Warum ein Blick auf die fauligen Online-Feuchtbiotope durchaus interessante politische Erkenntnisse ermöglicht.
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Barbara Prammer war noch nicht einmal begraben, da notierte ein halbwegs bekannter Wiener Arzt geschmackssicher auf Facebook: "Ich trauere nicht um Barbara Prammer, die Welt ist jetzt ein bisschen besser geworden. Der Charly Blecha fehlt jetzt noch . . ."
Im selben Medium ätzte fast zeitgleich ein Regionalpolitiker in Oberösterreich über einen chinesischen Imbissstand-Betreiber in sprachlich wie inhaltlich unorthodoxer Art und Weise: "Ratten gibt es auch bei Dir zum essen hoffe dein lulu ist nicht so gelb wie bei den reis kochen dein schwanz muss soo lange und so schwarz wie bei einem nigger sein." Nach dem Tod des Schauspielers Robin Williams war stundenlang im Online-Forum der noblen Hamburger "Zeit" zu lesen: "Dreckiger US - Kriegfanatiker frisst Scheiße! Was für eine herrliche Nachricht. Eine dumme Amisau weniger. Danke dir lieber Gott. Weg mit dem Ami-Dreck." Und nach einem etwas entgleisten Interview der ORF-Journalistin Lisa Gadenstätter mit einem Sprecher der türkischen Community gehörte "Du dumme Hure" noch zu den subtileren Meinungsäußerungen.
Es vergeht kaum noch ein Tag, an dem nicht irgendwo im Feuchtbiotop Internet derartige Sauereien nachzulesen sind, oft nicht einmal anonym, sondern in einer Mischung aus intellektueller Unterausstattung und charakterlicher Deformation sogar mit dem richtigen Namen des verbal Flatulierenden versehen. Denn dass ein Arzt jemandem schriftlich den Tod wünscht, ein Politiker im Jahr 2014 was von "Niggern" daherlallt und ein vermutlich wahlberechtigter Bürger den Suizid eines Schauspielers "herrlich" findet, zeugt weder von einer minimalen Grundintelligenz noch von einem homöopathischen Vorhandensein von Anstand.
Der naheliegende Verdacht, das Internet im Allgemeinen und die Social Media im Besonderen produzierten derartigen Müll, verkennt freilich Ursache und Wirkung. Denn völlig geschmacksbefreite Anpöbler, Stänkerer und Verbalaggressoren gab es schon davor, vermutlich nicht mehr oder weniger als heute. Nur sind diese Typen heute wesentlich besser sichtbar. Was früher im Papierkorb einer Redaktion gelandet wäre, ist heute auf digitalen Pinnwänden und Timelines öffentlich. Ob eine Klarnamen-Pflicht im Internet Abhilfe schaffen kann, ist zweifelhaft. Erstens ist sie technisch nur mühsam durchzusetzen, zweitens sondern ja viele selbst unter ihrem eigenen Namen Unsägliches ab.
Diese Feuchtgebiete liefern aber auch, so man seelisch für Vermessung und Analyse robust genug ist, durchaus relevante Informationen über den Zustand der Gesellschaft: Denn sie legen ziemlich gut sichtbar bloß, welche Fehlentwicklungen sich in einer Wirklichkeit gerade anbahnen, mit der Politiker wie Medienmenschen normalerweise nicht mehr übertrieben viel Kontakt haben. Dass sich etwa im migrantischen Milieu teilweise gröberer Antisemitismus formiert, war in den Kloaken des Internets viel früher spürbar als in der analogen Welt; so wie die Hasswellen gegen Conchita Wurst Indikatoren dafür waren, wie es mit der Toleranz in diesem Land wirklich bestellt ist. Was in den Sozialen Netzwerken so vor sich hin gammelt, spiegelt eben auch einen Teil der Wirklichkeit wider - und gibt frühzeitig Hinweise, wo gerade wieder etwas gründlich schiefläuft.