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Drohender Jobverlust und hohe Kredite bereiten den Zyprioten massive Sorgen.
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Nikosia. Schön ruhig ist es hier, in diesem Neubaugebiet in Nikosia. Familienvater Panos, ein schlaksiger Mann mit Brille und leicht angestrengtem Gesicht, huscht durch die offene Tür ins geräumige Wohnzimmer. Benjamin Nikos sitzt dort auf dem Schoß der Mama, er schaut den Besucher mit großen Augen an. Seine vier Geschwister spielen draußen auf der Straße. Das unbeschwerte Kinderspiel stören nur ganz selten vorbeifahrende Autos. Familienglück pur, zuhause bei der Familie Panagiotou, in den letzten Märztagen. Doch der Schein trügt.
Der Tag, an dem sich das Leben der Panagiotous schlagartig ändern sollte, war ein Samstag. Da traf im fernen Brüssel Zyperns Finanzminister mit seinen Kollegen aus den übrigen sechzehn Euro-Ländern eine Übereinkunft, wie der pleitebedrohte Inselstaat zu retten ist. Sie beschlossen etwas, was es in der Geschichte der EU noch nie gegeben hatte. Etwas, was bis dato undenkbar schien: eine Zwangsabgabe auf alle Spareinlagen bei Zyperns Banken. "Wir sind aufgewacht und haben die Nachrichten gehört. Zuerst haben wir uns gesagt: ‚Das kann doch in Europa nicht passieren!‘", erinnert sich Panos Panagiotou. "In dieser Nacht haben sich diese Damen und Herren von der Eurogruppe gesagt: ‚Wir wollen Blut sehen!‘", zeigt sich seine Frau Angela heute noch entsetzt. "Uns war sofort klar: Das ist das Aus für Zyperns Banken. Wer lässt schon sein Geld in einem Land, wenn es einem geraubt wird?" Angela Panagiotou zieht die Augenbrauen hoch, als sie das sagt.
Ein Leben auf Kredit
Dem schallenden Nein zur Zwangsabgabe von Zyperns Parlament folgte zu Wochenbeginn ein neuer Zypern-Plan, die angestrebte Bankenrettung auf Zypriotisch. Das bis dato zweitgrößte Geldinstitut, die Laiki Bank, soll in eine "gute" und eine Bad Bank aufgespalten und abgewickelt werden. Seit dem Bekanntwerden der Schreckensnachricht herrscht unter den landesweit 2300 Laiki Bank-Angestellten laut Panos und Angela nur eines: nackte Angst. Auch bei den Panagioatous liegen die Nerven blank und das Schreckgespenst des Jobverlustes ist allgegenwärtig. Denn Panos und Angela arbeiten ausgerechnet bei der Laiki Bank.
Die Beiden kommen aus einfachen Verhältnissen. Schon in jungem Alter wurden sie Freunde, vor 15 Jahren heirateten sie. Mit Fleiß und Bildungshunger schufen sich die Panagiotous langsam ihre heile Welt. Angela hat in Zypern und in England studiert, erwarb dabei drei Diplome. Auch Panos, heute 40, studierte in England. Der Lohn für das Büffeln: Angela ist schon seit 16 Jahren bei der Laiki Bank, Panos immerhin schon zehn Jahre -beide in leitender Position.
Erst ein paar Jahre ist es her, dass Panos und Angela endlich ihre drei Studien-Kredite für ihre Uni-Aufenthalte in England abgestottert haben. Gewährt hatte sie die Laiki Bank, schon damals Angelas Arbeitgeber. Vor zehn Jahren, als Panos und Angela schon drei Kinder hatten, nahmen sie zudem ein Hausdarlehen und zwei Auto-Kredite auf. Die Gesamtbelastung lag bei 170.000 Euro. "Natürlich" kamen die Kredite wieder von der Laiki Bank. Die Laiki Bank war in Zypern das Sinnbild für Stärke und Robustheit", sagt Angela. Ihr Gehalt sei komplett für die monatlichen Kreditzahlungen für Haus und Autos bestimmt gewesen, Panos Gehalt musste für die siebenköpfige Familie zum Leben reichen. Ersparnisse gibt es kaum. "Dafür ist das Leben in Zypern zu teuer", sagt Angela.
Schon im vorigen Herbst geriet das beschauliche Leben der Panagiotous ins Wanken. Sie mussten, wie alle Angestellten der mittlerweile verstaatlichten Laiki Bank, einen Einschnitt von 15 Prozent beim Gehalt einstecken. Vielen anderen ging es allerdings noch deutlich schlechter. Ende des vorigen Jahres waren schon 14 Prozent der Zyprioten ohne Job - Tendenz stark steigend.
"Nur Sonne und Banken"
Mit den heiklen Brüsseler Beschlüssen steht für Panos und Angela nun fest, dass die ganze Wirtschaft in Zypern zusammenbricht. Der Grund sei simpel: "Was hat Zypern schon zu bieten? Sonne, Meer und Banken." War aber Zyperns aufgeblähter Bankensektor mit seinen 8000 Angestellten nicht genau das Problem? "Im Gegenteil", sagt Angela. "Das haben wir sehr richtig gemacht. Andere bauen Autos. Wir sind eben im Banking gut. Was ist daran verwerflich?"
Eine echte Zukunft auf Zypern sieht Angela nicht. Auswandern sei aber auch keine Alternative, meint ihr Mann. "Dafür braucht man Anfangskapital. Wir haben aber nur Kredite." So steht die Familie Panagiotou vor einer vagen Zukunft. Feststeht: Verlieren sie den Job, dann könnten sie ihre Kredite nicht mehr bezahlen. Nach zwei Jahren wären sie ihr Haus los. So ist für Panos und Angela Zyperns Wirklichkeit nur ein "Albtraum". "Das ist eine Invasion." So wie 1974, als die Türken in den Inselnorden einmarschierten. "Nur diesmal ohne Waffen."
Erst kürzlich hätten sie aus Solidarität Lebensmittel und Kleider ins leidende Bruderland, nach Griechenland geschickt, erzählen die Panagiotous . Doch jetzt droht ihnen selbst das gleiche Schicksal. Das, was ihnen einst so fern schien: der totale Absturz.
Damals, im Jahr 2004, hatten die Panagiotous, wie alle Zyprioten, den EU-Beitritt noch gefeiert. Noch mehr habe man sich später über den Euro-Beitritt gefreut. Sie dachten, Europa sei "eine große Familie, in der Gleichberechtigung und Solidarität herrschen." Ganz am Ende des Gesprächs hebt Angela noch einmal die Stimme. Mit funkelnden Augen sagt sie: "Was bin ich in den Augen der Zypern-Retter? Ein Bürger Europas oder eine Zahl?"