Milizen, Aufstände, Bürgerkriege: Das für Europa strategisch wichtige Horn von Afrika erlebt gerade gewaltsame Umbrüche.
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Mohammed Hamdan Daglo, genannt Hemeti, ist eine Mischung aus Kriegsfürst und Politiker. Der einstige Kamelhändler befehligte ab dem Jahr 2013 in der umkämpften Krisenregion Darfur die berüchtigten Rapid Support Forces (RSF), die für Sudans damaligen Diktator Omar al-Bashir Aufständische brutal bekämpften. Als dann vor drei Jahren der Volksaufstand gegen Bashir ausbrach, lösten die RSF ein Protestcamp in der Hauptstadt Khartum auf und verübten ein Massaker mit rund 100 Todesopfern.
Bashir ist gestürzt, doch weiterhin haben im Sudan vor allem die Generäle das Sagen. Und auch wenn Hemeti nicht die Nummer eins im regierenden Übergangsrat ist, gilt er als mächtigster Mann im Land.
Denn er ist auch ein international vernetzter millionenschwerer Geschäftsmann. Er verleiht Luxuskarossen ebenso wie Söldner - seine Soldaten stellte er für Einsätze in Libyen zur Verfügung wie auch für die von Saudi-Arabien angeführte Militärkoalition im Bürgerkrieg im Jemen. Offenbar - seine Geschäfte sind wenig transparent - besitzt Hemeti auch Goldminen, die er gemeinsam mit Russland ausbeutet.
Milizen ersetzen Armee
Die Geschichte von Hemeti ist ein Beispiel dafür, wie Milizen und ihre Anführer ganze Länder in Afrika dauerhaft destabilisieren. "Die Milizen verhindern die Entwicklung des Kontinents", sagt die aus Kamerun stammende Journalistin Marie Roger Biloa, die das in Paris erscheinende Magazin "Africa International" herausgibt.
Gerade der Sudan und das angrenzende Horn von Afrika zeigen, welchen Einfluss Milizen haben. So bediente sich in Äthiopien Präsident Abiy Ahmed bei seinem Feldzug gegen die aufständische TPLF, die aus Tigrinern besteht, nicht in erster Linie seines eigenen Militärs, sondern warf vor allem Milizen anderer Ethnien, etwa der Amhara, in die Schlacht. Und in Somalia ist der Übergang zwischen Clans und Milizen fließend, darüber hinaus beherrscht dort mit Al-Shabaab eine islamistische Terrormiliz weite Teile des Südens des Landes.
Laut dem französischen Konfliktforscher Roland Marchal, der wie die Journalistin Biloa bei einer vom Bruno Kreisky Forum und dem Wiener Institut VIDC organisierten Podiumsdiskussion in Wien teilnahm, befindet sich die gesamte Region in einer Umbruchphase. "Dabei werden für offene Fragen oftmals kriegerische und gewaltsame Lösungen gesucht", sagt der am Pariser Institut für Politikwissenschaften (Sciences Po) lehrende renommierte Forscher. "Vielleicht bilden sich neue politische Kräfte heraus, im Moment sehe ich aber vor allem Chaos."
Dabei würden Ordnungen, die sich nach dem Ende des Kalten Krieges gebildet haben, massiv ins Wanken geraten: Der Sudan wurde 30 Jahre lang von einer islamistischen Militärdiktatur beherrscht. Nun fordert eine säkulare Aufstandsbewegung die Generäle heraus, die sich dagegen mit aller Gewalt wehren.
Oder das Beispiel Äthiopien: Hier verwies die Journalistin Biola auf eine weitere Konsequenz des Bürgerkriegs. Das Land war als Föderation entlang ethnischer Gruppierungen organisiert und lieferte damit auch eine Idee, wie das Verhältnis von Politik und Ethnie in Afrika organisiert werden kann. Diesen Ansatz hat die tödliche Gewalt des Bürgerkrieges nun schwerst erschüttert.
Verkompliziert wird die ganze Situation noch dadurch, dass eine Reihe internationaler Akteure mitmischen: Dominierten nach Ende des Kalten Krieges noch Europa und die USA, wurde dies zunächst von China in Frage gestellt. Peking sucht Rohstoffe und neue Absatzmärkte für seine Firmen und bietet dafür Infrastruktur. Mittlerweile hat die Volksrepublik aber in Dschibuti, wo auch Soldaten aus den Vereinigten Staaten und Frankreich stationiert sind, auch seine erste Militärbasis in Afrika eröffnet.
Aber auch andere Akteure mischen mit: Der Türkei wird immer wieder vorgeworfen, dschihadistische Milizen zu unterstützen. Golfstaaten wie Saudi-Arabien, Katar oder die Vereinigten Arabischen Emirate tragen ihre Rivalitäten - auch über bewaffnete Gruppen, die sie unterstützen - auf afrikanischem Boden aus.
Und auch Russland hat seine alten Kontakte aus Sowjetzeiten reaktiviert. Es will an den Minen teilhaben und liefert dafür Waffen und militärische Unterstützung. Moskau besitze für afrikanische Herrscher noch einen weiteren Trumpf, sagt Marchal. "Es hat einen Sitz im UN-Sicherheitsrat und ist bereit, für seine Verbündeten ein Veto einzulegen."
Allerdings könne Russland keine Geschäfte anbieten, und mit China säßen die Länder schnell in der Schuldenfalle. So wandte sich Äthiopien, als es mit Peking seine Schulden neu verhandelte, wieder verstärkt den USA und Europa zu.
Seine wirtschaftliche Kraft ist auch der Hebel, wie Europa Einfluss nehmen kann. Militärisch will sich die EU nach der gescheiterten Afghanistan-Mission nicht erneut auf derartige Einsätze einlassen, wie Günther Barnet vom österreichischen Verteidigungsministerium ausführte. Dabei ist die Region rund um das Horn von Afrika für Europa strategisch enorm wichtig. Das betrifft Flüchtlingsbewegungen, aber auch den Handel: So wird der Großteil der Güter, die die EU mit Südostasien austauscht, über das Rote Meer verschifft.
Dürre sorgt für Hungerkrise
Das Horn von Afrika und seine Umgebung sind eine Region im Kreuzfeuer - von internen Konflikten und internationalen Akteuren, die nur allzu oft ihre eigene Interessen verfolgen. Zu all den politischen Problemen kommt nun auch noch eine humanitäre Katastrophe dazu: Nach einer verheerenden Dürre droht rund 20 Millionen Menschen eine Hungerkrise. Verschärft wird die Situation durch Russlands Angriffskrieg in der Ukraine. Nicht nur hat er die Getreidepreise in die Höhe getrieben. Russland und die Ukraine haben afrikanische Länder mit Weizen versorgt, der nun nur sehr schwer ersetzt werden kann.