Ab Anfang April wird an den Instituten für Politikwissenschaften und Kriminalistik der Philipps-Universität in Marburg über die Justiz in Österreich zur Zeit des Nationalsozialismus geforscht. Das | vierjährige Projekt ist eine Kooperation mit dem Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes.
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Die Forschungsarbeiten werden von der Volkswagen-Stiftung finanziert. Vier Wisschafter und vier Studenten werden sowohl in Deutschland als auch in Österreich arbeiten.
"Wir haben Justizforschung im Bundesland Hessen betrieben und nun eine umfangreiche Datenbank über alle betroffenen Personen angelegt," erklärt der Projektleiter Wolfgang Form. Die Justizgeschichte
Österreichs während der NS-Diktatur ist noch nicht wissenschaftlich erforscht. Deshalb werden die Anklageschriften und Urteile des deutschen Volksgerichtshofs, aber auch des Oberlandesgerichtes in
Wien als Quellen herangezogen, rund 3.500 Fälle werden untersucht. In weiterer Folge sollen Profile der urteilenden Richter und Staatsanwälte erstellt werden. Darin soll der Lebenslauf und
Karriereweg der Justizbeamten detailliert festgehalten werden. "Ziel ist eine Profilanalyse der Justiztäter zu erstellen, die in der europäischen Justizforschung einmalig wäre," berichtet der
Kriminalwissenschafter Dieter Meurer, "es geht um die Frage: Können Gerichte gegen radikale Systeme resistent sein?".
Das Forschungsprojekt beschäftigt sich mit der Justiz bis 1945. "Ähnlich zum Fall des NS-Arztes Gross konnten die meisten Justizfunktionäre in der Zweiten Republik unbehelligt weiterarbeiten. Der
Oberbürgermeister von Linz war bis 1945 beisitzender Richter, und hatte bei vielen Todesurteilen Recht gesprochen," betont Wolfgang Neugebauer, Leiter des Dokumentationsarchivs.
Ab 1933 begann im Dritten Reich eine weitreichende Umstrukturierung der Gerichtsbarkeit. Richter und Staatsanwälte wurden auf ihre politische Gesinnung hin geprüft. "Das ,Berufsbeamtengesetz', das
1933 beschlossen wurde, setzte fest, dass Frauen, Juden und Nicht-Konforme keine Richter werden durften," erklärte der Politologe Wolfgang Form am Rande des Pressegespräches gegenüber der "Wiener
Zeitung". Die Umsetzung dieser Regelung ging in Österreich ab 1938 viel zügiger vorran, weil man bereits die Erfahrungen aus Deutschland kannte.
Unter die Räder der politischen Strafjustiz zur NS-Zeit konnten alle kommen, die durch kritische politische Äußerungen auffielen. Kommunisten, Sozialdemokraten, Linkssozialisten, Katholiken sogar
konservative Monarchisten wurden Justizopfer der Nazis. "Unangepasstes Verhalten, Reden, kritische Äußerungen, aber auch das Hören von ausländischen und deshalb feindlichen Radiosendern, wie Radio
Moskau oder BBC, konnte zu einer Verurteilung wegen Hochverrats führen, im schlimmsten Fall wurde die Todesstrafe verhängt," so das Fazit von Form. Nach "milderen" mehrjährigen Gefängnisstrafen
wurden die Verurteilten nicht entlassen, sondern der Gestapo übergeben und in ein Konzentrationslager überführt.