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"Das ist eine Falle"

Von Michael Schmölzer

Politik

Experten halten Beseitigung der Gift-Arsenale für unrealistisch.


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Washington/Damaskus. Ernsthaftes Angebot oder Kriegslist: Die syrische Regierung hat sich gestern bereit erklärt, ihre Chemiewaffen unter internationale Aufsicht zu stellen. Außenminister Walid al-Muallem kündigte an, dass Syrien der internationalen Chemiewaffenkonvention beitreten wolle. Syrien werde der internationalen Gemeinschaft Zugang zu allen Depots verschaffen. Das Land werde die Produktion einstellen und sich von allen chemischen Waffen trennen. Genau das hat Machthaber Bashar al-Assads engster Verbündeter, Moskau, am Vortag verlangt. Russlands Außenminister Sergej Lawrow hatte am Dienstag angekündigt, dass man mit Syrien an einem Plan arbeite, wie Assads Chemiewaffen-Arsenal unter internationale Kontrolle gebracht werden könne.

Experten stellen jetzt die Frage, ob der Plan schon rein technisch umsetzbar ist. Die Beseitigung des Chemiewaffen-Arsenals, das auf mehr als tausend Tonnen geschätzt wird, würde mehrere Jahre dauern und die volle Kooperation der syrischen Regierung erfordern, sagen Kenner. Offen ist, ob die Sicherung der Bestände inmitten eines Bürgerkrieges überhaupt möglich ist. Die syrischen Rebellen, die auf einen US-Angriff hoffen, weisen auf "unüberwindbare Hindernisse" hin. Die Armee habe "tonnenweise Waffen versteckt, die internationale Inspektoren fast unmöglich finden können", sagt der Rebellenkommandeur Kassim Saadeddine. "Das ist eine Falle und ein falsches Manöver durch das Regime in Damaskus", warnt er.

Waffen-Experten kalkulieren, dass das Projekt mehr als sieben Milliarden Euro kosten würde. Die USA etwa haben 35 Milliarden Dollar ausgegeben, um in den letzten zwei Jahrzehnten 90 Prozent ihrer eigenen Chemiewaffenbestände in speziellen Anlagen zu verbrennen. "Das ist eine nette Idee, aber sehr schwierig umzusetzen", sagt ein US-Regierungsvertreter, der seinen Namen nicht nennen will. "Da tobt ein brutaler Bürgerkrieg, in dem das syrische Regime sein eigenes Volk massakriert. Glaubt irgendjemand, dass die das Morden plötzlich einstellen, damit die Inspektoren freie Bahn haben?" UN-Generalsekretär Ban Ki-moon ist dennoch optimistisch und will in Syrien Sicherheitszonen errichten, wo die Waffen zerstört werden könnten.

Die Vorstellung, dass ein US-Militärschlag verhindert werden könnte, findet international Anklang. Neben Russland begrüßen die UN-Veto-Mächte Großbritannien, Frankreich und China die Idee. Auch das Weiße Haus will den Vorschlag prüfen. Barack Obama betont, er sei immer für eine diplomatische Lösung gewesen. Allerdings ist seine Skepsis groß: Es könne sich um eine Hinhaltetaktik Assads handeln, so der US-Präsident, außerdem sei der Konflikt nicht gelöst, wenn die Waffen übergeben werden.

In der Tat hat Obama deutlich gemacht, dass er Assad für das Giftgas-Massaker am 21. August im Osten von Damaskus verantwortlich macht, und dass es darauf eine Antwort geben müsse. Mehr als einmal war von notwendiger "Bestrafung" die Rede. Mit der bloßen Auslieferung der Giftgas-Granaten wird es unter Umständen nicht getan sein. Auch der konservative britische Premier David Cameron ist skeptisch: Es sei nun an Russland und Syrien, mit Taten unter Beweis zu stellen, dass der Vorstoß ernst gemeint sei. Deutschland hatte Syrien aufgefordert, dem internationalen Chemiewaffen-Übereinkommen beizutreten. Es wird angenommen, dass Syrien über große Bestände von Sarin, Senfgas und des Nervengifts VX verfügt.

Frankreich befasst

UN-Sicherheitsrat

Frankreich sieht jetzt die Chance gekommen, die Blockade im UN-Sicherheitsrat aufzulösen. Dort haben Russland und China bis dato jede Initiative gegen Assad verhindert. Dienstagabend hatte der UN-Sicherheitsrat kurzfristig beschlossen, sich noch in der Nacht mit dem Thema Syrien zu befassen - die Sitzung wurde aber überraschend wieder abgesagt. Russland habe seinen Antrag auf Abhaltung der Sitzung zurückgezogen, hieß es. Paris hatte angekündigt, einen Resolutionsentwurf einzubringen, wonach der Weltsicherheitsrat die Bedingungen festlegen soll, unter denen die syrischen Chemiewaffen unter internationale Kontrolle gebracht werden. Die Resolution soll auch die syrische Zustimmung zur Vernichtung der Waffen verlangen und vor "extrem schwerwiegenden" Konsequenzen warnen, sollte Damaskus die Bedingungen nicht einhalten.

Damit ist ein Militärschlag gemeint und US-Präsident Obama hat sich von dieser Option nicht verabschiedet. Die Entscheidung im Kongress wird aber vertagt. Eine Probeabstimmung hätte heute, Mittwoch, im Senat stattfinden sollen, sie wurde angesichts des russischen Vorschlags verschoben. Damit gewinnt Obama Zeit, denn es ist nicht klar, ob er im Senat und im Repräsentantenhaus die Mehrheit für einen Angriff erhält. Die Mehrheit der US-Bürger ist nach den Feldzügen im Irak und in Afghanistan gegen einen Krieg. Auch Obama, so scheint es, war sich seiner Sache nie sicher. Sollte es eine diplomatische Lösung geben, bliebe Obama eine massive innenpolitische Niederlage erspart. Denn wenn er in der Syrien-Frage scheitert, droht ihm ein Ende als "lame duck", als "lahme Ente", die keinen Gestaltungsspielraum mehr hat.