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"Das ist das Ende der europäischen Hegemonie"

Von Reinhard Göweil

Europaarchiv

Griechenland braucht viel mehr Zeit zur Rückzahlung der Schulden. | Hartes Ringen der Euro-Finanzminister um Sanierung. | Brüssel. Die Bilder aus New York, die IWF-Chef Dominique Strauss-Kahn in Handschellen zeigten, prägten das Treffen der 17 Euro-Finanzminister in Brüssel. "Er war es, der den Fonds auch für die europäische Integration eingesetzt hat", so ein Mitarbeiter der Brüsseler Denkfabrik Breughel. "Das ist das Ende der europäischen Hegemonie", sagte ein hochrangiger EU-Diplomat zur "Wiener Zeitung". "Der Währungsfonds wird für uns schwieriger auszurechnen." EU-Kommission und Finanzminister bemühten sich um Normalität. "Der Fonds ist handlungsfähig, alles läuft auf Schiene", tönte es am Montag aus der Kommission. | Griechenland war ein Deutschland


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Am Sonntag waren hektische Gespräche gelaufen, wer den IWF nun in den Beratungen vertreten solle. Schließlich reiste Vize-Generaldirektorin Nemat Shafik aus Washington an. "Kompetent, aber ohne die Autorität, im Fonds-Direktorium die nötigen Beschlüsse selbst umzusetzen", sagten EU-Verhandler.

Und Beschlüsse sind notwendig, denn um Griechenland steht es bekanntlich gar nicht gut. Die Schrumpfung der Wirtschaft - in Folge des harten Sparprogramms - fällt drastischer aus als geplant. Auch heuer dürfte die Wirtschaftsleistung um 3,5 Prozent fallen. Seit dem 110-Milliarden-Euro-Rettungspaket sperrten binnen eines Jahres in 150.000 griechische Klein- und Mittelbetriebe zu, fast 800.000 Griechen sind ohne Job. Immer mehr Athener flüchten in ländliche - und billigere - Regionen. Junge Menschen mit hoher Ausbildung verlassen in Scharen das Land - und stehen für einen Aufbau nicht zur Verfügung.

Der Schuldenstand wird nächstes Jahr auf 160 Prozent der Jahres-Wirtschaftsleistung klettern. Der ursprüngliche Plan, sich 2012 wieder auf dem Kapitalmarkt zu finanzieren, ist nicht mehr möglich. Die Griechen müssten mehr als 16 Prozent Zinsen zahlen (mehr als viermal so viel wie Österreich) - quasi Harakiri mit Anlauf. Auch die geplanten Privatisierungen (50 Milliarden Euro) kommen nicht in Gang. Einige Minister der sozialdemokratischen Regierung opponieren gegen den "Ausverkauf", ausländische Investoren halten sich zurück.

Nächste Tranche nötig

Mitte Juni benötigt Griechenland aus dem 110-Milliarden-Euro-Paket die nächste Tranche von 12 Milliarden, um eine auslaufende Staatsanleihe zu bedienen. Da die Regierung die dafür vereinbarten Vorgaben nicht erfüllt, hängt die Auszahlung in der Luft.

Ob der IWF, auf den ein Drittel davon entfällt, ohne Strauss-Kahn zustimmt, ist derzeit kaum einzuschätzen. Die EU-Länder alleine können es aber nicht, es widerspräche den unterzeichneten Abkommen. In einem Akt der Verzweiflung hat Griechenlands Regierung zwar beschlossen, alle Maßnahmen zu akzeptieren, um das Sparziel zu erreichen - wie sehr die Bevölkerung noch mitspielt, ist aber schwer abzuschätzen.

"Eine spätere Auszahlung der Tranche ist kaum möglich, da Griechenland das Geld benötigt. Wenn es bei der Rückzahlung der auslaufenden Anleihe säumig wird, droht die Zahlungsunfähigkeit", erklärte dazu ein Finanzexperte.

Vor diesem Hintergrund trafen einander die 17 Finanzminister in Brüssel. Assistiert wurden sie von EU-Kommissar Olli Rehn sowie dem Präsidenten der Europäischen Zentralbank, Jean-Claude Trichet. Die EZB ist unbedingt für ein neues Rettungspaket, aber gegen einen Schuldennachlass. Wie berichtet, würde bei einem 50-prozentigen Schuldennachlass das Bankensystem in Griechenland zusammenkrachen. "Was dann passiert, wissen wir leider nicht, denn es gibt dafür kein Beispiel", sagte ein Notenbanker, der anonym bleiben wollte. Es sei zu befürchten, dass danach auch die Banken im Schuldenland Portugal Probleme bei der Refinanzierung bekämen. "Es ist wie in den USA nach der Lehman-Pleite. Die Folgewirkungen waren teurer und desaströser als die Pleite selbst."

Polen brauchte 28 Jahre

Daher schreckt die EZB vor dieser Art Umschuldung zurück. Bevorzugt wird eine deutlich längere Laufzeit der zugesagten Geldhilfe. Kredite auf fünf Jahre waren wohl deutlich zu ambitioniert. Als Beispiel wird von hohen Beamten Polen verwendet. 1982 machte eine Krise die Umschuldung der polnischen Staatsschuld notwendig. Die Rückzahlung wurde erstreckt. Die letzte Rate aus den damaligen Umschuldungsverhandlungen wurde 2010 geleistet - also 28 Jahre später. Griechenland wird wenigstens diesen Zeitraum benötigen. Österreichs Finanzministerin Maria Fekter sagte im Vorfeld der Sitzung, sie könne sich eine längere Laufzeit für die Rückzahlung vorstellen - aber nichts über die Dauer der Verlängerung.

Wie dies alles ohne offizielle Umschuldung - also das Eingeständnis der Zahlungsunfähigkeit - über die Bühne gehen könnte, darüber wurde beim langen Abendessen von Montag auf Dienstag beraten.

Mit Strauss-Kahn sollte es eine Einigung gegeben haben, nun geht erneut Zeit verloren. Deutschlands Finanzminister Wolfgang Schäuble jedenfalls hatte den Auftrag, so die zähneknirschende Auskunft aus Kommissionskreisen, keine Zugeständnisse ohne vorherige Absprache mit Kanzlerin Angela Merkel zu machen. "Die umgangssprachliche Bezeichnung für Fäkalien beschreibt die momentane Situation am besten", versuchte sich ein EU-Verhandler in Sarkasmus.