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Der Obmann Adam Biseav vom Verein "Toleranz" möchte die tschetschenische Community in ein positiveres Licht rücken.
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Wien. Für österreichische Tschetschenen sind die Lebensumstände alles andere als rosig, die Klischees reichen von "gewalttätigen Übergriffen", "unintegrierten Jugendlichen" bis zu den "Dschihadisten". "Diese Vorurteile tragen wir immer noch mit uns rum, weil sich eben niemand öffentlich zum Gegenteil bekennt", meint Adam Bisaev.
"Dass wir gewaltbereite Terroristen sind, spricht sich weltweit seit dem ersten tschetschenischen Krieg von 1994 bis 1996 herum." Bevor der Akademiker 2003 nach Österreich übersiedelte, war er als Ingenieur für Bauwesen sowie in der Stadtverwaltung von Grosny, der Hauptstadt Tschetscheniens, tätig. In Österreich fasste er mit der Gründung eines Karateklubs Fuß, jedoch sei der Sport "immer nur nebenberuflich" gewesen. "Seitdem ich hier lebe, beschäftige ich mich intensiv mit der tschetschenischen Community", erzählt Bisaev. Da er viel mit Jugendlichen zu tun hatte und hier Potenzial witterte, schloss er eine Ausbildung als Integrationscoach ab.
Der gebürtige Tschetschene ist Klubobmann von "Toleranz", ein Verein für Bildung, Erziehung und Kultur, sowie Präsident seines Kampfsportklubs "Austria Organization of Karate Kyokushinkaihan". Außerdem ist er auch Vorstandsmitglied der europäisch-tschetschenischen Gesellschaft.
Dass die Tschetschenen jahrelang passiv waren und sich medial nicht repräsentiert haben, sei Bisaev bewusst, die Schuld trage unter anderem auch die tschetschenische Community. Dennoch sei jetzt die Zeit gekommen, Gegenbeispiele zu zeigen. "Unzählige studieren, haben einen tollen Job, sind angepasst. Von denen hört oder liest man nie in den Medien", bemängelt er. Deswegen müsse man sich mehr engagieren und auf positiver Weise laut werden, damit in puncto Medien das Image der Tschetschenen gebessert werden kann.
Er nahm sich der tschetschenischen Gesellschaft in Österreich, speziell Wien, an und rief mit Gleichgesinnten den Verein "Toleranz" ins Leben. "Es sollte primär eine Ausbildungs- und Beratungsstelle für Jugendliche und deren Eltern sein", erklärt der Vater von drei Kindern. Dabei haben sich schon vor einigen Jahren tschetschenische Frauen zu einer Plattform zusammengeschlossen, mit dem Ziel, sich durch Deutschkurse und sozialem Engagement zu integrieren.
"Eine schwere Geburt"
Die Politik Tschetscheniens versuche man in "Toleranz" herauszuhalten, nur so könne der Verein existieren. "Wir sind eine gespaltene Community, für oder gegen Russland, Freund oder Feind. Es herrscht einfach konstantes Misstrauen", so Bisaev. Leicht war es nicht, sich als Verein für die tschetschenische Gesellschaft zu etablieren, denn "viele hätten Angst, dass diese Machtposition missbraucht werden könnte".
Der Dachverband, der sich aus einem Rat von Tschetschenen und Inguschen zusammensetzt, besteht schon seit 2014. "Es war eine schwere Geburt", sagt Bisaev und lacht. "Dennoch sind positive Tendenzen bemerkbar."
Vor kurzem fand auch eine Jugendkonferenz statt, da auch ein Jugendrat zustande kommen soll. "Die Jugendlichen brauchen Vorbilder", sagt Bisaev. Deswegen seien in erster Linie Sportverbände ihre Ansprechpartner. Man möchte besonders Jugendliche aufgrund ihrer beeindruckenden Sportleistungen oder anderen fachlichen Kompetenzen hervorheben. Diese könnten durch ihre persönlichen Erfolgsgeschichten Gleichaltrige motivieren und als Vorbilder dienen.
Rund um den Verein sollen auch andere Projekte zustande kommen, die nicht nur der tschetschenischen Community zugutekommen sollen. "Der Verband ist quasi das Hauptorgan und soll alles andere koordinieren, so können wir effektiver mit anderen Institutionen zusammenarbeiten", meint der Integrationscoach. Wichtig sei jetzt vor allem, dass die Tschetschenen "endlich eine Struktur unter sich haben", sodass sie sich optimal in der österreichischen Gesellschaft zurechtfinden können. "Wir müssen hier Fuß fassen, unsere Kinder erziehen, uns an die Gesellschaft anpassen und ihr auch etwas zurückgeben", appelliert der Klubobmann an seine Community.
Fehlende Kompetenzen
Der Schwerpunkt wird momentan auf eine mobile Beratungsstelle und Mediation für Jugendliche gesetzt. Der Clou daran: Tschetschenische Coaches sollen den Jugendlichen zur Seite stehen, denn schließlich kennen sie sich mit deren Herkunft, Mentalität und Geschichte aus. Wichtige Kenntnisse, mit denen man auf die Teenager zugehen kann.
"Es wird stets klassisch pädagogisch auf sie eingegangen, es wird aber keinerlei Rücksicht auf ihre kulturellen Hintergründe genommen. Damit verlieren die Pädagogen dann aber oft ihren Status als Autoritätsperson", meint der Integrationscoach. Was wiederum ein gefundenes Fressen für die Medien bedeuten würde.
Bisaev bemängelt die fehlende Kompetenz seitens der Lehrer und Pädagogen, es müsse mit mehr Tschetschenenkenntnis und Taktgefühl vorgegangen werden, meint er. Nur so könne man die Nachteile in Vorteile umwandeln. Diese positiven Auswirkungen könne man wiederum optimal nützen. "Auf der einen Seite kennen wir die Denkweisen und Einstellungen der Jugendlichen und können damit kompetent umgehen. Auf der anderen Seite müssen wir alle fleißig und diszipliniert sein, uns gut präsentieren", so der Klubobmann.
Adam Bisaev möchte zusätzlich Veranstaltungen planen, die den Wienern die tschetschenische Kultur, Geschichte und deren Menschen näherbringen sollen. Weiters würde er auch gerne das Bildungsangebot für die österreichischen Tschetschenen erweitern und verbessern. "Bis jetzt hat jeder für sich gelebt und es wird wahrscheinlich auch etwas dauern, bis alle an einem Strang ziehen. Aber der Wunsch an Veränderung ist da", sagt Bisaev voller Zuversicht.
Sein Wunsch ist, dass die in Österreich lebenden Tschetschenen ihrem neuen Heimatort auch Dankbarkeit zeigen. "Wir leben hier in Sicherheit und Frieden, haben eine Unterkunft. Da ist es wichtig, durch unsere Leistungen Österreich etwas zurückzugeben", so Bisaev.