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Das hässliche Gesicht der deutschen Neidkultur

Von Alexander von der Decken

Gastkommentare
Alexander von der Decken
© Alexander von der Decken

Wenn ein Bremer Jura-Professor seinen Forschungsbeitrag darin sieht, Dissertationen auf ihre wissenschaftliche Reinheit hin zu durchforsten, so mag man diesen Umstand erst einmal unkommentiert zur Kenntnis nehmen. Faktum ist, der deutsche Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg räumt formale Fehler bei seiner Dissertation ein und verzichtet bis zu einer abschließenden Klärung auf seinen Doktortitel.


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Sachlichkeit ist jetzt der einzige Weg zur Klärung des Sachverhalts. Doch die ist der deutschen Politiker Sache nicht. Es sprüht Häme aus allen politischen Lagern, selbst aus dem eigenen ist zufriedenes Grummeln zu hören. Der Grund für die überhitzte Aufgeregtheit besteht in dem Namen Guttenberg. Der Verteidigungsminister führt die Liste der beliebtesten deutschen Politiker unangefochten an - vor all den Politikerinnen und Politikern, die mit ihrer betonierten Rhetorik die Wähler von den Wahlurnen fernhalten. Bei solch vernichtenden Umfragewerten, da treibt die deutsche Neidkultur besonders hässliche Pflänzchen.

Hinter der Diskussion um die Rechtmäßigkeit akademischer Würden verbirgt sich aber noch etwas ganz anderes, nämlich die Frage: Was ist eine Promotion heute noch wert - und was sagt sie über die fachliche Eignung eines Politikers aus? Die Antwort: Nichts! Bereits über Altbundeskanzler Helmuth Kohl und seine Doktorarbeit mit dem Thema "Die politische Entwicklung in der Pfalz und das Wiedererstehen der Parteien nach 1945" wurde wegen ihrer intellektuellen Bodenständigkeit gelächelt. Ob Familienministerin Kristina Schröder (CDU), der frühere Agrarminister von Mecklenburg-Vorpommern, Till Backhaus (SPD) oder wie sie alle heißen, die Damen und Herren Politiker - in den akademischen Lorbeerkränzen befindet sich so manch welkes Blatt.

Der Hang zum akademischen Ritterschlag mit einem Doktortitel entspringt einer Zeit, in der mit der Dissertation noch wissenschaftliches Neuland betreten wurde, sprich der Verfasser eben Herausragendes in forscherischer Hinsicht geleistet hat. Ein wunder Punkt bei vielen deutschen Politikern, die häufig Probleme mit ihrer Tätigkeitsbeschreibung haben. Der Doktortitel hilft da ein wenig, den Erklärungsdruck zu lindern.

Bei Guttenberg liegt die Sache noch etwas anders. Er ist ein Shootingstar. Eloquent, weltgewandt, entscheidungsfreudig mischt er das politische Establishment auf - Eigenschaften, die in der deutschen Konsenspolitik erfrischend sind. Der Mann wird wahrgenommen. Guttenbergs Popularität ist mit "herkömmlichen" Mitteln nicht beizukommen, da hilft nur der Griff in die Kiste unmoralischer Taschenspielertricks. Heute ist es der voreilige Plagiatsvorwurf, morgen sind es die Maßhemden aus Fernost, die nicht zu europäischen Sozialstandards gefertigt wurden. Auffällig ist, dass versucht wird, Guttenberg vorschnell im Sandstrahlgebläse der öffentlichen Empörung in Misskredit zu bringen. Die Universität Bayreuth will die Arbeit jetzt prüfen. Das Ergebnis sollte wenigstens abgewartet werden. Um es klar zu stellen: Ein Fehlverhalten muss angeprangert werden, die Frage ist nur, wie man es tut. Die deutsche Neidkultur kennt nur die Schläge unter die Gürtellinie. Das ist unwürdig.

Der Bremer Universitätsprofessor Andreas Fischer-Lescano hat mi seinem Vorstoß einen Umstand gestreift, der nun endlich mehr Beachtung finden sollte: nämlich den der Ernsthaftigkeit wissenschaftlichen Forschens. Solange es in Deutschland möglich ist, über das "Pädagogisch betreute Häkeln unter besonderer Berücksichtigung des Minnegesangs im Hochmittelalter" zu promovieren, ist es besser sich um einen Dr.h.c. (Honoris causa) zu bemühen, da weiß man wenigstens, woran man ist.

Alexander von der Decken ist Redakteur in Bremen.