Die Filmindustrie ist nach dem Tourismus der wichtigste Wirtschaftszweig auf Malta: "Game of Thrones" wurde u.a. auf der Insel gedreht. Ein cinematographischer Lokalaugenschein.
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Die Sonne strahlt vom Himmel, als Malcolm Ellul uns mit einer schwarzen Limousine vom Hotel abholt. Er trägt Anzug, eine dunkle Sonnenbrille und seine halblangen Haare locken sich bis zum Kinn. Mit seinem breiten Kreuz erinnert er mehr an einen Bodyguard als an einen Touristenführer. "Herzlich willkommen zur Game-of-Thrones-Tour", sagt er zur Begrüßung. Ich stutze. Game of Thrones? Die brutale Serie mit den mittelalterlichen Haudegen, die mich so gar nicht interessiert? Das ist ein Missverständnis - ich dachte, wir hätten eine einfache Filmtour gebucht! Aber mein Mann ist Fan. "Sehen wir auch Königsmund?", will er wissen und lässt sich auf den Beifahrersitz des Wagens fallen.
Nach einer Viertelstunde Fahrtzeit gelangen wir nach Attard. Attard befindet sich im Zentrum der Insel, ungefähr zwölf Kilometer von der Hauptstadt Valletta entfernt, der heurigen europäischen Kulturhauptstadt. Im 16. Jahrhundert errichteten hier zahlreiche Adelige ihre Häuser, und so kommen wir an palastähnlichen Gebäuden mit üppigen Vorgärten und säulengesäumten Treppenaufgängen vorbei. Malcolm parkt die Limousine und führt uns in den San Antons Garden, einen von einer Mauer umgebenen immergrünen Park.
Sitz der Präsidentin
Malta gilt als trockener Kiesel im Mittelmeer, doch davon ist in der barocken Anlage nichts zu spüren. Gewaltige Birkenfeigen wachsen in die Wolken, Norfolktannen mit fedrigen Blättern werfen bizarre Schatten auf den Boden. Katzen sonnen sich in bunten Blumenrabatten, und an einem Springbrunnen spielen Kinder.
Dann erreichen wir einen Palast aus hellem Sandstein. Das Gebäude aus der Zeit des Johanniterordens war zunächst die Sommerfrische eines Großmeisters, dann Wohnsitz der britischen Gouverneure, heute residiert hier im Winter der jeweils amtierende Präsident Maltas. "Die Präsidentin Maltas vielmehr! Marie Louise Coleiro Preca ist die erste und jüngste Präsidentin unserer Insel", erklärt Malcolm. "Und: Vor diesem Palast wurde die erste Folge von "Game of Thrones" gedreht."
"Game of Thrones" ist mit acht Millionen Downloads seit 2011 die meist gesehene Fantasy-Serie der Welt. Sie beruht auf der Romanreihe "Lied von Eis und Feuer" des Autors George R. R. Martin, und von den insgesamt acht Staffeln wurde vor allem die erste auf Malta gedreht.
"Der Präsidenten-Palast diente als Roter Bergfried, das ist die Burg von der Hauptstadt Königsmund", führt Malcolm aus. "An den Stufen des Palastes wurde außerdem die Szene gedreht, in der Prinzessin Daenerys zum ersten Mal auf Khal Drogo trifft."
Ich habe keine Ahnung, wovon die Rede ist, aber es ist trotzdem schön in diesem Park. Außerdem erzählt Malcolm Dinge, die mich auch als Nicht-Game-of-Thrones-Fan interessieren. Zum Beispiel, dass in diesem Garten Szenen aus dem Film "Eichmann in Jerusalem" mit Franka Potente gedreht wurden. Oder dass die Filmindustrie nach dem Tourismus der wichtigste Wirtschaftszweig der Insel ist. "Malta ist so etwas wie ein Hollywood des Mittelmeers. Tom Cruise, Madonna, Russell Crowe, Joachim Phoenix, Brad Pitt, Angelina Jolie - sie alle haben hier bereits gedreht", sagt Malcolm und zählt Filme auf: "Gladiator", "Da Vinci Code", "Asterix", "Wicki und die starken Männer", "Troja", "Casino Royale", "Die Mumie", "Assassin’s Creed". Die Liste ließe sich nahezu endlos fortsetzen.
Dreh als Urlaubstrip
Malta hat in der Tat eine Menge zu bieten: Es gibt steinzeitliche Tempel, römische Gräben, Wehranlagen und Paläste, außerdem sonnige Badestrände und schroffe Steinküsten. In unterschiedlichen Filmen war die Mittelmeerinsel bereits in der Rolle Griechenlands zu sehen, aber auch als Israel, Peru, Irak, Südfrankreich oder Ita-lien. "Außerdem ist das Wetter gut. Ein Dreh auf Malta gleicht einem Kurztrip in den Urlaub. Ein weiterer Vorteil sind die geringen Distanzen. Die Filmteams können dadurch rasch die Location wechseln."
Vor unserer Windschutzscheibe erhebt sich auf einem Felsplateau eine ockerfarbene Stadt mit einer steinernen Kuppel und zwei Glockentürmen. Das ist, von dicken Festungsmauern umgeben, Mdina. Der Ort ist von weither in der kargen Landschaft sichtbar, und ich stelle mir vor, wie einst Ritter auf Pferden in ihre Richtung galoppierten, die rote Flagge des Johanniterordens in einer Hand. Bis ungefähr 1570 war Mdina Maltas Hauptstadt, dann verlegten die Ritter sie nach Valetta und damit ans Meer.
In Mdina leben heute rund 200 Menschen, und nur sie dürfen mit dem Auto vorfahren. "Deshalb wird Mdina auch die ‚stille Stadt‘ genannt. Unser Ziel ist das Haupttor", sagt Malcolm. Über den Bastionsgraben führt eine Brücke zu einem barocken Tor, das sich wie ein Mund in der dicken Festungsmauer öffnet. Ein Großmeister des Malteserordens ließ den Eingang 1724 errichten. Malcolm klappt einen Aktenordner auf, den er sich unter den Arm geklemmt hat. Er bewahrt darin Arbeitsmaterialien für seine Führung auf. Er blättert zu einem Bild mit einer Szene aus "Game of Thrones". Zu sehen ist genau der Ort, an dem wir stehen.
"Ihr könnt das Bild mit der Wirklichkeit vergleichen. Seht ihr? Das Tor erscheint im Film unverändert als Eingang zur Stadt Königsmund. Für die Serie wurden nur zusätzlich einige Bäume in den Garten gepflanzt. Und der Boden der Brücke wurde mit rotem Sand bestreut."
Direkt neben Mdina befindet sich Rabat. Die beiden Zwillingsstädte trennt ein großer Platz, auf dem Busse parken und Pferdekutschen auf Gäste warten. Wir sind auf dem Weg zu einem Kloster. Auf dem Weg dorthin lächeln Malcolm zwei Frauen an. "Ich bin schon ein bisschen berühmt", sagt er, als ich ihn auf die Blicke der Frauen anspreche. Er hat als Statist in zahlreichen international ausgestrahlten Filmen wie etwa "Troja" mitgewirkt, außerdem ist er in einer wöchentlichen Vorabendserie zu sehen. Von seinem Job als Schauspieler kann er aber nicht leben und arbeitet deshalb parallel bei einer Versicherungsgesellschaft, die ausländische Produktionsfirmen bei ihrem Dreh auf Malta berät.
"Ich weiß oft als Erster, welcher Film als nächster auf Malta geplant wird", sagt Malcolm. "Aber Diskretion ist alles!" Deshalb erzählt er auch keine Geschichten von Angelina Jolie, die "By the Sea" auf Malta gedreht hat und Malcolm zu ihrem Aufnahmeleiter am Set ernannt hat . . .
Gotteshaus für jeden Tag
Im Kloster betreten wir einen Innenhof, der uns mit seinem Kreuzgang in eine Vergangenheit versetzt, in der Mönche mit großen Kapuzen und gesenktem Haupt in stille Gebete versunken waren. Malcolm stellt sich in die Mitte des Innenhofs und erzählt mit leiser Stimme, dass hier eine Schlüsselszene der ersten "Game of Thrones"-Staffel gedreht wurde. Malta ist zwar voller Kirchen und Klöster, mehr als 365 soll es geben, für jeden Tag im Jahr ein Gotteshaus, doch diesen Dominikanerkonvent hätten wir ohne unseren Fremdenführer nicht entdeckt. Kaum ein Reiseführer erwähnt ihn.
Pünktlich zum Sonnenuntergang erreichen wir die Ghajn Tuffieha Bay an Maltas Nordwestküste. Das Wasser schwappt bis zum Horizont, und der Himmel legt sich wie ein rosafarbenes Tuch über die Landschaft. Der Anblick ist so schön, dass wir rasch vergessen, dass wir 197 Treppenstufen bis zur Bucht hinabsteigen mussten. Genau wie das Filmteam, das an diesem Strand den Film "Troja" des deutschen Regisseurs Wolfgang Petersen mit Brad Pitt gedreht hat. Auch Malcolm war dabei. "Es war am 11. Juli 2011, und ich bin diese Treppen genau 35 Mal rauf und runter gelaufen. Jedes Mal beladen mit ungefähr 60 Kilogramm schwerem Film-Equipment. Damals war ich ständig im Fitnessstudio, und alle nannten mich Muscle Man." Dann verrät er uns, dass der Name der Bucht Tomatenquelle (Tuffieha) bedeutet, da der Sand leicht rötlich gefärbt ist.
Unsere Filmtour neigt sich in Vittoriosa dem Ende zu, einem ehemaligen Fischerdorf, das zwei Meeresarme umschlingen. Direkt gegenüber des Städtchens erheben sich die Mauern Valettas wie die Klippen einer uneinnehmbaren Insel. Wir spazieren die Waterfront entlang, an der sich Barockpalast an Barockpalast reiht.
"Da Vinci Code"-Kulisse
Leise umspült das Meer Rümpfe millionenschwerer Yachten, und die Lichter der Restaurants spiegeln sich auf dem dunklen Wasser. Dieser Ort könnte eine extra errichtete Filmkulisse sein, doch die Hafenstraße und die italienisch anmutenden Gassen Vittoriosas gab es bereits im 16. Jahrhundert. "Damals existierte die Hauptstadt Valletta noch nicht, sie wurde erst ab 1565 geplant. Bis dahin lebten die Ritter in Vittoriosa - in Birgu vielmehr, so der ursprüngliche Name."
"Wenn euch das alles irgendwie bekannt vorkommt", fährt Malcolm fort und deutet mit einer ausholenden Geste die Promenade entlang und in das von ihr abzweigende Gassengewirr, "dann liegt das vielleicht daran, dass hier ,The Da Vinci Code‘ mit Tom Hanks gedreht wurde."
Doch mein Blick ist bereits geradeaus gewandert. Vor uns an der Spitze der Landzunge erhebt sich die mächtige Festung St. Angelo. Gelbes Scheinwerferlicht lässt die ockerfarbenen Steine der Mauern vor dem nachtblauen Himmel erstrahlen, dahinter glitzert das Meer wie ein Teppich aus Teer. Wann genau das Fort St. Angelo erbaut wurde, ist unklar. Als sicher gilt jedoch, dass sich die Ritter 1565 während der Belagerung durch die Osmanen erfolgreich von ihr aus verteidigten. Deshalb gaben sie Birgu auch den Beinamen Vittoriosa - die Siegreiche.
"Die Festung ist in einer ,Game of Thrones‘-Szene zu sehen, in der Arya eine Katze auf der Burg Roter Bergfried jagt", erzählt Malcolm. Für mich reicht es für den Augenblick mit Burgen und Serienhelden, deren Namen ich kaum aussprechen kann. Ich entferne mich und genieße den Blick auf die Festung, den Hafen und den Mond am Himmel. Und freue mich auf einen Film, der irgendetwas mit Schlaf zu tun hat.
Carola Hoffmeister hat Kunstgeschichte und Literaturwissenschaft studiert und arbeitet als Journalistin in Hamburg.