Zum Hauptinhalt springen

"Das ist eine provinzielle Politik"

Von Brigitte Pechar und Walter Hämmerle

Politik

Van der Bellen im "WZ-Interview": "Bleiberecht für alle, die mehr als drei Jahre da sind." | SPÖ soll bei Schulreform die Koalitionsfrage stellen. | "Wiener Zeitung": Der Fall Zogaj hat zuletzt nicht nur die Politik dominiert, sondern auch Sie zu ungewohnten Kraftausdrücken animiert. Sie fühlten sich angesichts der Politik von ÖVP und SPÖ "zum Speiben", "schämten" sich, Österreicher zu sein, warfen dem Innenminister "unchristliches" Verhalten vor. Dabei passt der Fall den Grünen perfekt ins politische Konzept...


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 16 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Alexander Van der Bellen: Mit Verlaub: Unsere Kampagne für ein neues Bleiberecht stammt vom März dieses Jahres, also lange vor Bekanntwerden dieses Falles. Tatsächlich ist der Fall Zogaj aber nur die Spitze des Eisbergs. Es ist menschlich unverantwortlich und zudem kontraproduktiv, Menschen ausgerechnet jetzt zurück in den Kosovo zu schicken, wo die internationale Gemeinschaft nach einer Lösung für das Land sucht.

Was hat das eine mit dem anderen zu tun - noch dazu, wo klar ist, dass Kosovaren kein Asyl bekommen?

Das stimmt so nicht, die Chance auf Asyl besteht, wenn es sich um serbische Kosovaren oder Mitglieder anderer Minderheiten handelt. Derzeit ist die Lage im Kosovo zwar militärisch beruhigt, aber keineswegs stabil. Dazu kommen wirtschaftliche Probleme. Und die Situation wird schlechter, je mehr Menschen zurückgeschickt werden.

Der Fall Zogaj hat zudem aufgezeigt, dass wir mit dem Paragrafen 115 Fremdenpolizeigesetz, der Hilfe für illegale Flüchtlinge unter Strafe stellt, ein rechtspolitisches Problem haben. Innenminister Platter verkündet wie ein Fürst im Mittelalter, wer verfolgt wird und wer nicht. So gehts sicher nicht, dass Pfarrer Friedl - der meine vollste Wertschätzung hat - nicht verfolgt wird, Niederösterreichs Grünen-Chefin Petrovic aber sehr wohl. Im Übrigen werde ich nicht müde zu wiederholen, dass die Abschiebung voll integrierter Menschen ein wirtschaftspolitischer Blödsinn ersten Ranges ist.

Was wollen die Grünen im Detail ändern?

Wir müssen aufhören, uns selbst vorzugaukeln, dass mit der Einführung des Asylgerichtshofes in kürzester Zeit alle Probleme gelöst sein werden. Wir müssen zuallererst die rund 35.000 offenen Asylverfahren vom Tisch bekommen.

Was verstehen Sie darunter - einfach Schwamm drüber, also legalisieren?

Ja, aber nicht generell. Wir wollen eine Stichtagsregelung: Alle, die vor dem 1. Juli 2007 länger als drei Jahre in Asylverfahren oder mittels eines sonstigen Aufenthaltstitels im Land sind, sollen ein Bleiberecht erhalten. Eine solche Stichtagsregelung gilt nur rückwirkend. Dieses Bleiberecht soll nicht automatisch erfolgen, sondern man muss einen Antrag stellen, der dann geprüft wird. Der Antrag soll allerdings jedenfalls bewilligt werden, wenn die betreffende Person unbescholten ist und sich beim Asylverfahren kooperativ verhalten hat.

Und was ist mit denen, die in diesen Zeitrahmen fallen, aber illegal hier sind und schwarzgearbeitet haben?

In diesem Fall gäbe es keinen Rechtsanspruch auf ein Bleiberecht. Hier wäre zu prüfen, in welchem Verhältnis sich die Schwarzarbeit mit dem Menschenrecht auf ein intaktes Familienleben verhält.

Das ist eine vage Antwort.

Man muss sich von der Vorstellung lösen, dass Fragen wie Asyl oder Migration einfach zu lösen sind. Die ÖVP betreibt hier sture Paragrafenreiterei mit voller Rückendeckung der SPÖ nach dem Prinzip "Fiat Justitia et pereat mundus" - wobei ich hier Gerechtigkeit durch Unrecht ersetzen würde. Auch die Vorstellung, Wirtschaftsflüchtlinge als Kriminelle zu behandeln, ist völlig deplatziert.

Der Fall Zogaj hat auch eine parteipolitische Dimension: Die ÖVP will sich als "Law & Order"-Partei profilieren, die Grünen wollen am linksliberalen Rand der SPÖ Wähler gewinnen ...

Welchen linksliberalen Rand der SPÖ meinen Sie? Ich kenne keinen. Das alles ist eine dumme, provinzielle Politik, die Österreich auf den Kopf fallen wird, wenn wir Zuwanderer einmal wirklich brauchen werden.

Wir wollten eigentlich die Frage nach der rot-grünen Koalitionsoption stellen. Die SPÖ verweigert sich zwar den Änderungswünschen der Grünen, aber immerhin findet auch der Bundeskanzler den Fall Zogaj "grauslich".

Das ist scheinheilig bis zum Geht-nicht-mehr. "Grauslich" charakterisiert allerdings treffend Gusenbauers Politik. Er verschweigt, dass er diesem Gesetz selbst zugestimmt hat und seine Regierung diese Politik macht. Ich finde es bemerkenswert, dass wir in Zuwanderungsfragen die meisten Berührungspunkte mit der Industriellenvereinigung haben.

Wenn die SPÖ-Asylpolitik keinen Anknüpfungspunkt für die Grünen bildet, könnte es die Schulpolitik sein?

Wenn nicht einmal die Industriellenvereinigung in der Lage ist, die ÖVP von ihrem Klassendenken abzubringen, dann ist das von uns ein bisschen viel verlangt. Seinerzeit haben viele geglaubt, es sei Ministerin Gehrer, die die Schulpolitik der ÖVP aufrecht hält. Jetzt stellt sich heraus: keineswegs, das geht tief in die ÖVP hinein und Neugebauer ist ein würdiger Nachfolger als Blockierer. Man muss nur eine simple Frage stellen: Kommen nach Österreich Hunderte Pilger jeden Monat, um hier das hervorragende Schulsystem zu studieren, oder reisen die woanders hin? Niemand kommt nach Österreich, um die Vorzüge des Gymnasialsystems und die frühe Trennung mit zehn Jahren zu studieren. Mit gutem Grund, das will niemand imitieren.

Wenn es so vielen Gruppen - SPÖ, Grünen, IV, Wirtschaftsbund - ein Anliegen ist, eine andere Schule zu schaffen, warum geschieht nichts? Funktioniert Politik nur nach Kalkül? Warum machen die Grünen in einer Frage, die ihnen selbst ein Anliegen ist, Oppositionspolitik?Ich schätze die Bemühungen der Unterrichtsministerin sehr. Ich habe aber den Eindruck, dass sie auf verlorenem Posten steht, weil die ÖVP das nicht will. Aber auch weil sie vom Bundeskanzler zu wenig Rückendeckung bekommt. Ich fordere daher die SPÖ auf, die Schulreform zur Koalitionsfrage zu machen.

In der Sache glauben wir aber, dass diese Art der Schulversuche, die Schmied in ihrer Verzweiflung probiert hat, nicht sinnvoll ist. Weil man damit neben dem bestehenden System Reformschulen etabliert und vollkommen unklar ist, wie diese evaluiert werden sollen. Wenn schon, dann wäre es naheliegend, die Steiermark zu einem Schulversuchsland zu machen. Die steirische ÖVP hat ja gerade zur Gesamtschule immer wieder positive Signale ausgesandt. Aber ich muss schon sagen, glücklich bin ich nicht mit der Fokussierung auf die Gesamtschule, weil ich das zwar als eine notwendige, aber nicht als hinreichende Maßnahme betrachte. Wir müssen verpflichtende Gratiskindergärten haben, den Unterricht individualisieren, die Stärken der Kinder fördern, und wir brauchen mehr Autonomie an den Schulen inklusive Personalautonomie.

Mit dem Klimaschutz ist ein Kernthema der Grünen im Zentrum der Politik angekommen und mit Andreas Wabl hat es ein Grüner der ersten Stunde zum Berater des Bundeskanzlers gebracht. Sind Sie zufrieden mit Wabls bisheriger Arbeit?

In dieser Frage halte ich mich lieber bedeckt. Der Klimaschutzfonds, wo Wabl als Vertreter des Kanzlers agiert, rudert ja immer noch ganz am Anfang herum. Ich muss Wabl wieder einmal anrufen und fragen, wie es hier denn jetzt überhaupt weitergeht. In Österreich, aber auch in ganz Europa, dominiert noch immer das Bekenntnis zum Klimaschutz vor dem Umsetzen. Allenfalls gibt es ein paar Trippelschritte in die richtige Richtung. Es ist bezeichnend, dass wir die einzige Partei waren, die die jüngste Idee von Finanzminister Molterer zur Umgestaltung der Nova unterstützten. Keinerlei Fortschritt gibt es dagegen beim Ökostromgesetz, und auch die Wohnbauförderung als Schlüsselinstrument wurde völlig verschlampt. Sicher ist, dass beim Klimaschutz die Industrie längst nicht mehr unser Hauptgegner ist. Die unterliegt als Einzige durch die Schadstoffzertifizierung einem strengen Regime auf EU-Ebene. Für den Wohn- und Bürobau gibt es dagegen keine solch strengen Regelungen.

Der Ölpreis eilt von Rekord zu Rekord, Biotreibstoffe helfen mit, Lebensmittel zu verteuern - und der Strompreis steigt und steigt ...

Na ja . . .

Das behauptet zumindest die Arbeiterkammer.

Die Arbeiterkammer hat kein vernünftiges alternatives Energiekonzept, alles, was die sagen, ist, dass Strom zu teuer ist. Wenn es uns nicht gelingt, die Zuwachsraten beim Energieverbrauch einzudämmen, dann bleibt uns nur die Alternative entweder neue thermische Kraftwerke zu bauen oder noch mehr Atomenergie zu importieren. Über kurz oder lang wird die Energiewirtschaft unser Partner sein, leider ist davon in Österreich noch nichts zu sehen.

Die Grünen kämpfen für erneuerbare Energie. Wenn es aber darum geht, ein neues Wasserkraftwerk zu bauen, ist mit der Unterstützung rasch Schluss.

Natürlich ist es ein Unterschied, ob man das erste Tal oder das letzte verbaut. Neue Wasserkraftwerke sind oft gar nicht nötig, mittels Renovierung kann man bis zu 30 Prozent Effizienzsteigerung erreichen.

Im Gefolge der 68er Generation wurde auch das Private politisch. Nun werden auch die Raucher davon eingeholt. In den USA gibt es schon eine Stadt, die das Rauchen in den eigenen vier Wänden untersagt.

Puritanismus dieser Art ist einem noch stets selbst auf den Kopf gefallen. Ich halte es für eine Zumutung, wenn man mir vorschreiben will, wie ich mich zu Hause verhalten soll. Dass Rauchen gesundheitsschädlich ist, weiß ich selbst. Ich bin auch für jeden Schutz der Nichtraucher zu haben. Aber wenn die These stimmt, dass die Summe der Laster immer gleich bleibt, frage ich mich: Welches neue Laster habe ich, wenn ich mit dem Rauchen aufhören muss?