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"Das ist eine repressive Maßnahme"

Von Michael Schmölzer

Politik
© Michael Schmölzer

Der Politologe Ulrich Brand kritisiert Kanzler Sebastian Kurz, der Flucht durch Entwicklungshilfe eindämmen will.


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"Wer nicht arbeiten will, soll auch nicht essen", lautete der Titel eines hochkarätig besetzten Symposions im niederösterreichischen Stift Dürnstein. Themen waren unter anderem die Abschaffung der Erwerbsarbeit durch Digitalisierung, aber auch durch massive Ungleichgewichte im globalen Kapitalismus. Die "Wiener Zeitung" hat mit dem Politologen Ulrich Brand über Ausbeutung, indonesische Palmöl-Plantagen, die entwicklungspolitischen Vorstellungen von Kanzler Sebastian Kurz und die möglichen Folgen eines neuen Finanz-Crashs gesprochen.

"Wiener Zeitung":Sie sprechen von der massenhaften "Produktion von Überflüssigen" durch die Globalisierung. Wenn man davon ausgeht, dass der Norden den Süden ausbeutet, dann braucht der Norden die Menschen des Südens doch, gerade um sie auszubeuten. Wieso also "überflüssig"?

Ulrich Brand: Sie sind für den Kapitalismus überflüssig. Das sind keine Arbeitskräfte, mit denen man Geld machen kann. Es gibt vor allem im globalen Süden den Mechanismus der Entrechtung, der Vertreibung von Menschen von ihrem Land. Die Kleinbauern werden vertrieben, damit in Indonesien große Plantagen für Palmöl entstehen können, das im Norden massiv nachgefragt wird. Die Menschen wohnen an den Rändern der Plantagen zu miesesten Bedingungen. Das ist die Produktion von Überflüssigem.

Das sind die Leidtragenden. Können Sie die Täter benennen?

Kapitalismus besteht aus einem Systemzwang und es gibt handelnde Akteure. Im Fall Indonesiens sind es transnationale oder nationale Agrarkonzerne, die Palmöl für den Weltmarkt produzieren wollen. Das sind ganz konkrete Akteure. Mittelsleute, die dafür sorgen, dass die Menschen vertrieben werden. Jetzt ist der Film von Kathrin Hartmann und Werner Boote, "The Green Lie", ins Kino gekommen. Da wird gezeigt, wie illegale Waldbrände gelegt werden, dann auf der gerodeten Fläche Palmöl angebaut wird.

Wobei die Zahl der Ausgebeuteten, der Ausgenutzten auf der Nordhalbkugel stark zunimmt?

Im Globalisierungsprozess gewinnen die Mittelschichten in den Schwellenländern und die globalen Eliten. Die unteren 40 Prozent im Norden, also die alte Arbeiterschaft, verliert. Und die Armen im globalen Süden. Im Norden gibt es diese Abstiegsangst der alten Industriearbeiterschaft. Wo Trump mit seinem Versprechen "America first" anknüpft und die Stahlindustrie in die USA zurückholen will.

Es gibt die These, dass wir im Norden jahrzehntelang auf Kosten des Südens gelebt haben und dass uns das jetzt auf den Kopf fällt.

Die Zerstörung der Lebengrundlage vieler im globalen Süden und der Krieg, in Syrien etwa, führen dazu, dass viele migrieren müssen. Oft unter dramatischen Umständen. Diese Menschen kommen dann hier an und werden unter dem Stichwort Wirtschaftsflüchtlinge geführt. Das Versprechen der rechtsextremen Parteien - der Trumps, wenn Sie so wollen auch Politiker vom Typus eines Sebastian Kurz - ist: Wenn ihr uns wählt, halten wir euch die Menschen vom Leib, die aufgrund unserer Lebensweise überhaupt erst zu Flüchtlingen gemacht wurden. Wenn die EU Hühnerfleisch im Überfluss hat und das nach Afrika exportiert, damit die lokalen Märkte kaputtmacht, weil es zu Dumpingpreisen angeboten wird, dann verlieren Menschen ihre Lebengrundlage und müssen auswandern.

US-Präsident Donald Trump will eine Mauer bauen und die Menschen damit in Sicherheit wiegen. Kanzler Sebastian Kurz will das im Prinzip auch. Er sagt aber zusätzlich, dass er die Bedingungen der Menschen in den Herkunftsändern ändern möchte, damit es gar nicht zur Flucht kommt. Wie erfolgversprechend ist das?

Wenn man das genau liest, ist das eine repressive Maßnahme. Das heißt ja nicht, dass wir den Menschen die Möglichkeit geben, sich zu entwickeln. Denn das würde bedeuten, die Economic Partnership Agreements der EU, die neokoloniale Handelsabkommen sind, aufzuheben. Durch diese Praxis werden die lokalen Märkte zerstört. Wenn dann Flüchtlinge kommen, sagt man, man will Entwicklungspolitik. Aber es gibt überhaupt keine kohärente Vorstellung davon. Es sind ein paar Brosamen-Projekte.

Die Leute sollen also bleiben, wo sie sind. Was genau man in Afrika machen könnte, hat sich Kanzler Sebastian Kurz gar nicht erst überlegt. Es ist ihm vielleicht auch egal?

Er wird zu einem Fototermin hinunterfahren und zeigen, dass mit österreichischem Geld eine Schule gebaut worden ist. Und eine kleine Textilfabrik, am besten von Frauen geführt. Und dann heißt es: "Super, wir haben etwas gemacht."

Vielleicht kann man dann auch mit besserem Gewissen abschieben?

Das Problem bleibt, dass es keine Vorstellung von einer ausgleichenden internationalen Wirtschaftspolitik gibt. Sie bleibt imperial, aggressiv und auf den Norden bezogen.

Ökonomen befürchten, dass der nächste Zusammenbruch des Finanzkapitalismus demnächst bevorsteht. Viele sagen, eine Wiederholung in weit größerem Ausmaß stehe bevor. Die Annahme ist, dass in der Folge rechtsextreme politische Kräfte massiv erstarken würden. Teilen Sie diese Einschätzung?

Ich glaube, der Finanzmarkt-Kapitalismus ist enorm instabil. Und an dieser Instabilität verdienen viele Leute ziemlich gut. Die Vermögenden haben kein Interesse an Stabilität, sondern an hohen Profiten.

Was heißt das politisch, wenn sich der Crash von 2007 wiederholt?

Dann ist es wahrscheinlich, dass es in vielen Ländern noch weiter nach rechts geht. Aber nicht zwangsläufig: In Spanien etwa gibt es keine starke rechtsextreme Partei, in Portugal sind progressive Bewegungen entstanden.

Also es kann es in beide Richtungen gehen?

Genau. Es gibt eine Tendenz nach rechts, aber natürlich können Menschen auch mehr öffentliche Daseinsvorsorge verlangen, ein öffentliches Gesundheitssystem, ein öffentliches Bildungssystem, öffentlichen Rundfunk - wie es sich jetzt in der Schweiz bei der Ablehnung der No-Billag-Initiative gezeigt hat. 71 Prozent der Leute sagen: Wir wollen öffentlichen Rundfunk. In Österreich wollen die Menschen keine privatisierte Gesundheitsvorsorge. Der Angriff dieser Regierung wird kommen. Es geht dann darum, aufzustehen und zu sagen: Wir wollen eine gute, solidarische, nachhaltige Gesellschaft.

Zur Person

Ulrich Brand ist seit 2007 Universitätsprofessor für Internationale Politik an der Universität Wien. Er arbeitet zu Fragen der kapitalistischen Globalisierung, ihrer Kritik und Möglichkeiten politischer

Steuerung.