soziologe Deutschmann übt Kritik am Konsumverzicht.
© © Wiener Zeitung

Konsumkritik füttert das Ego der oberen Mittelschicht.


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Wien. Konsumkritik und Moral sind die Themen des deutschen Soziologen Christoph Deutschmann, der seit März am Internationalen Forschungszentrum Kulturwissenschaften, IFK, in Wien zu Gast ist. Deutschmann hegt einige Verdachtsmomente gegen den Konsum, aber auch gegen die Kritik an ihm.


"Wiener Zeitung": Was haben Sie zuletzt gekauft?

Christoph Deutschmann: Einen Mantel, in einem Modegeschäft in Tübingen.

Was war ausschlaggebend für den Kauf? Der Preis?

Nein, ich wollte einfach etwas Warmes.

Steckt nicht doch mehr dahinter?

Sie spielen auf den symbolischen Konsum an: Man kauft nicht deshalb, weil man etwas braucht, sondern weil man einem bestimmten Bild entsprechen will. Ich muss zugeben, ich war von dem Wunsch geleitet, in Wien angemessen angezogen zu sein. Ich fand meinen alten Mantel zu schlicht für diesen Zweck.

Sie werden sich in den kommenden vier Monaten am IFK in Wien mit dem Konsum beschäftigen. Sie sagen, Konsumkritik sei wieder en vogue. Bei wem?

Der Hintergrund für die neue Kritik am Konsum ist die Wirtschaftskrise: Das Wachstumsprinzip gilt nicht mehr unumstößlich. Im Zuge dieser Kritik gerät auch der Konsum in den Verdacht, die Krise mitausgelöst zu haben. Entsprechend rufen Soziologen wie Meinhard Miegel zum Konsumverzicht auf.

Und ist da etwas dran?

Nein. Die Wachstumszwänge gehen nicht vom Konsum aus. Wer kein Wachstum will, muss eine Alternative zum Gewinnstreben entwickeln. Solange Unternehmen gewinnorientiert wirtschaften, ist es notwendig, zu wachsen. Der Konsum ist etwas Nachgeordnetes. Man muss also genau schauen, an wen sich der Aufruf eigentlich richten kann. Wer kein Geld hat zu konsumieren, kann auch nicht verzichten. Es muss also ein Problem der oberen Mittelschichten sein.

Kritik am Konsum gibt es auch aus ökologischen Gründen. Sie sprechen in diesem Zusammenhang von "moralischem" Konsum.

Die ökologischen Grenzen des Konsums sind unbestritten, und es ist wichtig, sie zu thematisieren. Es ist nur die Frage, ob Konsumverzicht die Antwort auf die ökologische und ökonomische Krise sein kann.

Wer mit Selbermachen, Urban Gardening oder Minimalismus versucht, die Welt zu verbessern, überschätzt die eigenen Kräfte?

Die konsumkritischen Bewegungen haben sehr viel erreicht. Es gehört inzwischen für viele Unternehmen zum guten Ton, "fair" und "nachhaltig" zu sein. Man darf dabei aber nicht vergessen, dass Konsumenten die Produktionsprozesse nach wie vor nicht kontrollieren können. Oft genug sind die Labels nur dazu da, dem Konsumenten selbst ein gutes Gewissen zu verschaffen.

Was wäre daran so schlimm?

Das Problem daran ist, dass es für die meisten Konsumenten darum geht, ihre persönlichen Träume zu verwirklichen. Das ist die Logik des Konsums. Zu diesen Träumen gehört seit neuestem auch der Traum von einer guten und gerechten Welt. Das ist im Prinzip ein weiterer Entwurf wie Schönheit, Jugendlichkeit oder Dominanz, die von vielen Männern angestrebt wird. Man kauft sich den Geländewagen, weil man sich groß und überlegen fühlen will. Zugleich taucht jetzt das Gute und Gerechte als ein Traum auf. Natürlich fühle ich mich als guter und gerechter Mensch mit mir selbst sehr wohl. Dieses Wohlgefühl ist die Belohnung für den moralischen Konsum, aber es ist zugleich egozentrisch.

Geländewagen und Bio-Gemüse sind also lediglich die Protagonisten von Dominanz- oder Gerechtigkeitsphantasien?

Das Problem sind nicht die Träume selbst, sondern die Wege zur Erfüllung. Wenn ich versuche, mich durch den Konsum zu verwirklichen, muss ich notwendigerweise enttäuscht werden, denn die Realität bleibt hinter den Träumen meistens zurück: Der Geländewagen macht mich nicht stark und Bio-Gemüse schafft die Ausbeutung nicht ab. Es ist ein Unterschied, ob ich durch meinen Konsum lediglich etwas signalisiere und damit mein Ego befriedige oder wirklich etwas tue.

Ist Konsum, der nicht in diesen Mechanismen verfangen ist, denkbar?

Für die meisten Menschen ist der Konsum eine Art Belohnung für harte Arbeit. Sie haben das Gefühl, sich etwas verdient zu haben, sie möchten sich verwöhnen und meinen, sie haben ein Recht darauf. Wahrscheinlich liegt das Problem genau in dieser Zweiteilung des Lebens: die Arbeit, die als anstrengend empfunden wird und oft genug wirklich gesundheitsschädlich ist, auf der einen Seite und ihr gegenüber der passive Konsum.

Wir müssten lernen, dass Erholung in der Aktivität liegt: gemeinsam kochen, sich ehrenamtlich engagieren, etwas in Gang setzen. Das ist befriedigender und sinnvoller. Man ist ja nicht wirklich erholt, wenn man sich DVDs kauft, an Kreuzfahrten teilnimmt und fernsieht. Das ist langweilig.

Geht es darum, sich wieder mehr mit anderen zu verbinden?

Ja, aber wir können den anderen nur begegnen, wenn wir noch Energie und Kraft haben. Wenn wir völlig erschöpft sind, entsteht nichts.

Zur Person: Christoph Deutschmann
ist Soziologe und lehrte bis zu seiner Emeritierung an der Universität Tübingen. Er forscht am Internationalen Forschungszentrum Kulturwissenschaften (IFK) in Wien die "Kapitalistische Dynamik und die imaginäre Dimension des Konsums".