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Das Haydn-Jahr klang schöner

Von Engelbert Washietl

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Der Autor ist Vorsitzender der "Initiative Qualität im Journalismus"; zuvor Wirtschaftsblatt, Presse, und Salzburger Nachrichten.

Reminiszenzen an die schwarz-blaue Koalition geraten zur Kakophonie. Mit dem Gedenken tut man sich erst dann leicht, wenn alle gestorben sind, die seinerzeit dabei waren.


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Könnte es sein, dass das Gedenken an die im Jahr 2000 erfundene schwarz-blaue Koalition bald ein Ende nimmt? Denn ehrlich, einem gewissen Joseph Haydn, der ein Haydn-Jahr lang hinauf und hinunter abgespielt und von berufenen Meistern wie Nikolaus Harnoncourt freudig kommentiert wurde, hätten wir gern noch länger zugehört.

Hingegen ist die innenpolitische Bewältigung von mehr als sechs Regierungsjahren, in denen Virtuosen wie Wolfgang Schüssel, Jörg Haider und eine endlose Liste von Namenlosen brillierten oder dies zumindest versuchten, keine vier Wochen auszuhalten. Aber vielleicht ebbt die Aufregung ohnedies schon ab, denn die Zeit eilt auch im Retourgang schnell dahin, und die Chronisten machen soeben Anstalten, aus Alfred Gusenbauers 50. Geburtstag ein Gusenbauer-Gedenkjahr abzuleiten.

Was Politiker, Medien und Zeitzeugen in den vergangenen Tagen beizutragen hatten, artete ja regelrecht in Arbeit aus, um nicht zu sagen in Gehässigkeit. Was die ideologischen Kontrahenten - die damaligen Donnerstagsdemonstranten auf der Straße oder auch in Amt und Würden, die schwarz-blauen Koalitionäre im Speed-kills-Rausch und frustriert wegen mangelnder Anerkennung - ab 2000 nicht verkrafteten, fügt sich auch heute zu keiner sinnvollen Analyse. Da wirkt es fast philosophisch, wie auf EU-Ebene der Überfall von 14 EU-Mitgliedern auf das Projektionsbild eines faschistischen Österreich neuerdings verkraftet wird: Man redet nicht mehr darüber. Es war halt nur aus damaliger Sicht verständlich (was freilich auch nicht stimmt).

Innenpolitisch schafft man diese Kurve nicht, zumal die heutige Regierung, auch wenn sie noch so herumkuschelt und -kugelt, in den alten Rechnungen den Stoff findet, den sie aktualitätsbezogen nicht anzurühren wagt, weil ihr Koalitionspakt sofort auseinanderfliegen würde.

Also stellt man sich vor eine der musealen Vitrinen, in der die Pensionsreform der Schwarz-Blauen ausgestellt wird, und zankt: Den einen, die dem heutigen Bundeskanzler oder Sozialminister anhängen, ist sie noch immer Ausdruck der sozialen Kälte, den anderen, die sich um den Vizekanzler scharen, erscheint sie als eine durch Hacklerregelung und andere Gegenaktionen entwertete Großtat.

Oder die Budgetwahrheit: Selbst wenn das Nulldefizit des einstigen Finanzministers Karl Heinz Grasser ein einmaliger Schmäh gewesen ist - ach, gäbe es doch heute irgendjemanden, der das explodierende Staatsdefizit bremsen könnte!

Die Mechanik jeder "Aufarbeitung" von vergangenen Problemen, die bis heute nicht gelöst worden sind, ist prinzipiell fadenscheinig Der Aufgabe widmen sich die Gestrigen - wie etwa Ex-Finanzminister Rudolf Edlinger -, und deren Zielscheiben sind ebenfalls die Gestrigen, entweder Memoirenerzähler wie Wolfgang Schüssel, "politische Schmuddelkinder in hohen Staatsfunktionen" wie Martin Graf (© Edlinger) oder eben "das System" schlechthin. Im "Club 2" wird zerfetzt, was die einen angeblich wie ein Alptraum quält, während die anderen dahinter staatsmännische Tugend wahrnehmen.

In das sehr unrund laufende Gedenken gehört die Qualität der Langsamkeit. Warten wir, bis das Leben die Akten geschlossen hat. Nicht nur über Joseph Haydn, sondern auch über Charles Darwin redet es sich viel leichter, und selbst das 68er-Gedenkjahr war 2008 nicht mehr so schlimm, weil 40 Jahre Zugewinn an Lebensweisheit möglicherweise sogar Alt-68er nachdenklicher machen.