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Griechenlands Migrationsminister Jannis Mouzalas über die humanitäre Krise in seinem Land und die Grenzen der Belastbarkeit.
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"Wiener Zeitung": Griechenlands nördlicher Nachbar Mazedonien hat seine Grenze zu Hellas faktisch geschlossen. Im griechischen Grenzort Idomeni warten bereits 14.000 Flüchtlinge aus Syrien, dem Irak und anderen Ländern auf eine Weiterreise, Tendenz steigend. Wie ist die aktuelle Situation in Griechenland?Jannis Mouzalas: Im Augenblick ist die Situation schlimm. Wir versuchen aber, sie in den Griff zu bekommen.
Die Balkanroute ist praktisch abgeriegelt. Hat Sie die Grenzschließung überrascht?
Was uns überrascht hat, war der Verstoß gegen die vorigen EU-Beschlüsse, wonach die Grenzen zumindest vorerst geöffnet bleiben sollen. Leider haben Österreich und die Visegrad-Staaten das schlicht ignoriert und einseitig gehandelt. So konnten wir uns leider nicht rechtzeitig darauf vorbereiten, um eine humanitäre Krise hierzulande einzudämmen. Wir stehen am Beginn einer humanitären Krise. Derzeit haben wir eine Mini-Krise, sie kann sich aber verstärken. Der Grund dafür ist, dass die Flüchtlingsströme aus der Türkei anhalten und zugleich die Menschen Griechenland nicht wie bisher auf der Balkanroute verlassen können.
Das klingt nach einem Hilferuf.
Ich will an betonen: Das ist kein griechisches, sondern ein europäisches Problem! Wir haben es nicht verursacht, wir werden auch nicht hinnehmen, dass es in ein griechisches Problem umgewandelt wird. Das können wir politisch nicht akzeptieren! Es ist ein europäisches Problem, eine Krise Europas im ganzen.
Was muss Europa tun?
Wir Griechen müssen die Flüchtlinge und Migranten registrieren. Das tun wir. Europa muss dafür sorgen, dass die Menschen in Europa verteilt und die Migranten wieder zurückgeführt werden. Drei Dinge also: Registrierung, Verteilung, Rückführung. In Sachen Verteilung und Rückführung passiert bisher aber gar nichts!
Griechenland steht vor einer großen Herausforderung.
Der wir uns auch stellen werden, das ist unsere Pflicht! Die Flüchtlinge und Migranten brauchen Lebensmittel, Unterbringungsmöglichkeiten, sie brauchen Gesundheitsversorgung und Sozialarbeiter. Und wir brauchen Hilfe im großen Stil. Aber bitte noch einmal: Die Situation in Griechenland wird sich definitiv nicht verbessern, solange sich nicht auch die Flüchtlingszahlen aus der Türkei verringern. Falls wie bisher weiterhin täglich zweitausend Flüchtlinge und Migranten nach Griechenland kommen, wird ein Punkt erreicht, wo wir die Situation einfach nicht mehr bewältigen können.
Bei welcher Zahl an Gestrandeten Flüchtlingen in Hellas, das ohnehin seit dem faktischen Staatsbankrott im Frühjahr 2010 in der Dauerkrise steckt, droht der Kollaps?
Wir haben jetzt gut 33.000 Flüchtlinge und Migranten in Griechenland. Wenn es 50.000 werden, werden wir Unterbringungsmöglichkeiten für 50.000 schaffen. Wenn es 70.000 werden, dann eben für 70.000.
Und so weiter?
Nein.
Es gibt also eine Grenze der Belastbarkeit.
Ja, das gilt für jedes Land. Die Flasche wird platzen. Ich weiß nicht genau, wann, aber sie wird springen, sie wird explodieren.
Stichwort Festung Europa: Welche Gefühle haben Sie, wenn Sie über ein Europa sinnieren, in dem im Jahr 2016 die Grenzen geschlossen werden?
Ich bin Gynäkologe von Beruf. Manche sagen, ich sei ein guter. Mein Beruf ist es, Menschen gesund auf die Welt zu bringen. Ich kann jetzt angesichts dieser Entwicklungen in Europa und der Erniedrigung und Entwürdigung von Menschenleben nichts anderes empfinden als Wut, aber zugleich auch tiefe Trauer.