Die unzähligen Baumscheiben in Wien werden von Baumpaten liebevoll betreut und heiß umkämpft.
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Wien. Mitten im Getümmel und Lärm der Großstadt spaziert Ljubica L. mit ihren zwei Gießkannen die Straße entlang. Wie jeden Morgen ist es Zeit, ihre Pflanzen zu gießen. Das Besondere daran: Ihr Garten befindet sich auf einem Gehsteig im 2. Bezirk.
Ljubica ist eine der vielen Baumpaten in Wien. Sie hat sich eine kleine Grünfläche rund um einen Baum am Gehsteig - auch Baumscheiben genannt - zu eigen gemacht. Seit mehr als einem Jahr pflegt die Pensionistin mittlerweile drei Baumscheiben vor ihrem Haus. "Ich hatte die Nase voll von dem Müll vor meinem Fenster und der Art, wie die Menschen mit der Natur umgehen", erklärt sie der "Wiener Zeitung".
Möglich gemacht wurden die Baumpatenschaften im Jahr 2010 durch die Initiative "Garteln ums Eck", die von der Gebietsbetreuung Stadterneuerung im Auftrag der Stadt Wien ins Leben gerufen wurde. Zwar wurden die Grünflächen schon zuvor von Naturliebhabern gepflegt, dies war jedoch illegal. Die Legalisierung geschah laut der Gebietsbetreuung Stadterneuerung aufgrund der großen Nachfrage der Bewohner.
Was zunächst wie ein Nachgeben der Stadt Wien und ein Sieg seitens der Bürger erschien, stellte sich rasch als kluger Schachzug heraus. Für die Stadt bedeutete die Legalisierung des Hobbys nämlich weniger Müll und ein grüneres Stadtbild. Die Baumpaten verschönern somit Wien fast kostenlos.
Neben der Werbung, die die Stadt Wien in Auftrag gibt, kümmern sich die Baumpaten auch selbst darum, dass die Initiative bekannter wird: "Die Leute bleiben oft stehen und fragen, was ich da mache. So kommt man ins Gespräch. Es ist wie eine Epidemie", lacht Ljubica, "wenn einer anfängt, dann machen es alle nach. Und so viel Arbeit ist es ja auch wieder nicht", fügt sie hinzu. Um überhaupt Baumpate werden zu können, muss man ein Foto des begehrten Baumes samt Nummernschild an die Gebietsbetreuung Stadterneuerung des Bezirkes schicken. Diese prüft, ob die Baumscheibe noch zur Verfügung steht und bespricht mit dem zukünftigen Mieter die Gestaltungsvereinbarungen. Einige Regeln sind zum Beispiel, dass man keine giftigen Pflanzen oder weitere Bäume einsetzen darf.
Die Patenschaft für eine Baumscheibe ist kostenlos, Erde und Kompost werden von der MA 42 (Wiener Stadtgärten) zur Verfügung gestellt. Mit einer Baumpatenschaft erhält man nicht nur eine Lektion in Gartenkunde, sondern auch eine in Sachen Durchhaltevermögen. Baumpaten müssen ihr gemietetes Territorium nämlich häufig vor Müll, Vandalismus und Hunden schützen. Auch Ljubicas Baumscheibe wird häufig beschädigt: "Die Leute reißen die Pflanzen aus und werfen ihren Mist in meinen Garten".
Eine Möglichkeit, den Müll zu umgehen, ist die Umzäunung der Baumscheibe. In einigen Bezirken, wie beispielsweise Neubau oder Josefstadt erhält jede Baumscheibe, die bepflanzt wird, einen Zaun. Andere Bezirke können aufgrund der großen Nachfrage nicht jeden Baum automatisch umzäunen. Der Gebietsbetreuung Stadterneuerung Leopoldstadt stehen beispielsweise zehn Zäune pro Jahr zur Verfügung, weshalb die Mieter sich auf eine Warteliste setzen lassen müssen.
Ljubica L. hat dies getan. Über ein Jahr lang musste sie auf ihren Zaun warten. Zwar blieb der Effekt des kleinen dunkelgrünen Zaunes aus, so muss sie auch heute noch "Dosen und Tschicks" aus ihrem Garten fischen, dennoch möchte sie ihn weiterhin pflegen. "Ich lass mich nicht unterkriegen, das ist mein Kampfbaum und ich gebe nicht auf". Die Gebietsbetreuung Stadterneuerung ist auf ihr Engagement aufmerksam geworden und hat ihr bereits eine weitere Baumscheibe zur Pflege angeboten, schließlich soll es in Zukunft überall so grünen wie vor Ljubicas Fenster.