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Das Handy als Kontoersatz

Von Sophie Alena aus Mbabane

Wirtschaft

In Eswatini sind die Hürden für die Eröffnung eines Bankkontos für viele Menschen sehr hoch. Neue Finanztechnologien, wie etwa das Mobiltelefon, sind daher als bargeldloses Zahlungsmittel auf dem Vormarsch.


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Es ist ein heißer, windstiller Sommertag in Eswatini. Schon am Vormittag steht die Sonne hoch am Himmel und jedes Staubkorn ist auf der Haut zu spüren, wenn ein vorbeifahrendes Auto den Sand neben der Asphaltstraße aufwirbelt. An dieser Straße, mitten in Pine Valley, steht Zanele Gama-Ngwenya und wartet auf den öffentlichen Bus.

Das Tal, in dem die 54-Jährige lebt, liegt etwa zehn Kilometer von Eswatinis Hauptstadt Mbabane entfernt. Außer der spärlich befahrenen Straße sind von fern nur Kuhglocken zu hören, die sich in den Gesang verschiedener Vogelarten einstimmen. Eilig haben darf man es hier nicht, denn es gibt keine fixen Fahrpläne für die Kombis, wie die öffentlichen Minibusse im südlichen Afrika genannt werden. Manchmal, so erzählt Gama-Ngwenya, dauere es bis zu einer Stunde, bis ein Kombi kommt.

Eswatini war bis zum Jahr 2018 unter dem Namen "Swasiland" bekannt. Der Binnenstaat hat rund 1,1 Millionen Einwohner, umfasst in etwa die Größe der Steiermark und liegt im südlichen Afrika zwischen Südafrika und Mosambik. Internationale Bekanntheit erreichte das Land einerseits als die letzte Monarchie Afrikas und andererseits durch die weltweit höchste HIV-Rate. Laut der Weltgesundheitsorganisation (WHO) leben rund 27 Prozent der Bevölkerung mit dem Virus. Laut Weltbank zählt Eswatini zu den Ländern, in denen die Kluft zwischen Arm und Reich am größten ist.

Groß ist auch das Glück von Zanele Gama-Ngwenya, denn bereits nach ein paar Minuten kommt der Kombi, der sie für umgerechnet 50 Cent in die Hauptstadt bringt. Sie hat sich den Vormittag von ihrer Arbeit als Haushälterin freigenommen, um in Mbabane ein sogenanntes Mobile-Money-Konto zu eröffnen.

"Mobile Money" heißt in Eswatini eine virtuelle Währung, die von einem Mobilfunknetzbetreiber angeboten wird. Durch diese Technologie soll Menschen, die keinen Anspruch auf ein Bankkonto haben, Zugang zu bargeldlosen Transaktionen über das Mobiltelefon ermöglicht werden. Das eigene Handy fungiert dabei als Bankomatkarte und virtuelles Konto.

In Eswatini gibt es zwei Betreiber, die diese Zahlungsmethode anbieten. Zum einen MTN, ein multinationales Unternehmen, das in mehr als 20 Ländern in Afrika und dem Nahen Osten operiert, zum anderen Eswatini Mobile, dem kleineren Konkurrenten, der sich seit etwas mehr als drei Jahren auf dem Markt behauptet. Um solch ein mobiles Konto zu eröffnen, brauchen Nutzer eine registrierte SIM-Karte und ein funktionstüchtiges Handy, egal ob Smartphone oder älteres Modell. Das Konto selbst ist kostenfrei, Gebühren werden für die Transaktionen erhoben.

"Wir wollen finanzielle Inklusion für alle Menschen im ganzen Land möglich machen", sagt Mandla Luphondvo, Markenmanager bei MTN Eswatini. Im Gegensatz zu einem Bankkonto, bei dessen Eröffnung ein Einkommensnachweis erforderlich ist, können auch arbeitslose Menschen ein Mobile-Money-Konto anlegen. In einem Land wie Eswatini, in dem mehr als jeder fünfte Mensch arbeitslos ist oder sein Geld durch Schwarzarbeit verdient, ein wichtiger Schritt zur finanziellen Inklusion.

Geldfluss zwischenurbanen und ruralen Gebieten

Der wirtschaftliche Treiber in Eswatini ist der Dienstleistungssektor, der vor allem durch die Regierung und die Industrie gestützt wird. Ein Großteil der Menschen verdient Geld im urbanen Raum, während die Bevölkerung in ländlichen Regionen auf Einnahmen aus der Landwirtschaft angewiesen ist.

Laut Luphondvo wolle man dazu beitragen, Geldflüsse zwischen urbanen Gebieten, wie der Haupt- und Verwaltungsstadt Mbabane und der wichtigsten Industriestadt Manzini, und ländlichen Regionen zu vereinfachen. "Wir haben überall im Land Kunden, auch in abgelegenen Regionen. Dadurch sehen wir, dass das Geld quer durch das ganze Land versendet wird", sagt Luphondvo.

Auch bei Zanele Gama-Ngwenyas Familie ist die Situation ähnlich. "Der Großteil meiner Familie lebt rund zwei Autostunden entfernt", erzählt sie auf der Fahrt nach Mbabane. Immer wieder muss auch sie ihre Familie finanziell unterstützen, etwa um die Schulgebühren für verwandte Kinder zu bezahlen oder Begräbnisse auszurichten. "Ich bin die Letzte in der Familie, die noch kein eigenes Mobile-Money-Konto hat. Meine Tochter drängt mich schon lange, endlich auch eines zu eröffnen, da sie kein Geld mehr für mich überweisen möchte", lacht sie.

Ganz so schlimm sei es natürlich nicht, fügt sie hinzu. Aber durch ein eigenes Konto könne sie dann auch Wertkarten für Elektrizität kaufen, ohne dafür in die Stadt fahren zu müssen. Strom wird in Eswatini nämlich über einen Regler abgerechnet, für den man Kilowattstunden mittels Wertkarte auflädt. Sollte ihr Mann also einmal nicht zuhause sein und der Strom ausgehen, könne sie diesen mit ihrem Handy aufladen. Um Geld einzuzahlen oder abzuheben, kann sie zu einem der über 7000 Partner oder Straßenstände gehen, die im ganzen Land verteilt sind. Tatsächlich liegen auf der kurzen Strecke zwischen Gama-Ngwenyas Haus und dem Stadtzentrum von Mbabane zwei MTN Stände.

Um ein Konto eröffnen zu können, braucht Zanele Gama-Ngwenya zwei Dokumente: einen gültigen Ausweis sowie einen Nachweis über ihren Wohnsitz. Dafür reicht ein Nachweis von Rechnungen, etwa mit der Identifizierungsnummer des Strommeters. Ähnlich wie bei einer Bankomatkarte ist das Mobile-Money-Konto durch einen vierstelligen Nummerncode geschützt, der bei jeder Transaktion eingegeben werden muss. Diesen kann sich Gama-Ngwenya bei der Eröffnung aussuchen und er soll gewährleisten, dass das Konto auch bei Verlust oder Diebstahl des Mobiltelefons geschützt ist. Bereits nach knapp zehn Minuten ist die Registrierung abgeschlossen: Zanele Gama-Ngwenya hat nun ihr Handy in ein bargeldloses Zahlungsmittel transformiert, das ihr den Alltag erleichtert.

Technologieaus Ostafrika

In Eswatini nutzen laut Mobilfunkbetreiber MTN rund ein Drittel der Einwohner das digitale Zahlungsmittel. Bei der Einführung 2011 seien die Menschen der neuen Technologie skeptisch gegenübergestanden, erzählt Luphondvo. "Nach zwei Jahren stellte sich jedoch ein kontinuierliches Wachstum ein, das noch immer anhält. Vor allem im Dezember, wenn die Menschen ihren Weihnachtsbonus bekommen, sehen wir jährlich einen Anstieg der Transaktionen."

Eswatini folgt damit einem Trend, der sich durch viele Länder südlich der Sahara zieht: Laut der internationalen Industrievereinigung der GSM-
Association (GSMA) kamen im letzten Jahr 45,6 Prozent der Nutzer aus Subsahara-Afrika. Der größte Markt ist dabei in Ostafrika, aus dem die Technologie auch ursprünglich stammt - 2007 wurde in Kenia M-Pesa als virtuelle Währung von Vodacom vorgestellt. Weltweit verzeichnet die GSMA täglich Transaktionen im Wert von 1,3 Milliarden Euro, wobei davon der Großteil entweder Ein- oder Auszahlungen sind. In den nächsten Jahren erwartet sich die GSMA, dass immer mehr FinTech-Unternehmen in den mobilen Zahlungsmarkt einsteigen, die beispielsweise auch Kredite anbieten können. Diesen Gedanken hat auch MTN in Eswatini. Schon bald will man Mikrokredite anbieten, bei denen je nach Nutzverhalten des Mobile-Money-Kontos festgestellt wird, ob man für einen Kredit qualifiziert ist.

Warnung vor unkontrollierter Vergabe von Krediten

In ihren Empfehlungen für Digitalisierung und Finanzkompetenz warnt die OECD vor der unkontrollierten Vergabe von Krediten durch Mobilfunkanbieter, da dadurch die Gefahr der Überschuldung für die ärmere Bevölkerung steige. Denn: In einem Land wie Eswatini, in dem mehr als die Hälfte der Bevölkerung unter der Armutsgrenze lebt, ist der Bedarf an Krediten hoch. Durch die Möglichkeit, dass man zu jeder Tageszeit Kredite direkt über das Handy aufnehmen kann, besteht die Gefahr, überteuerten Konditionen zuzustimmen. Daher sei es wichtig, so die Vorgabe der OECD, dass politische Verantwortungsträger neue Technologien beobachten und so reglementieren, dass sie deren Entwicklungsstrategien unterstützen. Gleichzeitig sei es unumgänglich, Konsumenten über Vor- und Nachteile zu informieren. Man müsse die Menschen auf der einen Seite ermutigen, neuen digitalen Finanztechnologien eine Chance zu geben, und ihnen aber gleichzeitig auch die Gefahren der Nutzung, wie Datenmissbrauch, Phishing-Nachrichten oder Hacking, näherbringen.

Eine Chancefür Frauen

Eine Chance durch die Weiterentwicklung von Finanzleistungen sieht die OECD vor allem für Frauen wie Gama-Ngwenya, deren Männer die Hauptverdiener der Familie sind. Vor allem in Entwicklungsländern gibt es für Frauen höhere Hürden, um finanziell inkludiert und unabhängig zu werden. Die Gründe dafür sieht die OECD etwa im mangelnden Zugang zu Bildung, in fehlenden Jobmöglichkeiten und dem somit erschwerten Zugang zu traditionellen Finanzmärkten.

Gama-Ngwenya ist als Haushälterin angestellt und verdient umgerechnet knapp 150 Euro im Monat. Sie freut sich, dass sie nun selbständig entscheiden kann, wann und wen sie damit bezahlen will. Bei einem Stand in der Nähe ihres Hauses will sie gleich Geld einzahlen, um Schulden bei ihrer Schwester zu begleichen. "Ich kann jetzt für das Parfum bezahlen, das sie vor einem Monat für mich gekauft hat", sagt sie lächelnd. Für sie ist es dann auch schon wieder an der Zeit, an der nächsten Straße auf einen Kombi zu warten, um rechtzeitig nach dem Mittagessen zur Arbeit zu kommen. Denn schließlich muss man Geld verdienen, um es später über das Handy verschicken zu können.