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"Das hat man sich nicht gewünscht"

Von Eva Konzett

Politik

Vor 25 Jahren hat sich Moldawien von der Sowjetunion getrennt. Doch das sozialistische Erbe und der Einfluss aus Moskau wirken nach. Die politische Klasse setzt dem wenig entgegen. Sie ist mit sich selbst beschäftigt.


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Chisinau. Die meisten Länder - zumal in Europa - begehen ihren Nationalfeiertag mit einem großen Fest. Doch den Menschen in der Republik Moldau wird dieses Wochenende - am 27. August ist der 25. Jahrestag der Unabhängigkeit von der Sowjetunion - wohl weniger zum Feiern zumute sein.

Eine Einheit ist die Republik Moldau bis heute nicht. Und immer noch ist das kleine Land, geografisch zwischen der Ukraine und Rumänien eingezwängt, auch politisch zwischen Ost und West gefangen.

Zwar hat die EU im Rahmen der Östlichen Partnerschaft die Reformbestrebungen der selbsternannten proeuropäischen Kräfte 2014 mit einem Assoziierungsabkommen belohnt, doch Moskau mischt ebenso weiter mit und versucht, die Republik Moldau von Brüssel entfernt zu halten..

Besonders drastisch präsentieren sich die Wirtschaftsdaten. Das moldauische BIP-pro-Kopf beträgt weniger als 2000 Euro, während der EU-Durchschnitt sich auf mehr als 27.000 Euro beläuft. Die Landwirtschaft, einst in der ganzen Sowjetunion für ihre Erzeugnisse berühmt, trägt immer noch zu mehr als 20 Prozent des BIPs bei - eine nennenswerte Industrie konnte nie aufgebaut werden. Insgesamt hat die Republik Moldau die Wirtschaftsleistung von 1991 noch nicht wieder erreicht, das für das laufende Jahr geschätzte Wachstum von 1,5 Prozent wird wenig daran ändern. Und internationale Geldgeber wie der Internationale Währungsfonds sind oft gesehen Besucher in Chisinau.

Auch die Bevölkerung schrumpft kräftig: Mehr als eine Million Moldauer haben ihr Land seit der Unabhängigkeit verlassen, noch heute träumt einer von drei der verbliebenen 3,5 Millionen Moldauern von der Emigration. An den Auswanderern und ihren Geldsendungen wiederum hängen die Verwandten zu Hause. Es sind verlässliche finanzielle Zuwendungen, die mehr als 20 Prozent der Wirtschaftsleistung ausmachen.

Ein Oligarch orchestriert die Regierungsbildung

Der Ökonom Dumitru Alaiba kann die Auswanderungswilligen verstehen. "Sie gehen ja nicht einfach so. Sie werden von einem System vertrieben, das sie belastet. Ein System, das nicht für sie gemacht ist", sagt er.

Alaiba weiß, wovon er spricht. Er hat selbst als Wirtschaftsberater für die Regierung gearbeitet - bis sie endgültig zu einem "Puppentheater" verkam, wie er sagt. Die politische Szene besteht heute aus offenbar von Russland finanzierten Haudegen, vorbestraften Geschäftsmännern und blassen Marionetten.

Rhetorisch haben sich die Regierungen allesamt seit 2009 zu Europa bekannt. Trotzdem ist es kein Geheimnis, dass in Chisinau Strippenzieher Wohl und Weh des Landes bestimmen und Parlamentsmehrheiten im Hinterzimmer geschmiedet werden. Die Bildung der derzeitigen Regierung unter Premier Pavel Filip etwa hat der umstrittene Oligarch Wladimir Plahotniuc orchestriert, der weiterhin als der bestimmende Mann im Staat gilt und ein Vermögen in staatsnahen Betrieben gemacht hat.

Er ist aber kein Einzelfall. "Es gibt in der Republik Moldau einen Unterschied zwischen Gesetz und Praxis", erklärt der Politikwissenschaftler Igor Munteanu von der moldauischen Denkfabrik Idis. Dazwischen hätten sich populistische Politiker festgesetzt, die gestützt von einer dressierten Justiz die Institutionen unter ihre Kontrolle gebracht haben.

Was es nach 1991 zu privatisieren gab, hat sich ohnehin die ehemalige Nomenklatura unter den Nagel gerissen. In diesem auf Eigennutz ausgerichteten Substrat war es auch möglich, dass 2014 eine Milliarde US-Dollar aus dem Bankensystem auf Offshore-Konten verschwinden konnten, ohne dass die Bankenaufsicht aufgeschrien hätte. "Was aus dem Land geworden ist, das hat man sich vor 25 Jahren nicht gewünscht", sag Alaiba.

Auch anderswo wirkt das sowjetische Erbe nach. Im westlichen Grenzstädtchen Ungheni liegt unter Bauernackern ein 42 Kilometer langes Rohrsystem, das viel von den Kräften erzählen kann, die im Land wirken: Es handelt sich dabei um den frisch verlegten sogenannten Erdgas-Interkonnektor, der das rumänische und moldauische Gasnetzwerk verbindet. Dass die EU das Projekt finanziert hat, ist kein Zufall. Bislang ist Moldau zu 100 Prozent von russischem Gas abhängig und in Brüssel will man das ändern. Dass der Interkonnektor bis dato im Nirgendwo endet, ohne Anbindung an das Wirtschaftszentrum Chisinau, hat ebenfalls seine Gründe: Denn die Gasinfrastruktur des Landes kontrolliert eine Gazprom-Tochter, die wenig Interesse daran zeigt, das Gas der anderen durchzulassen.

Moskau kann jederzeitden Strom abdrehen

Moldau hat sich entschieden, den Gassektor nach westlichem Recht und westlichen Prinzipien auszurichten. Es ist eine mutige Entscheidung für mehr Unabhängigkeit. Der Verhandlungspartner Gazprom ist aber Vertreter eines anderen Modells. "Sie können sich vorstellen, was für Implikationen das mit sich bringt", sagt Dirk Buschle, Energieexperte bei der European Energy Community, die die Annäherung ausgewählter Länder in Ost- und Südosteuropa an das EU-Energierecht koordiniert und den Gasinterkonnektor auf Schiene gebracht hat. Sie verhandelt derzeit auch eine Pipeline-Verlängerung nach Chisinau.

Dazu kommt, dass die moldauische Stromversorgung ebenfalls indirekt am russischen Gas hängt, da das größte Stromkraftwerk - es wird mit Gazpromgas betrieben - in der abtrünnigen Provinz Transnistrien steht, jenem Landesteil, der sich 1990 für unabhängig erklärte und heute vom Anschluss an Russland träumt. Somit hält Moskau die Erdgas- und Stromversorgung in der gesamten Republik Moldau in der Hand. Zudem kann der Kreml die rund 300.000 Moldauer, die als Arbeitsmigranten in Russland leben, als politische Verschubmasse nutzen - etwa in dem ihnen die Aufenthaltserlaubnis entzogen wird. Im Herbst 2013 wurde damit schon gedroht.

In Chisinau bereiten sie derweil die Militärparade für den Unabhängigkeitstag vor. Die Lastwagen werden dabei vor allem sowjetisches Militärgerät an den Tribünen vorbeiziehen. Die Soldaten immerhin defilieren bereits nach dem in Europa gängigen Gleichschritt. Den russischen Stechschritt hat die moldauische Armee 2011 abgeschafft.