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2G-Regeln und Druck auf Ungeimpfte gibt es in Spanien und Portugal nicht. Denn nirgendwo in Europa ist die Impfbereitschaft größer. Woran liegt das?
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Vor dem kleinen Madrider Konzertsaal Sala Galileo Galilei bildet sich eine Schlange. Der spanische Gitarrist Juan José Robles und seine Band stellen ihr neues Album vor. Nach und nach winkt Türsteher Domingo Prieto die Konzertbesucher durch. Nach einem Impfpass oder Covid-Test fragt Domingo beim Einlass erst gar nicht. "Warum auch? Hier ist doch praktisch jeder geimpft", sagt der Türsteher.
Tatsächlich ist die Covid-Impfquote in Spanien erstaunlich hoch. 89 Prozent aller über 12-jährigen Spanier sind bereits vollständig geimpft, 90,4 Prozent haben zumindest eine Dosis erhalten. Es ist ein Grund dafür, dass die Sieben-Tage-Inzidenz in Spanien mit derzeit 35,82 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner immer noch relativ niedrig ist. Auch wenn sie in den vergangenen Wochen wieder ansteigt, da mit den sinkenden Temperaturen sich auch das Leben in Spanien wieder mehr in den Innenbereich verlagert.
Doch während Österreich seit Montag mit 2G-Regeln die Impfverweigerer zur Besinnung rufen will, um einen neuen Lockdown vor Weihnachten zu verhindern und die explodierenden Neuinfektionszahlen zu bekämpfen, sieht sich Spanien nicht gezwungen, irgendwelche Impfwerbekampagnen zu starten oder gar Druck auf die noch Ungeimpften aufzubauen. Selbst die Auffrischungsimpfungen treffen auf große Akzeptanz.
Zentralisiertes System
Frankreich droht den Älteren damit, die Gesundheitspässe werden ihre Gültigkeit verlieren, wenn sie keine dritte Booster-Impfung vornehmen lassen. In Spanien lassen sich die über 70-Jährigen seit Anfang Oktober ganz selbstverständlich eine Auffrischungsimpfung verabreichen. Laut Angaben des spanischen Gesundheitsministeriums sind sowieso schon 100 Prozent aller über 80-Jährigen geimpft. Bei den 70- bis 79-Jährigen liegt die Quote bei über 98 Prozent, in der Altersgruppe zwischen 60 und 69 Jahren immerhin bei 92 Prozent.
Aber woher kommt diese hohe Impfbereitschaft der Spanier? "Dafür gibt es eine ganze Reihe von Erklärungen, die vom staatlichen Gesundheitssystem bis hin zum gesellschaftlichen Solidaritätsprinzip reicht", stellt Amós García Rojas, Präsident der spanischen Gesellschaft für Immunologie, im Gespräch mit der "Wiener Zeitung" klar. Anders als in Österreich haben die Spanier keine Hausärzte, sondern lassen sich in öffentlichen Gesundheitszentren behandeln, in denen teilweise auch Fachärzte arbeiten. "Das spanische Gesundheitssystem ist dadurch stärker zentralisiert und funktioniert sehr gut. Durch die jährlichen Grippe-Massenimpfungen waren die Teams und das System zudem bestens auf eine zügige, gut durchstrukturierte und hindernisfreie Covid-Impfkampagne vorbereitet", versichert García Rojas.
Geimpft wurde in großen Impfzentren wie Fußballstadien, Konzerthallen oder Stierkampfarenen. Die Spanier brauchten auch keinen Impfterminen hinterherlaufen. Sie wurden per Telefon, SMS oder Brief über ihren persönlichen Impftermin direkt vom Gesundheitszentrum informiert.
Ein weiterer Grund für die hohe Impfbereitschaft in Spanien ist das Trauma der ersten Corona-Welle im Frühjahr 2020, die immer noch in den Köpfen der Menschen anhält, meint der Präsident der spanischen Gesellschaft für Immunologie. Damals starben binnen weniger Wochen über 30.000 Menschen an den Folgen einer Covid-Erkrankung. "Gesellschaftliche Solidarität vor allem mit älteren Menschen hat in einem Land wie Spanien, in dem viele Generationen heute noch unter einem Dach leben, einen vielleicht größeren Stellenwert als in Zentraleuropa", meint García Rojas.
Der im Vergleich zu Österreich extrem harte Lockdown war für viele Menschen zudem sehr traumatisch. Niemand möchte so etwas wieder erleben. All diese Gründe spielen eine wichtige Rolle dabei, dass laut jüngsten Umfragen des staatlichen Meinungsforschungsinstituts CIS nur 2,5 Prozent der Bevölkerung angeben, sich nicht impfen lassen zu wollen.
Ein Admiral am Steuer
Impfverweigerer gibt es also kaum in Spanien - geschweige denn organisierte Impfgegnergruppen. Ähnlich sieht die Situation im benachbarten Portugal aus. Hier sind 86,4 Prozent aller über 12-Jährigen komplett geimpft, 87,7 Prozent haben zumindest eine Dosis erhalten. Schaut man sich die Zahlen bei den über 25-Jährigen an, kann Portugal sogar eine 98-prozentige Impfquote aufweisen.
Zahlen, von denen man im bevölkerungsmäßig etwa gleich großen Österreich derzeit nur träumen kann. Auch in Portugal hat die hohe Impfbereitschaft mit einem ähnlich strukturierten und stark zentralisierten Gesundheitssystem wie in Spanien zu tun. Spätestens als im Februar der einstige U-Boot-Kommandant und Vizeadmiral Henrique Gouveia e Melor die Covid-Impfkampagne generalstabmäßig organisierte, stieg das Vertrauen der Portugiesen in die Covid-Impfungen. Wer nicht selbst aktiv einen Termin anforderte, erhielt wenige Tage später automatisch eine SMS mit einem Datumsvorschlag.
Impfaffine Portugiesen
Zu Beginn blieb Portugal relativ von der Corona-Pandemie verschont. Doch im letzten Winter wurde Portugal gerade von der britischen Delta-Variante mit voller Wucht erwischt: Die Infektionszahlen explodierten, Krankenwagen standen Schlange vor den Krankenhäusern, Tausende starben. "Das trieb die Bereitschaft, sich impfen zu lassen, nochmals an", bestätigt auch die portugiesische Gesundheitsexpertin Cristiana Bastos.
Generell waren die Portugiesen aber schon immer eine impfaffine Bevölkerung, meint Bastos. Das habe auch damit zu tun, dass Portugal noch bis weit in die 1970er Jahre mit den dramatischen Folgen von Kinderlähmung und Masern zu kämpfen hatte, die allerdings mit sehr erfolgreichen Impfkampagnen besiegt werden konnte.
Es ist aber auch das gesellschaftliche Solidaritätsprinzip eines sehr katholisch geprägten Landes, welches zu einer derart hohen Impfbereitschaft beiträgt. Laut einer Eurobarometer-Umfrage sehen 80 Prozent der Portugiesen die Impfung sogar als eine "Bürgerpflicht" an.