Zum Hauptinhalt springen

"Das ist ein politisches Erdbeben"

Von WZ-Korrespondent Ferry Batzoglou

Politik

Erdrutschsieg der konservativen Nea Dimokratia bei Parlamentswahl in Griechenland.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 1 Jahr in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Ungläubig starrt Nektarios, 49 Jahre alt, schütteres Haar, T-Shirt, blaue Trainingsjacke, kurz nach 22 Uhr an diesem stark bewölkten Sonntagabend auf dem zentralen Athener Verfassungsplatz auf die Bildschirme. Die Monitore sind von jener Partei aufgestellt worden, die der Grieche erst wenige Stunden zuvor gewählt hat. Übertragen werden Live-Sondersendungen der einheimischen Fernsehsender. Einziges Thema: die Parlamentswahlen in Griechenland. Nahezu alle Stimmen aus landesweit 21.707 Wahllokalen sind zu diesem Zeitpunkt bereits ausgezählt. Der Erdrutschsieg der konservativen Nea Dimokratia (ND) steht fest.

"Ich bin ein Unterstützer der ND und bin hier, um mit anderen ND-Wählern das Ergebnis zu diskutieren. Ich spüre eine absolute Genugtuung. Das Resultat übertrifft weit meine Erwartungen, die aller ND-Anhänger, so glaube ich. Wir alle haben zwar mit einem Sieg gerechnet, aber mit fünf, allerhöchstens sieben Prozentpunkten Vorsprung vor Syriza. Auf keinen Fall hatten wir ein so tolles Ergebnis erwartet", frohlockt Nektarios, der für eine Privatfirma im IT-Sektor arbeitet, wie er erzählt.

In der Tat: Die ND unter Premierminister Kyriakos Mitsotakis (55) deklassierte alle anderen Parteien. Sie vereinte nach der Auszählung aller Stimmen am Montag in der Früh 40,79 Prozent der Stimmen auf sich. Damit lag sie knapp einen Prozentpunkt über ihrem Wahltriumph bei der Parlamentswahl im Juli 2019. Damals holte die ND 39,85 Prozent.

Syriza weit abgeschlagen

Weit abgeschlagen folgt das oppositionelle Bündnis der radikalen Linken (Syriza) unter Ex-Premier Alexis Tsipras mit 20,07 Prozent. Dies sind fulminante 11,5 Prozentpunkte weniger als noch im Juli 2019. Den Sprung über die Drei-Prozent-Hürde und damit den Einzug in die "Boule der Hellenen" schafften drei weitere Parteien: Die sozialdemokratische Pasok kam auf 11,46 Prozent der Stimmen, ein Plus von 3,4 Prozentpunkten im Vergleich zum letzten Urnengang. Es folgen die Kommunistische Partei (KKE) mit 7,23 Prozent (plus 2 Prozentpunkte) sowie die nationalkonservative Griechische Lösung (Elliniki Lysi) mit 4,45 Prozent (plus 0,75 Prozentpunkte).

Aus dem Athener Parlament flog hingegen die linke Mera25 unter dem schillernden Ex-Finanzminister Yanis Varoufakis. Sie erreichte diesmal nur 2,62 Prozent der Stimmen (Juli 2019: 3,44 Prozent). Aufgerufen zur Wahl waren 9,93 Millionen Griechinnen und Griechen. Die Beteiligung lag bei 60,92 Prozent und damit gut zwei Prozentpunkte über dem letzten Urnengang.

Premier Mitsotakis zeigte sich über den Kantersieg seiner Partei sichtlich zufrieden. Die Wahl sei ein "politisches Erdbeben" mit einem "zweifellosen Sieg" der ND. "Ganz Griechenland trägt heute die blaue Farbe (Parteifarbe der ND). Die Hoffnung hat den Pessimismus besiegt, die Einheit die Spaltung", sagte Mitsotakis. Seine Partei habe "die Genehmigung der Bürger erhalten, alleine (weiter) zu regieren", fügte er hinzu. "Die Bürger wollen eine starke Regierung. Ich bin stolz und gerührt", so Mitsotakis.

Beobachtern zufolge gilt es als sicher, dass Mitsotakis nun rasch eine weitere Parlamentswahl anstrebt. Der Grund dafür ist, dass das Votum am Sonntag nach einem reinen Verhältniswahlrecht abgehalten wurde. Die ND erreichte 146 der insgesamt 300 Sitze im griechischen Parlament. Sie verpasste damit knapp eine absolute Mehrheit. Dafür benötigt sie 151 Mandate.

Beim nächsten Urnengang am Peloponnes gilt hingegen ein verstärktes Verhältniswahlrecht, wonach der Erstplatzierte je nach seinem Ergebnis und der Zahl der im Parlament vertretenen Parteien einen Mandate-Bonus kassiert. Die Faustregel lautet: Je höher der Stimmenanteil des Erstplatzierten und je weniger Parteien im Parlament sind, desto höher fällt der Mandate-Bonus für den Wahlsieger aus. Mitsotakis und Co. dürften nach einer Neuwahl wohl alleine eine bequeme Mehrheit der Mandate erreichen, um ohne einen Koalitionspartner regieren zu können.

Der Premier kündigte bereits am Sonntagabend an, dass er dafür "die Prozeduren beschleunigen" werde. Damit meint er, dass er - wie er im Vorfeld der Wahlen wiederholt klargestellt hatte - keine Koalition in Athen wolle. Daher wird dort damit gerechnet, dass Mitsotakis den Auftrag zur Regierungsbildung wohl annehmen, aber umgehend wieder abgeben werde, um ohne weiteren Verzug den Weg für Neuwahlen zu ebnen.

Unterschiedlichen Informationen zufolge habe der Pasok-Chef Nikos Androulakis in einem Telefonat mit Mitsotakis der schnellstmöglichen Ausrufung von Neuwahlen bereits zugestimmt. Als möglicher Termin gilt der 2. Juli, womöglich bereits der 25. Juni. Androulakis’ politisches Kalkül ist es, die eklatante Schwäche von Syriza nun dahingehend auszunutzen, um beim nächsten Votum in gut einem Monat ein noch besseres Resultat als am Sonntag festzuzurren. Die Pasok könnte von einem weiteren Fall von Syriza in der Wählergunst profitieren, so die Überlegung der Pasok.

Derweil leckt Syriza seine Wunden. Im Syriza-Lager am Athener Klafthmonos-Platz, wo eigentlich eine Wahlparty stattfinden sollte, herrschte bereits kurz nach Bekanntgabe der ersten Stimmenauszählungen eine Friedhofsstimmung. Es fanden sich nur wenige Syriza-Anhänger ein. Auch Parteivorsitzender Alexis Tsipras ließ sich hier nicht blicken.

Fest steht: Syriza befindet sich nach der heftigen Wahlschlappe in der schwersten Krise der Ära Tsipras. Bei der Wahl am Sonntag stimmten nur noch 1,18 Millionen Wähler für Syriza. Das sind 600.000 Menschen weniger als im Juli 2019. Demgegenüber legte die ND um gut 150.000 auf nunmehr 2,4 Millionen Wähler zu.

Kein klares Programm

Ob die miserable Pandemie-Bilanz der Regierung Mitsotakis, ein Abhörskandal, ferner die alleine im vorigen Jahr um 7,4 Prozent geschrumpfte Kaufkraft der Verbraucher sowie die Vetternwirtschaft, Korruption oder die verheerende Zug-Tragödie mit 57 Toten: Das Gros der Griechen strafte nicht die ND dafür ab, sondern kehrte Syriza den Rücken.

Die Gründe dafür sind ein hauptsächlich auf die Fehler und Versäumnisse der Regierung Mitsotakis zielender Konfrontationskurs von Seiten Syrizas, ohne der ND ein eigenes glaubhaftes Regierungsprogramm entgegensetzen zu können. Syriza konnte vor allem nicht die Frage klären, wie die Finanzierung der von ihr angestrebten Mehrausgaben des Staates solide gesichert werden kann.