Thomas Jahnke zweifelt an derartigen Multiple-Choice-Tests. | Am Montag große Pisa-Debatte in Wien. | Wien. "So kann man Bildung nicht testen", bringt Thomas Jahnke, der an der Universität Potsdam Didaktik der Mathematik lehrt, im Gespräch mit der "Wiener Zeitung" seine Kritik an der OECD-Bildungsvergleichsstudie Pisa (Program for International Student Assessment) auf den Punkt. Von Leuten, die bei Pisa gut abschneiden, könne man nur sagen, "sie sind Pisa-gut, sie sind gut hinsichtlich solcher Tests".
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#Testerfahrung zählt
Denn Bildung könne man nicht testen, "und mit solchen Multiple-Choice-Aufgaben schon gar nicht". Die Testpersonen müssten ja keine Lösung selbst erarbeiten, sondern nur aus vier Antworten die richtige wählen. Im Vorteil seien jene, die dieses Modell aus dem angelsächsischen Raum schon besser kennen und einschlägige "Testerfahrung" haben. Vor allem in Finnland, dem Pisa-Musterland, werde alle sechs Wochen an den Schulen getestet. In Deutschland und Österreich sei man noch nicht so vertraut damit gewesen, werde aber aufholen. Es sei nur die Frage, ob Bildung darin bestehe, auf "Pisa-Test-Tauglichkeit" hinzuarbeiten.
Pisa-Ergebnisse spiegelten, so Jahnke, "mit Sicherheit" weit mehr die "Testerfahrung" in einem Land wider als die allgemeine Qualität des Bildungssystems. Dabei anerkennt Jahnke, dass Finnland über ein sehr gutes Bildungssystem verfüge, während in Deutschland und Österreich sicher vieles reformbedürftig sei. Nur: Allein aus den Pisa-Ergebnissen könne man die dafür nötigen Maßnahmen sicher nicht herausfiltern.
Jahnke, Herausgeber des kritischen Buches "Pisa & Co." (Franzbecker Verlag), ortet eine "Ökonomisierung der Bildung": "Wie ein VW, der durch eine Endkontrolle läuft, soll nun auch der Schüler durch einen Fragenkatalog endkontrolliert werden. Das ist eine ganz bestimmte Auffassung von Bildung oder davon, was von Bildung bleibt." Ähnlich kritisch sieht Jahnke das Bologna-Modell für die Universitäten, das einheitliche Studiengänge für alle Fächer und Länder vorsieht.
Was Jahnke besonders stört, ist das Pisa-Punktesystem. "Pisa macht nach 120 Minuten eine Bewertung auf Hundertstel genau. Pisa sagt, ich kann dir, nachdem du 20 Aufgaben angekreuzt hast, sagen, ob du eine 4,31 oder eine 4,32 hast. Das ist doch erschreckend, dass man an solche Dinge überhaupt glaubt." Noch dazu, wenn man weiß, das nicht alle Schüler die gleichen Testhefte bekommen, sondern acht verschiedene Testhefte im Umlauf sind.
Jahnke kritisiert den Pisa-Anspruch, nach dem Ankreuzen einiger Aufgaben sagen zu können, "wie gut du bist, wie gut dein Lehrer ist, wie gut das Bildungssystem ist". Wenn man das von Pisa erwarte, sei das "ein Fehler", so Jahnke, solche Tests könnten nur zusätzliche, aber nicht die entscheidenden Informationen geben. Er spricht sich entschieden dagegen aus, die Pisa-Studien, die natürlich auch viel Geld kosten und Bildungsforschern zur Rechtfertigung ihres Daseins dienen, bis 2018, wie es geplant ist, in dieser Form fortzusetzen.
Menetekel mit Dezimalen
Dass Pisa solche Prominenz erlangt habe, führt Jahnke auf eine "empirische Wende" zurück: "Wir glauben heute besonders an Zahlen. Das Menetekel hat Dezimalen bekommen. Das ist etwas Schönes. Wir müssen nicht sagen: Die Zukunft ist schwarz, sondern: 4,31. Als kurzfristige Untersuchung innerhalb einer Legislaturperiode spielt Pisa auch den Bildungspolitikern in die Hände. Gibt es beim nächsten Mal positive Änderungen, kann man sagen: Wir haben etwas erreicht."
Jahnke nimmt am Montag, 15. Jänner 2007, um 15 Uhr an einer großen Pisa-Debatte im Theatersaal der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (1010 Wien, Sonnenfelsgasse 19) teil und wird dort auch auf Österreichs "Mister Pisa" Günther Haider treffen.