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Das Internet muss grüner werden

Von Werner Neubauer

Gastkommentare
Werner Neubauer ist CEO des börsennotierten Netzwerkausrüsters UET AG mit Sitz in Eschborn. Im Laufe seiner Karriere hatte der Österreicher zahlreiche Führungspositionen in Unternehmen der Telekommunikationsindustrie inne, einschließlich internationaler Positionen in Skandinavien und den USA für Ericsson.
© UET AG

Der Druck auf die Branche wächst, einen größeren Beitrag zum Klimaschutz zu leisten.


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In der teilweise aggressiven Debatte um mehr Nachhaltigkeit wird häufig übersehen, dass die Telekom- und Internet-Branche derzeit bereits für 3 bis 4 Prozent des globalen CO2-Ausstoßes verantwortlich ist. Das ist rund doppelt so viel wie die Emissionen der privaten Luftfahrt. Und das Schlimmste: Der Anteil der Kommunikationsbranche steigt durch den zunehmenden Datenverkehr über das Internet fast unbemerkt und dabei überproportional. Durch die globale Pandemie und den damit verbundenen Boom der Heimarbeit wuchs der Hunger nach Bandbreite. Eine Studie der Unternehmensberatung Boston Consulting Group geht daher von einer Zunahme von jährlich rund 60 Prozent aus. Vor diesem Hintergrund ist es notwendig, endlich zu handeln.

Der Druck auf die Telekommunikationsindustrie wächst also. Die Kunden erwarten einen größeren Beitrag zu mehr Klimaschutz. Nachhaltigkeit wird zunehmend zu einem Wettbewerbsvorteil in der Branche. Aber auch die gestiegenen Energiepreise durch den Ukraine-Krieg, allen voran für Strom, verstärken den Handlungsdruck auf Telekomkonzerne, Netzausrüster, Chiphersteller und andere Marktteilnehmer.

Ressourcen sparen, mehr Recycling ermöglichen

Allein mit Strom aus Sonnen-, Wind- und Wasserkraft oder gar emissionsfreier, aber umstrittener Atomkraft werden wir die Herausforderungen nicht lösen können. Um ein grünes Internet zu schaffen, braucht es künftig sehr viel größere Anstrengungen, um stärker Ressourcen zu sparen und mehr Recycling zu ermöglichen. Die Telekommunikationsindustrie ist dringend gefordert, sowohl ihre CO2-Emissionen als auch ihre Abfälle zu reduzieren. Jeder Bürger verursacht in westlichen Industrieländern wie Österreich rund 20 Kilo Elektroschrott pro Jahr. Das Gros entfällt auf Informationstechnologie- und Telekommunikationsgeräte.

Laut dem Institute for Training and Research der UNO wird nicht einmal ein Fünftel des Elektroschrotts gesammelt und recycelt. Hochwertige Materialien wie Gold, Silber, Kupfer, Platin und seltene Erden werden größtenteils deponiert oder verbrannt statt zur Wiederverwendung gesammelt. Und noch immer gibt es nur eine geringe Transparenz, was den realen ökologischen Fußabdruck betrifft. Das gilt auch für Zulieferer wie Netzwerkausrüster.

Wir müssen uns als Branche - vom mittelständischen Unternehmen bis zu den internationalen Konzernen - stärker anstrengen, einen nachhaltigen, energieeffizienten und klimaneutralen Datenverkehr weltweit zu ermöglichen. Die zentrale Frage lautet: Engagiert sich die Telekombranche tatsächlich an der richtigen Stelle für mehr Nachhaltigkeit? Auf dem Weg zu nachhaltigeren Kommunikationssystemen spielt grüne Hardware eine Schlüsselrolle. Mit unkonventioneller Forschung und Entwicklung können wir es schaffen, ein schnelleres und einfacheres Recycling zu ermöglichen.

Durch den Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) lassen sich beispielsweise Wartungseinsätze vor Ort verringern und auch anstehende Betriebsfehler in Netzwerken frühzeitig erkennen. Für uns als Netzwerkausrüster heißt das, unsere hochtechnologischen Produkte sowohl in Hard- als auch Software für das grüne Internet von Beginn an auf diesen ökologischen Betrieb inklusive Kreislaufwirtschaft auszurichten. Die Ziele sind, die Ressourcen zu schonen und die Wiederverwertbarkeit zu verbessern.

Für die gesamte Branche wird es nicht nur darum gehen, die Netze schneller und sicherer zu machen, sondern auch nachhaltiger, über einen niedrigen Energieverbrauch. Richtig eingesetzt hilft die neue 5G-Technik beispielsweise, den Energieaufwand von Mobilfunknetzen erheblich zu verringern. Während in der Vergangenheit die Errichtung und der Betrieb von Übertragungssystemen im Mittelpunkt standen, entstehen heute - auch für 5G Netze - viele und überdimensionale Rechenzentren zur Verarbeitung der Daten für die Übertragung. Alles wird in der Cloud erfasst, geprüft und schließlich verteilt.

Mehr Nachhaltigkeit statt Preiskampf um Kunden

Die Ökobilanz von Netzwerkkomponenten zum Betrieb der Netze zeigt die Entwicklung: 90 Prozent der Belastung, primär durch Energieaufwand, entfallen auf den Betrieb. Von den restlichen 10 Prozent entstehen 75 Prozent vor allem durch die Logistik, insbesondere für den Transport von Hardware aus China zum Kunden in Europa. Hier verfügen wir über die Hebel, um unser digitales Ökosystem künftig sehr viel nachhaltiger zu gestalten.

Wir müssen uns als digitalisierte Gesellschaft die zentrale Frage stellen, wie sehr neue digitale Anwendungen zum Wohle der Gesellschaft beitragen. Schaffen wir mit neuen virtuellen Welten Milliardenmärkte und immer auch nachhaltigen Nutzen? Verstellt die Faszination von technischen Möglichkeiten zur Unterhaltung den Blick in eine nachhaltige Zukunft?

Doch es gibt auch Hoffnung. Die durch den Ukraine-Krieg stark gestiegenen Energiepreise können die Entwicklung zu mehr Nachhaltigkeit beschleunigen. Das grüne Internet muss auf dem Fundament eines Zusammenspiels von geringem Energieaufwand und laufender Wiederverwendung von Ressourcen gebaut werden. Architektur und Entwicklung müssen darauf ausgerichtet werden.

Die Initiativen der EU-Kommission und des EU-Parlaments gehen in die richtige Richtung. Mit niedrigem Wartungsaufwand und Wiederverwendbarkeit wird in Zukunft vieles möglich werden. Wir als Netzwerkausrüster, der seit Jahrzehnten Hard- und Software in die größten Telekommunikationsnetze liefert, leisten bereits heute einen Beitrag, der auf die Klimaziele der Netzbetreiber direkt einzahlt. Durch Verzahnung mit allen Beteiligten müssen diese Anstrengungen jedoch verstärkt werden, um das volle Potenzial zu nutzen.

Die Internet- und Telekommunikationsbranche hat die einmalige Chance, einen zentralen Beitrag zur Ökologisierung der Wirtschaft zu leisten. Mit nachhaltigen, intelligenten Produkten und Lösungen wie der Dematerialisierung kann sie ihre Emissionen an Treibhausgasen in Zukunft reduzieren. Es genügt nicht, erst im Jahr 2050 klimaneutral sein zu wollen, wie die meisten großen Telekomkonzerne versprechen.

Angesichts der Dramatik des Klimawandels müssen jetzt die Investitionen in das grüne Internet erfolgen. Es kann in diesen außergewöhnlichen Zeiten für die Branche nicht weiter darum gehen, in harten Verhandlungen stets die Preise innerhalb der Branche zu drücken. Durch die Schwierigkeiten in den Lieferketten hat der Druck sowohl auf Ein- als auch auf Verkäufer noch zugenommen. Auch für Telekomunternehmen wird merkbar werden, dass vor allem neue, junge Kundengruppe auf Nachhaltigkeit Wert legen und Verhalten und Einkaufsentscheidungen danach ausrichten. Es besteht das Risiko, zu übersehen, dass mit größerer Nachhaltigkeit auch eine größere Loyalität bei Kunden erreicht werden kann als nur mit einem Preiskampf an der Ladentheke.

Von größter Wichtigkeit in dieser Situation ist es, große und entscheidende Investitionen jetzt zu tätigen, um eine grüne Digitalinfrastruktur real werden zu lassen. Ein nachhaltiges, grünes Internet ist möglich. Doch dafür muss die Branche sehr viel mehr Ehrgeiz als bisher entwickeln.