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Dürre am Horn von Afrika bedroht 10 Millionen Menschen. | Der Bürgerkrieg in Somalia verschärft die Lage zusätzlich.
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Nairobi. Wer es sich noch leisten kann, opfert Allah eine Ziege. Wer keines seiner Tiere mehr entbehren kann, hofft inständig darauf, dass es auch die täglichen Gebete allein tun werden. Doch die mit Hochleistungscomputern entwickelten Langzeitprognosen lassen beide Varianten als wenig erfolgsversprechend erscheinen. Auch in den nächsten Wochen ist am Horn von Afrika nicht mit Regen zu rechnen.
Im Grenzgebiet zwischen Kenia, Somalia und Äthiopien hat es allerdings auch schon in den vergangenen sieben Monaten keinen Niederschlag gegeben. Das Land liegt verdorrt da, die Böden sind rissig und das Vieh findet kaum noch Wasser. Und die UNO warnt nur zwei Jahre nach der letzten Katastrophe vor der schwersten Dürre seit 60 Jahren. Mehr als zehn Millionen Menschen in der Region sollen bereits von Hunger und Not betroffen sein.
Auch die ersten Bilder von ausgehungerten Kindern, die aus nicht viel mehr als Haut und Knochen bestehen, machen bereits wieder die Runde. Die Hilfsorganisation Oxfam, die nun ihren bisher größten Spendenappell für Afrika gestartet hat, spricht aber dennoch von der „größten vergessenen Krise der Welt”. Denn die Emotionen schürenden Fernsehbeiträge, die bei der äthiopischen Hungerkatastrophe in den 1980er Jahren eine unglaubliche Welle der Hilfsbereitschaft ausgelöst hatten, fehlen derzeit noch. Und das hat direkte Auswirkungen auf die zur Verfügung stehenden Hilfsgelder: Die bisher eingegangen Spenden lägen noch weit unter dem Bedarf , heißt es beim Welternährungsprogramm (WFP), beim Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen (Unicef) und Hilfsorganisationen übereinstimmend. Dabei ist es das Ziel der Helfer, diesmal vorher etwas zu unternehmen, und nicht erst dann, wenn die Hungeropfer kaum mehr zu retten sind.
In Somalia und in Nordkenia sind die meisten Menschen in den Dürregebieten Halbnomaden. Viele kämpfen in der kargen Halbwüste um das Überleben. Vor zwei Jahren haben die letzte Dürre und der Tod vieler Viehherden die Menschen in bittere Armut gestürzt. Nun ist der bescheidene seitdem erzielte Fortschritt erneut bedroht. „In manchen Gebieten sind bereits 60 Prozent der Herden gestorben”, warnt Jane Cocking von Oxfam. Das Kinderhilfswerk UNICEF geht zudem von derzeit 480.000 schwer unterernährten Kindern am Horn von Afrika aus - das ist selbst verglichen mit der Dürre 2009 ein Anstieg um 50 Prozent.
Am dramatischsten ist die Situation in Somalia, wo der seit 20 Jahren andauernde Bürgerkrieg schon mehrere hunderttausende Menschen in die Flüchtlingslager getrieben hat. Nun ist das Überleben noch einmal schwieriger und härter geworden - das ist auch im kenianischen Dadaab, wo das größte Flüchtlingslager der Welt liegt, immer stärker zu spüren. Rund 1400 Menschen aus Somalia kommen täglich hier an, oft nach wochenlangem Fußmarsch, barfuß und ausgehungert. Nicht allen kann noch geholfen werden. Viele der besonders geschwächten Kleinkinder sterben unterwegs.
„Jeder soll helfen”
Dadaab, das sich bereits zur drittgrößten „Stadt” Kenias entwickelt hat, ist mit derzeit 350.000 Flüchtlingen hoffnungslos überfüllt. Im ursprünglich für 90.000 Menschen ausgelegten Lager führen Enge und Verteilungskämpfe um die begrenzten Hilfsmöglichkeiten immer wieder zu Spannungen, erst vor wenigen Tagen kam es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen. Laut den Mitarbeitern der Hilfsorganisationen genügt oft nur ein kleiner Funke, um das ganze Pulverfass zum Explodieren zu bringen. Die EU stellte am Mittwoch in einer ersten Reaktion 5,7 Millionen Euro Soforthilfe für Dadaab bereit. „Die heftige Dürre macht die bereits schwierigen Lebensbedingungen unerträglich”, sagte die EU-Kommissarin für Krisenhilfe, Kristalina Georgijewa.
Wie ernst die Lage am Horn von Afrika tatsächlich ist, zeigt auch ein bis vor kurzem noch undenkbares Angebot. Die fundamentalistischen Al-Shabaab-Milizen, die weite Teile Südsomalias kontrollieren, haben angesichts der Dürre um internationale Hilfe gebeten. Jeder, der zu helfen bereit sei, ob Muslim oder Nicht-Muslim, sei willkommen, sagte Shabaab-Sprecher Scheich Ali Mohammed Rage am Mittwoch. Noch 2009 hatten die islamistischen Aufständischen den Hilfsorganisationen vorgeworfen, anti-muslimisch zu sein und ihnen die Arbeit in ihren Gebieten verboten.