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Das identitäre Problem der Regierung

Von Jan Michael Marchart

Politik

Das Problem der FPÖ mit dem rechten Rand endet nicht mit den Identitären. Dort beginnt es erst.


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Wien. Hätte der rechtsextreme Christchurch-Attentäter nicht 1500 Euro an Identitären-Chef Martin Sellner gespendet, das Thema Rechtsextremismus und dessen Verquickungen mit den Freiheitlichen wäre wohl ein Randthema geblieben. Tatsächlich ist viel von dem, das in den vergangenen Tagen berichtet wurde, gar nicht neu, das meiste war sogar vor Regierungsbeteiligung der Blauen bekannt.

Die freiheitlich-identitären Verstrickungen werden seit Jahren säuberlich dokumentiert. Von Gemeinderäten aufwärts sprachen blaue Spitzenpolitiker auf Veranstaltungen vor und von Identitären, sie marschierten bei Demonstrationen mit, der heutige Innenminister Herbert Kickl hielt 2016 beim rechtsextremen Kongress "Verteidiger Europas" in Linz eine medial berichtete Eröffnungsrede (Identitäre waren dabei) und Parteichef Heinz-Christian Strache sympathisierte noch 2016 via Facebook mit den Identitären. Der Vorstandsbeschluss, keine Identitären als Funktionsträger in der FPÖ zu akzeptieren, stammt aus dem Vorjahr. Also nach Eintritt in die Regierung mit der ÖVP.

Kurz macht Druck

Ungewöhnlich klar distanzierte sich Kanzler Sebastian Kurz nun aber am Mittwoch beim Ministerrat von den Identitären, die er konsequent als "Rechtsextreme" und als "widerlich" bezeichnete. Für Andreas Peham, den Rechtsextremismusexperten vom Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstands (DÖW), ist das auch die richtige Definition: Als rechtsextrem definierbar seien die Identitären wegen ihrer Überordnung des "Volkes" als "organische Gemeinschaft", die vor dem Zerfall stünde. Weniger die Muslime seien die Bedrohung als der "zersetzende" Liberalismus und Multikulturalismus. Die Identitären fordern die "säuberliche" Trennung der Völker und kämpfen gegen die kulturelle Vermischung.

Peham bezeichnet die Identitären auch als neofaschistisch. Einerseits würden sie sich vom Nationalsozialismus abgrenzen, aber sie würden häufig in popkultureller Form einen Bezug zum historischen Faschismus aufweisen, indem sie etwa den Schlachtruf der spanischen Faschisten "Viva la muerte" auf T-Shirts drucken.

Identitäre sind kleine Gruppe

Quantitativ seien die Identitären klein, sagt Peham, er schätzt die Zahl der formalen Mitglieder auf acht, sie seien Teil des organisatorisch-intellektuellen Zentrums. Darüber hinaus gibt es weitere nicht offizielle Mitglieder der Identitären. Aber der heimische Rechtsextremismus besteht nicht nur aus dieser Gruppe. Den harten Kern der militant Rechtsextremen schätzt Peham auf 1000 Personen. Immer wieder seien auf kommunaler Ebene bei Wahlen Neonazigruppen durchgerutscht, die maximal zwei Prozent erhalten hätten. "Das sind auf die Bevölkerung umgelegt die Leute, die bereit sind, eine solche Partei zu wählen." Der aktive Kaderstamm sei aber relativ klein, und in diesem harten Kern wiederum seien Identitäre mit rund 50 Personen vertreten.

So gut wie alle relevanten Kader der Identitären seien in deutschnationalen und völkischen Verbindungen, die in der Szene den Ton angeben, weil sie gebildeter seien und in anderen Szenen des Rechtsextremismus bis hin zum verbotenen Teil Neonazismus Führungspositionen innehätten. Darüber hinaus ist ein großer Teil der FPÖ-Politiker Mitglied in einer Burschenschaft.

Die neue Jugendorganisation

Die Identitären hätten laut Peham den Ring Freiheitlicher Jugend (RFJ), die Jugendorganisation der FPÖ, abgelöst, weil der Ring die Grenze am rechten Rand ausgereizt habe. In Tirol wurde der von Neonazis unterwanderte Ring 2010 von der eigenen Landespartei nach dem Verbotsgesetz angezeigt und aufgelöst.

Nun seien die Identitären eine Jugendorganisation, derer sich die FPÖ in gewisser Weise bedienen könne, und sie seien eine Rekrutierungsorganisation für die verstaubten Burschenschaften, sagt Peham, "um die jungen Männer an das Milieu zu gewöhnen". Der Forscher beobachtete 15-Jährige, die zunächst bei den Identitären waren und dann zu Burschenschaften wechselten. Zwischen RFJ und Identitären gebe es auch Arbeitsteilung. Die jungen Blauen im Burgenland warben laut Peham etwa mit "Wer Identitäre Inhalte teilt, wählt FPÖ".

Wie eng verwoben FPÖ, Identitäre und Burschenschaften sind, zeigt sich am Netzwerk des rechtsextremen Magazins "Info-Direkt", das ein Naheverhältnis zu identitären Inhalten pflegt. Daran sind zwei FPÖ-Mitarbeiter beteiligt, beide sind Burschenschafter.

Das Problem der Regierung und für Kurz mit dem rechtsextremen Rand der FPÖ endet also nicht mit der Distanz zu den Identitären. "Es reicht viel weiter", sagt Peham. Laut dem Rechtsextremismusexperten sei das gesamte Netz des deutschnationalen Lagers innerhalb der FPÖ ein Problem. Dieses sei nicht zur Gänze, aber zu weiten Teilen rechtsextrem. Da die FPÖ Teil der Szene sei, werde dieses immer ein Problem bleiben. "Außer man streicht, wie Jörg Haider einst, das Bekenntnis zur deutschen Volksgemeinschaft - der ist aber daran gescheitert."

Der Konflikt innerhalb der Regierung wird sich nicht so rasch auflösen. Der ehemalige FPÖ-Abgeordnete und Herausgeber der deutschnationalen Wochenzeitung "Zur Zeit", Andreas Mölzer, hatte in Ö1 anklingen lassen, dass sich der rechte Rand im Kampf um die Identitären nicht einfach so geschlagen geben werde. In der Online-Ausgabe von "Zur Zeit" fanden sich am Freitag zwei Artikel, die Kanzler Kurz in die Mangel nahmen - einer endete drastisch: "Wenn er die FPÖ nicht dulden kann, dann soll er die Konsequenz daraus ziehen und die Koalition beenden."