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Jede Veränderung bringt einen Neubeginn. Nicht immer ist er erwünscht. Nicht immer ist es leicht, loszulassen.
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"Wenn ich euch jetzt frage, wie es sich anfühlt, wenn ich sage, dass unsere zwölfjährige Schulzeit hier ein Ende hat. Was wäre eure Antwort? Ich kann euch sagen, wie es sich für mich anfühlt - befreiend, aber auch schwierig. Schwierig, all das loszulassen - meine Kindheit, meine Jugend und mein Schülerinsein. Ich weiß, wenn ich heute durch diese Türe gehe, bin ich erwachsen. Mit diesem Tag lässt man uns ins Leben. Das ist unser Start!" (Auszug der Rede von Hannah, Schulsprecherin und Absolventin einer Abschlussklasse des BORG Guntramsdorf, im Rahmen der Maturafeier.)
Ein Neubeginn kommt für gewöhnlich nicht überraschend. Wir wissen, dass wir älter werden und damit Entwicklungsschritte durchlaufen, die einen erneuten Start erfordern. Die Vorbereitungszeit ist manchmal länger, manchmal kürzer, manchmal aufgrund tragischer Ereignisse erst gar nicht vorhanden. Ehrlich gesagt, wann ist man wirklich auf den nächsten Schritt vorbereitet? Mit einer Situation umzugehen, weiß man doch erst, wenn man schon mittendrin steckt. Nichts lässt sich erfühlen, das man noch nicht erlebt hat.
Zweifel bringen Kreativität
Stattdessen werden wir uns bewusst, was hinter uns liegen bleibt, und wir erkennen, was wir bis dahin hatten. Man blickt zurück auf Dinge, die selbstverständlich waren. Wir bereuen mitunter, dass wir das ein oder andere nicht genug geschätzt haben. Die Angst loszulassen und Verlustängste sind der erste Schritt, den Veränderung auslöst, erklärt die Psychiaterin Elisabeth Lazcano im Gespräch mit der "Wiener Zeitung".
Die Struktur geht verloren und mündet in eine Orientierungslosigkeit. Die dabei hochkommenden Zweifel sind oft sehr schwer auszuhalten, können zeitgleich auch befreiend sein und wunderschön, denn "der Zweifel bringt den kreativsten Moment hervor", betont die Medizinerin. Auch Menschen, die sogar gezwungen waren, etwas völlig Neues und Undenkbares anzugehen, meinen häufig im Nachhinein, dass es gut war.
Also, positiv denken: Alles wird gut! So einfach gestaltet sich die Sache auch wieder nicht. Denn positives Denken lässt sich nicht überstülpen. "Wenn jemand ein Ratgeberbuch liest und es funktioniert nach den ersten Monaten nicht, kommt es zum Rückschlag. Er wird der Erste sein, der in ein tiefes Loch fällt", weiß Lazcano. "Ich halte es sogar für gefährlich, Menschen mit simplem positiven Denken zu beruhigen, ihnen vorzugaukeln, dass alles möglich und machbar ist."
Hingegen haben es Menschen leichter, die eine gewisse Form von Urvertrauen besitzen, Erfolgserlebnisse und das Prinzip der Selbstwirksamkeit erfahren haben. Ich greife auf meine Stärke zurück - weil eine Basis da ist. ICH werde eine Lösung finden.
Wobei die äußeren Bedingungen nicht unwesentlich sind: einen finanziellen Polster zu haben und vor allem sozialen Rückhalt. "In Krisensituationen ist das soziale Gefüge von großer Bedeutung", betont Lazcano - also gestützt zu sein von der Familie und von Freunden.
Es ist "befreiend, aber auch schwierig", schilderte Hannah eingangs. Keiner von uns weiß, was hinter dieser ominösen Türe liegt, durch die wir gedrängt werden. Möglicherweise Befreiung. Auf jeden Fall wird es schwierig, all das loszulassen. Nichtsdestotrotz: Das ist unser Start!
Diesen Artikel finden Sie in Printform am 30. Juni 2023 - ein letztes Mal - in Ihrer "Wiener Zeitung"