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Das Jahr der Drohnen

Von David Ignatius

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Der Autor war Chefredakteur der "International Herald Tribune". Seine Kolumne erscheint auch in der "Washington Post".

In Pakistan haben die USA seit dem Regierungsantritt von Barack Obama die Angriffe gegen Al Kaida und die Taliban massiv verstärkt. Besiegt sind diese aber noch lange nicht.


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US-Vizepräsident Joe Biden übertreibt gelegentlich. Seine triumphale Wortmeldung in NBC’s "Meet the Press", dass noch nie so viel gegen Al Kaida unternommen wurde und die Erfolgsrate jetzt schon die der letzten US-Regierung bei weitem übertreffe, hat sich allerdings bestätigt. Nicht nur durch den jüngsten Erfolg der Antiterrorkampagne und die Gefangennahme von Mullah Abdul Ghani Baradar, der Nummer zwei der afghanischen Taliban, Ende Jänner (die Aktion wurde von der CIA und von Pakistans Geheimdienst durchgeführt und blieb unter Verschluss, bis die "New York Times" die Sache am Montag ans Licht brachte).

Dieses gemeinsame Unternehmen ist Teil einer groß angelegten Offensive. Wie die Statistik zeigt, ist seit dem Regierungsantritt von US-Präsident Barack Obama die Zahl der Aktionen gegen Al Kaida und ihre Verbündeten in Pakistan steil angestiegen. Allein in den Stammesgebieten gab es im Vorjahr 55 Angriffe mit Predator-Drohnen, fast doppelt so viele wie zu den Spitzenzeiten der Regierung von George W. Bush. Seit Anfang 2010 wurde die Dichte der Predator-Angriffe in Pakistan noch erhöht. Sollte dieses Tempo beibehalten werden, könnte man bis Jahresende auf mehr als 100 Angriffe kommen. Der Höhepunkt 2008 waren 35.

Diese Aktionen fordern vor allem in den ersten Reihen der Al-Kaida-Führung hohe Opferzahlen. Seit Jänner 2009 wurden bereits mehrere hundert ranghohe Al-Kaida-Kämpfer durch Drohnen getötet, mehr als jemals zuvor. Auch die Führung der pakistanischen Taliban, die eine groß angelegte Terrorkampagne im eigenen Land betreiben, wurde durch die Angriffe schwer erschüttert.

An jedem ganz normalen Tag befindet sich ein halbes Dutzend Predator-Drohnen über den Stammesgebieten in Westpakistan und hält Ausschau nach geeigneten Zielen für einen Angriff. Erst die Regierung von Präsident Obama hat diese große Intensität möglich gemacht. Bis Ende des Jahres soll die Anzahl der Drohnen noch um gut 40 Prozent erhöht werden.

Auch die Geheimdienstinformationen als Grundlage für die Drohnen-Angriffe haben zugenommen. Das Ausmaß an Vertrauen von Pakistans Regierung und Militär gegenüber den USA habe sich sehr zum Guten verändert, stellte der nationale Sicherheitsberater General Jim Jones nach seinem jüngsten Pakistan-Besuch zufrieden fest.

Offiziell beklagt die pakistanische Regierung die US-Drohen-Angriffe zwar immer noch, unterstützt sie unter der Hand aber tatkräftig. Das erleichtert die Arbeit der CIA und ermöglicht die Praxis der "gleichzeitigen Meldung" eines Angriffs an die pakistanischen Behörden, also normalerweise kurz nach dem Abfeuern einer Hellfire-("Höllenfeuer")-Missile.

Al-Kaida-Kämpfer und ihre Verbündeten sind mittlerweile tatsächlich ständig auf der Flucht, wie Biden sagte. Übertrieben hat er aber, als er verkündete, es sei unwahrscheinlich, dass Al Kaida noch einmal einen Terroranschlag wie 9/11 zustande bringen könnte. Woher will er das wissen?

Was wir in den vergangenen neun Jahren seit dem 11. September 2001 durch Drohnen-Angriffe mit Sicherheit sagen können, ist das: Wir haben es mit einem ziemlich unverwüstlichen, äußerst anpassungsfähigen Gegner zu tun. Die Tatsache, dass er angeschlagen ist, bedeutet nicht, dass keine tödlichen Angriffe mehr möglich sind.

Fest steht aber auch, und das belegen die Zahlen, dass Friedensnobelpreisträger Obama sich keineswegs als bloßer Schwätzer erwiesen hat, denkt man an seine Antrittsrede und den angekündigten "Krieg gegen ein ausgedehntes Netzwerk der Gewalt und des Hasses".

Übersetzung: Redaktion