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Der erste Schritt zu einer gerechteren Arbeitsgesellschaft.
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Mit der Corona-Massenarbeitslosigkeit hat ein tektonisches Beben die ethischen Grundfesten unserer Arbeitsgesellschaft erschüttert, nachdem Strukturwandel und Digitalisierung, maulwurfsgleich, das Erdreich darunter schon an vielen Stellen ausgehöhlt hatten. Niemand kann mehr mit Gewissheit sagen, ob nicht bereits das ganze Haus einzustürzen droht.
Vor Corona regierte jedenfalls noch das Fördern und Fordern in nahezu ungetrübter Herrlichkeit. Diese schmale Formel prägte drei Jahrzehnte lang unser Verständnis von Gerechtigkeit in Wirtschaft und Staat und faszinierte nicht nur die leitenden Beamten der Sozialbehörden und die Interessenvertreter von Arbeitgebern und Arbeitnehmern, sondern weite Teile der Bevölkerungen in allen reichen demokratischen Nationen. In dieser Formel schienen die guten und die bösen Engel unserer Seelen glücklich erkannt und versöhnt. Das alte Prinzip vom Geben und Nehmen, gefühlt so uralt wie die (soziale) Evolution selbst und gleichzeitig so jung wie die Vorstellung einer solidarischen Hochleistungsgesellschaft, hatte nicht nur seinen griffigen Ausdruck, sondern auch eine mächtige technokratische Praxis in den Institutionen gefunden.
Jetzt, mit Corona, erkennen wir: Ein geschichtlicher Endpunkt war auch das meritokratische Fördern und Fordern nicht. Denn: Wo Massenarbeitslosigkeit herrscht, wird das Leistungsprinzip selbst zur Kränkung für viele Leistungsapostel. Insbesondere die langzeitbeschäftigungslosen Menschen aus der Generation der Baby-Boomer, die ihr Arbeitsleben lang auf Status und Anerkennung durch Leistung im Erwerbssystem gepolt waren, verstehen ihre eigene Welt nicht mehr.
Abschied vom Idealder Erwerbsarbeit
Der jüngsten mittelfristigen Arbeitsmarktprognose zufolge müssen wir in Österreich für das Jahr 2025 immer noch mit einer Arbeitslosenquote von 9,2 Prozent rechnen (2021: 9,8 Prozent). Erwartet werden durchschnittlich knapp 390.000 Arbeitslose plus 67.000 Schulungsteilnehmer. Wenn wir weiter am Modell der Erwerbsarbeit als einem quasireligiösen gesellschaftlichen Leitbild festhalten, zerstören wir auf Dauer viele Existenzen. Das tun wir nicht nur ökonomisch, sondern auch moralisch, weil wir ihnen den Zugang zu den sozialen Grundlagen ihrer Selbstachtung verwehren. Bleibt die Erwerbsarbeit totalisiert, wird die Erwerbslosigkeit zum Gar-Nichts.
Bullshit-Jobs; die Prekarisierung der Arbeitsverhältnisse; schneisenartige Jobverluste durch Strukturwandel samt Automatisierung; die kaltschnäuzige Verachtung und Unterbezahlung sogenannter einfacher Arbeit; der heuchlerische Umgang mit "systemrelevanten" und "moralisch hochwertigen", aber nur leidlich bezahlten Jobs; das schizophrene Verhältnis zu den "Mangelberufen" im Handwerk, das sich auch im Hype um das Heimwerkertum zeigt; die systematische Geringschätzung der Nichterwerbsarbeit in Verbindung mit kostenlosen Lobhudeleien für das Ehrenamt . . . - all das sind das Zeichen, dass die Sonne der klassischen Erwerbsarbeit mit ihrem Versprechen von Dienstverhältnis, Sozialversicherung, Mitversicherung, Konsum- und Statusteilhabe ihren Zenit überschritten hat.
Menschenwürdige Arbeitslosigkeit
Mit der Einführung eines halben Grundeinkommens von 500 Euro monatlich ließen sich - sozialtechnisch recht einfach - einige Reformschritte zur Schonung der Menschenwürde in Arbeitslosigkeit und Arbeit setzen: In der Arbeitslosenversicherung würde es als bedingungsloses Element der Existenzsicherung die Demütigungspotenz von Sanktionen entschärfen und zugleich als genereller Kombilohnanreiz für Arbeitsaufnahmen wirken. Außerdem ließe sich mit ihm ein faires und effizientes Stufenmodell beim Leistungsbezug realisieren, bei dem mit der Dauer der Arbeitslosigkeit die Leistungshöhe abnähme: In den ersten drei Monaten der Arbeitslosigkeit erhielte man Arbeitslosengeld plus Grundeinkommen, danach wie bisher Arbeitslosengeld und Notstandshilfe.
Wenn das halbe Grundeinkommen in den ersten zwei Jahren seiner Einführung den Beschäftigten in "Mangelberufen", "Moralberufen" und "einfachen Tätigkeiten" vorbehalten bliebe, würde das zwar einen gehörigen Gerechtigkeitswirbel verursachen. Dessen Wirbelschleppen könnten aber für das Funktionieren des Arbeitsmarkts heilsame Wirkungen entfalten und auch den Türmen an Scheinheiligkeit gegenüber den beklatschten "systemrelevanten" Tätigkeiten den bequemen Boden entziehen.
Außerdem könnte ein solches halbes Grundeinkommen dazu beitragen, die bereits brüchig gewordene - und daher besonders verletzende - Kluft zwischen dem Wert der Erwerbsarbeit und dem Wert der Nichterwerbsarbeit kulturell abzubauen. Denn es würde wie von selbst die Idee fördern, dass der Wert der Arbeit - ursprünglich und fürderhin - nicht aus dem Geldverhältnis stammt, sondern aus der Gerechtigkeit: Jede Arbeit ist wertvoll, wenn sie nützlich ist, Freiheit und Würde wahrt und zum Gemeinwohl in der Demokratie beiträgt.
Bodenständige"Frohe Botschaft"
So ist der Vorschlag zur Einführung eines halben Grundeinkommens mit der Einleitung des Abschieds vom Fördern und Fordern und der Relativierung des Ideals der Erwerbsarbeit eine recht steile Vorlage für die Weiterentwicklung der konventionellen Arbeitspolitik. Er bedeutet aber auch eine nützliche Irritation für das Paraevangelium eines vollwertigen bedingungslosen Grundeinkommens, das der Mehrzahl der Menschen weiterhin finanziell und kulturell als zu abgehoben erscheint.
Die betont bodenständige Idee eines halben Grundeinkommens ist aber noch "Frohe Botschaft" genug: Sie ehrt die gewachsenen Institutionen und hält am Arbeitsethos als einer gesellschaftlichen Kardinaltugend fest. Und hat dabei doch das Zeug, unsere Arbeitsgesellschaft gerechter und viele Menschen in ihrem Arbeitsleben freier und glücklicher zu machen.