Archäologen entdecken erstmals die Quartiere der Garde des Statthalters von Carnuntum.
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Carnuntum. Mit technischer Hilfe lüften sie die Geheimnisse des Untergrunds: Archäologen haben den Boden unter Carnuntum gescannt und dabei entdeckt, dass hinter dem antiken römischen Legionslager viel mehr steckt, als das Auge sieht. Mit Hilfe von Magnetfeld- und Bodenradarmessungen haben die Wiener Wissenschafter zunächst eine Gladiatorenschule (die "Wiener Zeitung" berichtete) und nun auch Quartiere der Leibgarde des Statthalters gefunden. Ihre Ergebnisse präsentierten die Forscher des Ludwig Boltzmann Instituts für Archäologische Prospektion und Virtuelle Archäologie (LBI ArchPro) am Mittwoch.
Die Lagerstadt Carnuntum östlich von Wien an den Ufern von Donau und March ist die größte archäologische Landschaft Mittel- und Südosteuropas. Fast die gesamte römische Stadt am Limes, die sich einst über eine Fläche von zehn Quadratkilometern erstreckte und bis ins dritte Jahrhundert dem Schutz der römischen Außengrenze diente, liegt heute unter den Feldern und Weingärten der Orte Petronell-Carnuntum und Bad Deutsch-Altenburg. Im Rahmen des Projekts "Gesamtprospektion Kernzone Carnuntum" des Landes Niederösterreich haben die Archäologen zusammen mit der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik von 2011 bis 2014 die Lagerstadt mit Magnetfeldsensoren und Bodenradar durchleuchtet. Die Daten-Auswertung zeigt, dass im Südbereich des (bereits bekannten) Statthalterpalastes die Kasernen der Statthaltergarde, genannt Singulares, liegen. Carnuntum ist der bisher einzige antike Standort, an dem nicht nur der Statthaltersitz, sondern auch sein Bewachungstrupp verortet wurde - selbst in Rom sind die Hinweise auf die kaiserliche Prätorianergarde ziemlich dünn.
"Geografisch teilt sich Carnuntum in die Gladiatorenschule mit dem Amphitheater auf der einen Seite und das Legionslager mit einer dörflichen Ansiedelung auf der anderen. Weiters gibt es mit dem Campus einen Exerzierplatz für Soldaten sowie den Sitz des Statthalters, der ein Palast war", sagt der Archäologe Wolfgang Neubauer, Leiter des LBI ArchPro und "Österreichischer Wissenschafter des Jahres" 2015.
Da die Quartiere der Leibgarde ungewöhnlich tief gelegen erbaut wurden, zeigen Luftbildaufnahmen keine topographischen Prägungen, die auf ein Lager im Untergrund schließen lassen. "Erst die prospektiven Messungen haben gezeigt, dass da etwas ist, weil die Hauptstraße zum Legionslager, entlang derer auch Gräber liegen, ihren Verlauf ändert, um Platz für Neubauten zu machen", erklärt Neubauer.
Die gescannten Grundrisse zeugen von Baracken, in denen immer zwei Räume zusammengehören und die größer und luxuriöser sind als jene des Legionslagers. Das Hauptgebäude der Offiziere, die Principia im Zentrum des Lagers, enthielt die Kriegskasse und das Fahnenheiligtum. Anders als das Legionslager war der Wohnort der Garde nicht massiv befestigt, sondern durch eine einfache Mauer abgegrenzt. "Es ist keine militärische Anlage, sondern diese Truppen waren dem Statthalter zugeordnet. Die Singulares waren Elitetruppen aus den besten Soldaten. Sie hatten ein angenehmeres Leben, aber auch die Aufgabe, wichtige Leute zu schützen", erläutert der Archäologe.
Weitergedacht, mussten sie wohl auch flexibel sein. "Es stellt sich die Frage, wo der Kaiser wohnte, wenn er nach Carnuntum kam. Wenn Mark Aurels Hotel die feinsten Gemächer im Palast des Statthalters waren, dann müssen die Prätorianer, die ihn begleiteten, wohl in den Lagern der Singulares gewohnt haben, die für die Dauer des Besuchs ins Legionslager umzogen", spekuliert er. Die Entdeckung der Quartiere postuliert auch, dass der Statthalter der Provinz Pannonia Superior sicher agieren konnte. Er war zu seinem Schutz nicht auf die im Lager stationierten Soldaten der 14. Legion angewiesen, sondern konnte auf von allen Limesstandorten extra abgestellte Einheiten vertrauen.