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"Das ist nicht mehr mein Land"

Von Arian Faal und Marina Delcheva

Politik

"Die Türken" gibt es spätestens seit dem Putschversuch nicht mehr, die Community ist tief gespalten.


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Wien. "Ich würde meine Hand für ihn abhacken lassen." "Wir stehen mit unserem Leben in seiner Schuld." "Es gibt wenig Präsidenten, die so an ihr Volk denken." Sie stehen fest hinter "ihrem" Präsidenten, die Anhänger von Recep Tayyip Erdogan. Auch hier in Österreich. Wer es wagt, die Art und Weise, wie er nach dem gescheiterten Putsch mit Kritikern umgeht und nach und nach demokratische Grundpfeiler demontiert, zu kritisieren, beißt auf Granit.<p>Für die Fans des Präsidenten ist es vollkommen legitim, wenn willkürliche Verhaftungen durchgeführt und der Ausnahmezustand verhängt wird. Die Spaltung in der ohnehin schon gespaltenen Community ist nach dem Putschversuch aber noch tiefer geworden. Grundsätzlich gilt: Man liebt Erdogan oder man hasst ihn. Dazwischen gibt es (fast) nichts.



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Rauer Umgangston

<p>Und auch der Umgangston unter den Pro- und Contra-Erdoganisten wird rauer. Am Samstag stürmten Unterstützer des Präsidenten bei einer Demonstration auf der Mariahilferstraße ein Lokal, das von Kurden geführt wird. Die "Union Europäisch-Türkischer Demokraten" (UETD) rief ihre Anhänger im Internet auf, Putsch-Unterstützer, respektive AKP-Kritiker, den türkischen Behörden zu melden.<p>

Die Aufrufe fruchten. Eine junge Austro-Türkin, die ihren Namen lieber nicht nennen will, erzählt, dass ihre Mutter von einer verborgenen Nummer angerufen und "gewarnt" wurde, dass ihre Tochter Erdogan in den sozialen Medien kritisiert. Die Denunzierung kann für die Betroffenen übrigens weitreichende Folgen haben. Dieser Tage müssen sie negative Konsequenzen für ihre Familien in der Türkei fürchen oder könnten beim nächsten Heimaturlaub gleich am Flughafen angehalten und verhört werden. "Das ist nicht mehr mein Land", sagt ein junger Austro-Türke mit Blick auf die Geschehnisse dort.<p>"Du bist entweder pro oder ein Verräter. Es wird immer schlimmer", erzählt die junge Frau. Viele in der Community wollen den Rundumschlag des Präsidenten trotz des unliebsamen Putschversuchs nicht mittragen und sein Durchgreifen geht auch manchen, die ihn bis vor kurzem noch unterstützt haben, zu weit.<p>Dieses einfache Schwarz-Weiß-Bild erhält mit der Frage der Orchestrierung der Fans eine neue Facette. Als Motor hinter den Kulissen dient die österreichische UETD in Wien. Sie sieht sich als NGO und fungiert als Anlaufstelle für die eigene türkische Community nach außen und als Ansprechpartner für Wirtschaftstreibende und Journalisten. De facto ist sie aber ein wichtiges Sprachrohr Ankaras. Sie hat exzellente Verbindungen zu Erdogans islamisch-konservativer Regierungspartei AKP und holte ihn vor einigen Monaten auch nach Wien. Die sozialen Medien fungieren als verbaler Spiegel der Emotionalität. Hier wird in den letzten Tagen seitens des türkischen Außenamtes massiver Druck ausgeübt, dass alle Personen, die gegen das Regime aktiv sind, sofort zu melden seien. Emailadressen der Regierung, um diese "Delikte" zu melden, sind angefügt.<p>

Grafik zum Vergrößern bitte anklicken.

Dem Vernehmen nach soll auch der heimische Verfassungsschutz die UETD seit der Demos am Wochenende genau beobachten. Und auch Außenminister Sebastian Kurz fand am Donnerstag ungewöhnlich scharfe Worte: "Wer sich in der türkischen Innenpolitik engagieren will, dem steht es frei, unser Land zu verlassen", sagte er.<p>Wegen der umstrittenen Säuberungswelle, aber auch wegen Informationen, wonach die Pro-Erdogan-Demonstrationen direkt aus Ankara gesteuert worden sind, hatte Kurz den türkischen Botschafter Hasan Gögüs ins Außenamt zitiert. Österreich wolle "Klarheit, in welche Richtung sich die Türkei entwickelt." Gögüs verteidigte indes das Vorgehen in der Türkei. In einem Brief an zahlreiche Österreichische Medien empörte er sich über die "voreingenommene und unfaire" Berichterstattung.<p>Bundeskanzler Christian Kern lud am Donnerstag Vertreter islamischer Gruppen zu Gesprächen über die Erdogan-Demos ins Kanzleramt. "Wir werden den Dialog fortsetzen und einen regelmäßigen Gesprächszyklus aufsetzen", sagte er. Man habe sich darauf verständigt, gemeinsam scharf gegen das Überschreiten rechtlicher Rahmen von Einzelnen vorzugehen. Gleichzeitig warnte Kern vor Pauschalierungen. Gemeinsam mit Staatssekretärin Muna Duzdar seien weitere Gesprächsrunden mit Vertretern der islamischen Glaubensgemeinschaf (IGGiÖ) sowie ihrer Trägervereine geplant.<p>Auch innerhalb der UETD scheint es Zweifel zu geben, ob die Allmachtstellung Erdogans der richtige Weg sei. Hakan Gördü, Obmann-Stellvertreter, der am Montag noch in der "Wiener Zeitung" den niedergeschlagenen Putsch verteidigte, trat zwei Tage später mit dem Hinweis, dass seine Sicherheit nicht mehr gewährleistet sei, zurück. Neben der UETD gibt es viele andere Vereine, die sich hierzulande engagieren. "Über diese Vereine wird türkische Politik in Österreich betrieben", sagt der ehemalige Grünen-Politiker Efgani Dönmez.<p>In religiöser Hinsicht ist es der "unparteiische Verein ATIB", der für die türkische Republik die Religionsausübung im Ausland koordiniert. Er steht in direkter Verbindung zur Regierung und zur Botschaft. ATIB-Räumlichkeiten wurden immer wieder für AKP-Wahlkampfveranstaltungen genutzt. Die Palette der Vielfalt der Community reicht von laizistischen, säkularen Organisationen bis hin zu islamisch-konservativen, stark nationalistisch ausgerichteten Gruppierungen.<p>Unter Beschuss stehen jetzt vor allem Anhänger der Gülen-Bewegung, die von Erdogan beschuldigt werden, hinter dem jüngsten Putschversuch zu stehen. Der frühere Verbündete und Wegbereiter Erdogans, der im US-Exil lebende Prediger Fethullah Gülen, ist die Leitfigur eines weltweiten, dezentralen Netzwerks von islamischen Bildungs-, Kultur- und religiösen Organisationen (siehe Grafik).<p>Viele Türken - einige von ihnen mit kurdischem Background - ärgerten sich in den vergangenen Tagen sehr darüber, ständig mit Erdogan in Verbindung gebracht zu werden. Auf dem Europaplatz haben sich einige Erdogan-Gegner für einen Austausch getroffen. Gökcen F. ist eine von ihnen. Ihren echten Namen möchte sie nicht in der Zeitung lesen, denn es gebe ohnehin schon genug Anfeindungen. "Ich kann es nicht mehr hören. Ständig glauben die Menschen, dass alle in Österreich lebenden Türken Erdogan-Fans sind", sagt sie und zieht an ihrer Zigarette. Für sie ist er ein "machtgieriger Diktator". "Wie absurd das Ganze ist, sehen Sie schon daran, dass Erdogan selbst die Gülen-Bewegung hinter dem Putsch sieht, seine Anhänger hier in Wien aber die Kurden im Visier haben", ergänzt sie. Und das, obwohl die Gülen-Bewegung in Österreich ebenfalls aktiv sei.<p>

Distanz zur Heimat

<p>Ob der angespannten Stimmung wenden sich ein paar junge Türken, zumindest politisch, von ihrer Heimat ab. Einige überlegen, ihre Sommerurlaube dort auf unbestimmt Zeit zu verschieben. "Ich bin schon total verzweifelt. Ich liebe Istanbul. Aber wenn es dort so weitergeht, muss ich der Türkei den Rücken kehren", sagt die junge Austro-Türkin. Der biber-Journalist Teoman Tiftik beschreibt ein Klima des Misstrauens und der Spaltung. "Ich fühle mich dem Land emotional natürlich verbunden. Aber politisch fühle ich mich in der Türkei nicht mehr zu Hause", sagt er.

(af) 2015 lebten mehr als 115.000 türkische Staatsbürger in Österreich. Damit stellt die Türkei nach Deutschland die zweitgrößte Gruppe ausländischer Staatsbürger. Die meisten türkischen Staatsbürger leben in Wien (39 Prozent), gefolgt von Niederösterreich (13 Prozent) und
Oberösterreich (12 Prozent). Derzeit gibt es über 265.000 Menschen mit türkischem Migrationshintergrund bei uns. 160.000 davon zählen zur ersten Generation. Das sind Menschen, die in der Türkei geboren wurden. 105.500 zählen zur zweiten Generation, sind also Personen, deren Eltern in der Türkei geboren wurden. Fast die Hälfte der Muslime in Österreich kommt aus der Türkei. 60.000 Türken sind Aleviten. Etwa 30 Prozent der türkischstämmigen Personen in Österreich sind Kurden.