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Das Jahr, in dem die Krise ankommt

Von Christian Ortner

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Christian Ortner.

Die meisten Österreicher kennen die Wirtschaftskrise bis jetzt nur aus der Zeitung. Das wird sich 2012 vermutlich ändern.


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IWF-Chefin Christine Lagarde warnt vor einer weltweiten Großen Depression wie in den 1930ern - und die Österreicher stürzen sich in einen Konsumrausch, als hätte das ganze Land im Lotto gewonnen. Große österreichische Banken simulieren in diskreten internen Planspielen bereits die Folgen eines allfälligen Zusammenbruchs der Eurozone - und die Österreicher geben hunderte Millionen Euro für den gewohnten Skiurlaub in den Bergen oder den Trip in den sonnigen Süden aus, man gönnt sich ja sonst nichts. Die Wirtschaftsforscher fürchten für das nächste Jahr eine ziemliche Wachstumsflaute, der die Republik mit leeren Taschen eher hilflos gegenüberstehen wird - und viele Österreicher konsumieren weiter auf Kredit, als wäre die Rückzahlung noch nicht erfunden.

Es ist ein eigentümliches Paradox: Während die Eliten sich mitten in der schlimmsten Krise seit Menschengedenken wähnen, fragt sich die große Mehrheit der Bevölkerung noch immer: Krise? Welche Krise?

Tatsächlich haben ja bei uns die Auswirkungen der Finanzkrise noch immer nicht den durchschnittlichen Arbeitnehmer und Konsumenten erreicht. Für ihn hat sich im Großen und Ganzen noch nichts geändert: Die Arbeitslosigkeit ist niedrig, die Einkommen sind stabil, die Krise erscheint eher als Produkt der Medien denn als Teil der Wirklichkeit. Dass der Staat den ökonomischen Airbag gegen die Krise nur mittels stark gestiegener Schulden aufblasen konnte, raubt kaum einem Durchschnittswähler den Schlaf.

2012 dürfte sich zeigen, wie sanft oder unsanft das Erwachen werden wird. Denn in den ersten Monaten des Jahres wird vermutlich eine der wichtigsten Entscheidungen über die Zukunft des Euro fallen: Kann Italien in dieser Zeit nämlich seinen gigantischen Bedarf an neuen Krediten in Höhe von 260 Milliarden Euro (hauptsächlich zum Rückzahlen alter Kredite) zu halbwegs erträglichen Zinsen befriedigen, dürfte es in Europas Schuldenkrise eine merkbare Entspannung geben - und der Euro auf absehbare Zeit in seiner Existenz gesichert sein.

Gelingt Italien dies nicht oder nicht in ausreichendem Maße und gerät das Land in einen Strudel immer höherer Zinsen und dadurch immer schlechterer Bonität wie Griechenland, haben wir ein wirklich ernstes Problem. Dann droht angesichts der Höhe des italienischen Schuldenberges ein finanzieller Super-GAU, der auch Österreich ökonomisch verwüsten würde. Das will man sich eher nicht vorstellen.

Doch auch wenn dieses Horrorszenario ausbleibt - wonach es derzeit aussieht -, dürfte 2012 die Wirtschaftskrise erstmals aus dem Gehege des Wirtschaftsjournalismus ausbrechen und beim Normalverbraucher ankommen. Schon allein die Kombination aus mauer Konjunktur, relativ hoher Inflation und (hoffentlich) beginnender Budgetsanierung wird dazu führen, dass die unterm Strich verfügbaren Einkommen tendenziell eher schrumpfen und die Arbeitslosigkeit steigt.

So unerquicklich das auch sein mag - in Wahrheit wäre angesichts der nach wie vor großen Risiken ein Jahr 2012, in dem uns ökonomisch nichts Schlimmeres zustößt, schon ein ziemlicher Glücksfall.

ortner@wienerzeitung.at