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"Das ist total verrückt"

Von WZ-Korrespondentin Simone Schlindwein

Wirtschaft
Rund 10.000 Einzelteile werden verschifft, zusammengebaut, wieder auseinandergenommen und wieder zusammengebaut: VW werkt in Kigali.
© Schlindwein

VW eröffnet ein Werk in Ruanda. Wie verkauft man teure Autos an Kunden mit wenig Geld? Gar nicht.


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Kigali. Mit einem Taschentuch wird der Staub vom Logo gewischt, wenige Minuten bevor Ruandas Präsident Paul Kagame eintrifft. Der deutsche Automobilhersteller Volkswagen (VW) hat sein Werk in Ruanda eröffnet. Das Fabriksgelände im Industriepark nahe des Flughafens der ruandischen Hauptstadt Kigali ist knapp fertig geworden. Der VW-Polo war erst wenige Tage vorher im Container angeliefert und am Tag zuvor zusammengeschraubt worden.

Was der deutsche Automobilhersteller hier in Ruanda versucht, ist auf den ersten Moment etwas schwer zu verstehen. Denn bei Afrika kommt sofort die Frage auf: Wie vermarktet man deutsche Autos in der Preisklasse zwischen 20.000 und 30.000 Euro an eine Bevölkerung, die sich das gar nicht leisten kann? Noch dazu ist ausgerechnet Ruanda dasjenige Land auf dem Kontinent, in welchem die Regierung sich das Ziel gesetzt hat, die Zahl der Privatfahrzeuge auf den Straßen zu verringern. Der öffentliche Nahverkehr wird ausgebaut. Entlang der Gehsteige werden Fahrradwege angelegt. Einmal pro Monat herrscht in Ruanda "autofreier Sonntag", da wird jeder gefahrene Meter mit Strafen belegt.

"Wollen Mobilität verkaufen"

Wie soll dies ein Markt sein für Deutschlands Autokonzern, dessen ursprüngliches Konzept es einmal war, Fahrzeuge für Jedermann herzustellen? Als "neues Kapitel in der wirtschaftlichen Transformation des Landes" bezeichnet Präsident Kagame die 16 Millionen Euro Investition des weltweit führenden Automobilherstellers in dem kleinen Land. Ruanda will langfristig von der Landwirtschaft wegkommen und den Dienstleistungssektor ausbauen. Dabei soll VW helfen. "Wir wollen in erster Linie Mobilität verkaufen", erklärt VW-Afrika-Chef Thomas Schäfer. VW will in Ruanda Fahrdienstleister werden: Der Kunde bestellt per Smartphone-App ein Taxi, wird abgeholt und irgendwo abgesetzt, "so ähnlich wie Uber", sagt Schäfer. 150 VW-Taxen sollen so bald durch Kigali fahren.

Und 250 Autos stellt VW zum Car-Sharing bereit. Da kann man sich per App ein Auto um die Ecke suchen, wenn man eines benötigt. Bezahlt wird auch hier bargeldlos, je nach gefahrenem Kilometer oder benutzter Stunde. Volkswagen ist in Ruanda also kein klassischer Autohersteller, sondern ein Transportunternehmen - mit eigener Flotte. Erst im nächsten Schritt sollen dann auch Volkswagen an Privat- und Firmenkunden vermarktet werden.

Das lässt sich VW einiges kosten. Denn zunächst werden die Autos um die Welt geschifft: Die rund 10.000 Einzelteile eines Passats werden aus Deutschland ins Werk nach Südafrika geliefert, dort zusammengebaut und dann aber wieder zerlegt: Motor, Auspuff, Kupplung herausgenommen und neben der fertigen Karosserie als gesonderte Pakete in einem Container verpackt. Dieser wird dann per Schiff an den tansanischen Hafen Daressalam und von dort über tausend Kilometer auf einem Lastwagen nach Ruanda transportiert, wo die Teile dann wieder zusammen gesetzt werden. "Das ist total verrückt", gibt Schäfer zu. Doch so spart sich VW die hohen Importzölle, die bei der Einfuhr von fertigen Neuwagen nach Ruanda anfallen würden.

Ruanda hat Volkswagen ein lukratives Angebot gemacht. Die Regierung will in den kommenden Jahren nicht nur den Import von Second-Hand-Kleidung verbieten, sondern auch von Gebrauchtfahrzeugen.

Monopol für VW

In seiner Rede erklärt Präsident Kagame: "Afrika muss keine Resterampe für Gebrauchtwagen aus aller Welt sein." Langfristig zahle man ohnehin einen hohen Preis, so der Präsident: "Warum dann nicht einen hohen Preis für einen Neuwagen?" Fragt man Schäfer, ob dies eine Abmachung mit dem Präsidenten war, betont er: "Wir haben ihn nicht dazu gedrängt."

Doch klar ist: Die Regierung hat VW quasi eine Monopolstellung eingeräumt - auch mit den Mobilitätskonzepten. In den vergangenen Jahren drängten Fahrdienstleister wie Uber auf den afrikanischen Markt. Da gibt es viel Konkurrenz. In Ruanda wurden diese Unternehmen nicht zugelassen. Hier darf VW jetzt ganz alleine seine neuen Konzepte testen.

In einem kleinen Büro im Untergeschoss des Innovationslabors in Kigali drängen sich sechs junge Programmierer um einen großen Tisch, jeder auf seinen Laptop fokussiert. Wenige Tage vor der VW-Eröffnung knistert hier die Atmosphäre. Das 2016 gegründete Start-up-Unternehmen Awesomity hat für Volkswagen die App programmiert, mit welcher die Ruander in Zukunft VW-Taxis und Autos buchen können.

Firmengründer Lionel Mpfizi ist gerade mal 21 Jahre alt und noch nicht einmal mit seinem IT-Studium fertig. "Das war eine wirkliche Herausforderung für uns, mit einem solch gigantischen Unternehmen zusammen zu arbeiten."

"Wir haben es geschafft"

Awesomity war gerade einmal ein Jahr alt, als VW vergangenes Jahr in Ruanda nach einer lokalen Softwarefirma suchte. Mfpizi bewarb sich auf die Ausschreibung. Sein Team hatte zuvor eine Car-Sharing-App für Nigeria programmiert. Die funktionierte gut. VW zeigte sich interessiert. "Wir mussten so viel lernen", gibt Mpfizi zu. Hilfe bekam er auch dabei aus Deutschland: Der deutsche Firmenberater Olaf Seidel hatte sich gerade selbständig gemacht und war bereit, als Mentor einzuspringen. Er hatte bereits zuvor Verhandlungen mit VW geführt, erklärt er. Seine erste Reaktion, als er per Telefon aus Ruanda vom VW-Angebot hörte: "Ach du meine Güte!" Er buchte sofort einen Flug. Seidel musste das Awesomity-Team fit machen für Vertragsverhandlungen, Anwälte einschalten.

Drei Monate später hatte das Jungunternehmen den Vertrag in der Tasche und schmiss eine große Party, so Mpfizi: "Wir haben es geschafft", lacht er stolz.