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"Das ist Betrug an der Gesellschaft"

Von Thomas Pressberger

Politik
Das schlimmste Beispiel in seiner Wirkung für den öffentlichen Raum sei der Komplex Wien Mitte (links hinten), sagt Friedmund Hueber.
© Stanislav Jenis

Der Architekt und Denkmalschützer Friedmund Hueber im Gespräch über die Folgen des fortschreitenden Rückbaus von Gründerzeithäusern.


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Wien. Friedmund Hueber, Verfechter der Gründerzeitarchitektur, erklärt den Sinn von Regeln in der Stadtgestaltung und kritisiert den von der Stadt gestalteten Masterplan Glacis, der Begehrlichkeiten bei Spekulanten geweckt hat.

"Wiener Zeitung":In der Gründerzeit stand ein durchdachtes stadtgestalterisches Konzept dahinter. Wie sah das aus?

Friedmund Hueber: In der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg hat man eine ganz andere Architekturauffassung als heute gehabt. Seit der Renaissance hat man sich die römische Antike zum Vorbild genommen. Da wurde in Räumen gedacht und nicht wie heute in Baukörpern. Straßen und Plätze wurden als schachtelartige Räume geplant und die Fassaden der angrenzenden Häuser wurden zu Bestandteilen der Wände dieser Räume. Wesentlich an der Gründerzeitarchitektur war auch, dass für alle Privathäuser eine einheitliche Höhe strikt vorgeschrieben wurde. Die hat vom Zentrum weg abgenommen. Nur katholische Kirchen, das Rathaus und imperiale Gebäude durften höher sein. Keiner konnte, wie heute ein Tojner (Michael Tojner, Investor, der am Heumarkt einen hohen Gebäudekomplex plant, Anm.), mittendrin ein Hochhaus bauen.

Der Fassade kam in der Gründerzeit eine besondere Bedeutung zu.

Aus den Fassaden bestanden die raumbildenden Straßen- und Platzwände. Sie waren nicht glatt, es waren den antiken Gestaltungsprinzipien entsprechend Gliederungen vorgeschrieben. Häuser mussten Sockelzonen, eine Hauptzone, ein dreiteiliges Gebälk und darauf eine Attika oder einen Giebel aufweisen. Wichtig war, dass es eine lockere durchgehende Schattenlinie gab, die durch das Gebälk, die Verdachung der Fenster oder deren unteren Elementen entstand. Es war wichtig für das Stadtbild, dass diese Schatten von Haus zu Haus durchgehend und nicht immer genau in gleicher Höhe waren. Dadurch wurde das Stadtbild lebendiger. In London sind die Linien immer genau auf der gleichen Höhe, das wirkt monoton.

Dabei hat man sich auch so mancher Gestaltungsraffinessen bedient.

Es kam nicht darauf an, wie etwas war, sondern wie es wirkt. Daher hat man auf die Semiotik, die Wirkung der Gestaltung auf den Betrachter, besonders geachtet. Dabei wurden oft Ersatzmaterialen eingesetzt. Zum Beispiel sind große Konsolen unter Balkonen und Gesimsen Blechverkleidungen, die steinfarben bemalt wurden. Die Wandoberflächen sind nur Putz mit einer Nutzung und so gestaltet, als wären sie aus Stein. Nur Elemente, die beansprucht wurden, wurden aus Stein gebaut. Öffentliche Bauten wurden freigestellt, damit sie besonders wirken. Es wurde auch darauf geachtet, dass am Ende eines Straßenraums als schöner Blickpunkt etwas Bedeutendes steht, wie die Kirche in der Argentinier Straße, oder die Kuppel des Kunsthistorischen Museums am Ende des Opernrings. Je näher man den Gebäuden kommt, umso mehr öffnet sich der Raum.

Warum gab es so konkrete Regeln in der Gründerzeit?

Wien war in der Zeit des Wiener Kongresses eine kleine Stadt und machte nur ein Drittel des heutigen 1. Bezirks aus. Man wollte Wien mit den Vororten verbinden und anderen europäischen Hauptstädten eine ebenbürtige Reichs- und Residenzstadt entgegenstellen. Das Glacis war prädestiniert für Repräsentation und für öffentliche Gebäude. Der Sinn der Regeln war, eine optisch und künstlerisch ansprechende Wirkung zu erzielen.

Was ist das Problem, wenn ein Neubau in dieser Altbausubstanz gebaut wird?

Man kann das ohne weiteres machen, wenn man die Morphologie einhält. Wenn die Gebäudehöhe stimmt, wenn man der Fassade ein Relief gibt und beim Glasanteil Rücksicht auf die Summe der Fenster in historischen Gebäuden nimmt. Gut gelungen ist das beim Opec-Haus neben der Börse. Das Peek & Cloppenburg-Haus in der Kärntner Straße beleidigt zwar den Ort, für das Gesamtbild der Stadt ist es aber kein Problem, weil es die Höhe einhält. Die Fassade ist nicht ideal, die Formensprache ist zu brutal.

Welcher Neubau ist eines der schlimmsten Beispiele, das Ihnen einfällt?

Ganz Wien Mitte in seiner Wirkung im öffentlichen Raum.

Was bedeutet der Abriss eines alten Hauses aus ökonomischer Sicht?

Jede Renovierung ist zeitaufwendiger als ein Neubau. Bei einem Neubau kann man viel maschinell machen, bei einer Renovierung ist Manpower gefragt. Man gibt aus ökonomischen Gründen viel auf, wie etwa die Raumhöhe. Ökologisch und für den Arbeitsmarkt ist eine Renovierung besser als Abriss und Neubau, bei denen überdies viel Sondermüll anfällt. Außerdem haben Gründerzeithäuser den Vorteil, multifunktional zu sein. Da kann man innen Mauern herumschieben, fast wie man will. Bei neuen Häusern geht das selten.

Was kann man Menschen vorwerfen, die Gründerzeithäuser abreißen und höhere Neubauten errichten, die dem Stadtbild abträglich sind?

Das Stadtbild ist Allgemeingut. Wer sich daran bereichert, bereichert sich auf Kosten der Allgemeinheit. Das ist Betrug an der Gesellschaft.

Gibt es Möglichkeiten, Bausünden zu reparieren?

Von den Dreißiger bis in die Sechziger Jahre wollte man modern sein und hat den Fassadendekor abgeschlagen. Ab den Siebziger Jahren wurden öffentliche Mittel zur Verfügung gestellt, um den Dekor zu rekonstruieren. Es war schon einmal besser als heute, weil die tonangebenden Leute in der MA19 (Architektur und Stadtgestaltung, Anm.) heute selten Sinn für Veränderungen haben, die sich gestalterisch in den Bestand integrieren.

Die Abrisswut hat sich also etwas eingebremst?

Nein, es ist eigentlich nach wie vor schlimm.

Sie haben die Politik erwähnt, was muss man an der Stadt Wien kritisieren?

Planungsstadträtin Maria Vassilakou und ihre Beamtenschaft sind meiner Meinung nach viel zu leicht dazu motivierbar, Investoren aus wirtschaftlichen Gründen alle Regeln der Stadtgestaltung brechen zu lassen. Das schlimmste Instrument, das sie geschaffen haben, ist der Masterplan Glacis, der zehn Hochhäuser in der Ringstraßenzone möglich macht. Dadurch werden Begehrlichkeiten bei Spekulanten geweckt, deren Durchsetzung wiederum einen hohen Motivationsaufwand auslöst. Das Heumarktprojekt ist offenbar das Pilotprojekt.

Das ehemalige Hotel National in der Taborstraße 18 soll einem Spital weichen. Was würde das aus architektonischer Sicht bedeuten?

Wenn es abgerissen wird, muss die Fassade als Bestandteil des öffentlichen Raumes stehenbleiben. Wenn man sie ganz wegräumt, ist bei verbreiteter Architekturauffassung die Gefahr gegeben, dass etwas hinkommt, das nicht ins Stadtbild passt.

Was würde es für die soziale Durchmischung bedeuten? Kommen dann Luxuswohnungen für Reiche statt erschwingliche Mietwohnungen?

Nicht unbedingt. Im Erdgeschoß und im ersten Stock wird es keine teuren Wohnungen geben, hauptsächlich Geschäfte, Lokale oder Büros. Es wird sündteure Dachgeschoßwohnungen geben, bei den Wohnungen in den Zwischengeschoßen könnte die Stadt eingreifen, indem sie soziale geförderte Wohnungen verlangt.

Friedmund Hueber ist Architekt und Universitätsprofessor in Ruhe für Baugeschichtsforschung, Denkmalforschung, -pflege und -schutz sowie Planen und Bauen im Bestand. Er ist auch Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Denkmal- und Ortsbildpflege.