Trotz Unpopularität werden Abes Liberaldemokraten die Wahl am Sonntag wohl hochhaus gewinnen.
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Tokio. Die japanische Boulevardzeitung "Nikkan Gendai" geht mit ihren Lesern hart ins Gericht: "Die Bürger dieses Landes werden von diesem Betrüger komplett an der Nase herum geführt", aber "sie merken es erst, wenn es passiert ist." Mit dem Betrüger ist der japanische Premierminister Shinzo Abe gemeint.
Obwohl Japan seit der Erhöhung der Mehrwertsteuer auf 8 Prozent im April in eine Rezession gerutscht ist, wolle Abe weiter die Steuer erhöhen, zwar 18 Monate später, aber dann sicher. Das würde Japan noch tiefer in die Rezession führen, fürchtet die Zeitung. Sie warnt, dass Abe bald "yaritai-houdai" - ein von der Zeitung geschaffenes Kunstwort - bekomme: "yaritai" bedeutet "machen, was er will" und "houdai" heißt "so viel er möchte". Das fürchten aber nicht nur Stimmungsmacher wie Boulevardmedien, sondern auch Akademiker, Journalisten und Politbeobachter.
Japan bildet Ausnahme
Es ist paradox: Obwohl Abes Politik in vielen Aspekten höchst unpopulär ist, steuert er dennoch bei den nächsten Unterhauswahlen am Sonntag auf eine Zweidrittelmehrheit zu. Eine auch nur annähernd ernstzunehmende Opposition gibt es nicht mehr. Dabei könne das laut Lehrbuch eigentlich nicht sein, sagt der Politologe an der Tokioter Temple University, Michael T. Cucek. Demnach müsste ein Mehrheitswahlrecht zu einem politischen System mit zwei großen Parteien führen. Es deutet jedoch alles auf Japans Weg in den Einparteienstaat, geführt von Abes Liberaldemokratischer Partei (LDP). Cucek schlug daher vor, die Definition zu überarbeiten: "Das gilt immer - mit Ausnahme von Japan."
Schon die Unterhauswahlen vor zwei Jahren brachten Abes LDP einen Erdrutschsieg und den Sprung von der Opposition zurück an die Macht. Bei den Oberhauswahlen ein halbes Jahr später konnte die LDP ihren Einfluss weiter ausbauen. Abe hätte noch bequem wie vorgesehen zwei weitere Jahre regieren können. Doch er entschied sich für Neuwahlen.
Als im November erste Gerüchte von Neuwahlen aufkamen, schien selbst seine eigene Partei überrascht, die Öffentlichkeit sowieso. Die Frage nach der Notwendigkeit wurde heiß diskutiert. Offiziell sagte Abe, er wolle von der Bevölkerung eine Bestätigung seiner "Abenomics" getauften Wirtschaftspolitik erhalten. Außerdem wolle er ihre Zustimmung zum Aufschub der nächsten, für Oktober 2015 geplanten Mehrwertsteuererhöhung von acht auf zehn Prozent.
Umstrittenes Gesetz
Politbeobachter halten die Neuwahlen zu diesem Zeitpunkt jedoch für einen Schachzug des Machtpolitikers Abe, der dadurch sein Mandat um zwei Jahre verlängern will, solange die Zustimmungsraten gut sind. In den letzten Wochen waren sie leicht unter 50 Prozent gefallen, noch immer hoch für einen japanischen Premier. Aber im neuen Jahr stehen mehrere umstrittene Gesetzesvorlagen zur Diskussion, bei denen er fürchten muss, Sympathien zu verlieren.
Ob sich das auf seine Position überhaupt negativ auswirken würde, ist fraglich. Denn viele seiner Maßnahmen lehnt die Bevölkerung auch schon jetzt ab, wie zum Beispiel das Hochfahren der stillliegenden Atomreaktoren oder ein neues Geheimhaltungsgesetz, das seit 10. Dezember in Kraft ist, nachdem es Abe vor einem Jahr im Eiltempo durchs Parlament getrieben hatte. Es ermöglicht der Regierung, bestimmte Sachverhalte ohne Kontrolle von Dritten unter Verschluss zu halten. Kritiker befürchten, dass sie dadurch Unangenehmes vertuschen könnte. Tausende Menschen gingen dagegen bei Protestmärschen auf die Straße.
Gleichzeitig geben Abe die Neuwahlen einen Vorwand, erneut sein Kabinett auszutauschen. Das hatte er zuletzt im September getan. Doch nur wenige Wochen später traten zwei Ministerinnen nach vermuteten Verstößen gegen das Wahlkampfgesetz zurück. Skandale, die sogar in einem Selbstmord eines Ministers endeten, hatten ihn 2007 seine erste Amtszeit gekostet.
Bei der Wahl am Sonntag wird erwartet, dass die LDP die Zahl ihrer Unterhaussitze von 295 auf 315 Sitze oder gar 317, die Zweidrittelmehrheit, aufstocken könnte. Dann wäre sie auch weniger vom langjährigen Koalitionspartner Komeito abhängig.
Die Komeito steht einer buddhistischen Organisation nahe und sträubte sich immer wieder gegen Herzensangelegenheiten Abes, so etwa seine "Neuinterpretation" der pazifistischen Verfassung Japans. Jene ermöglicht nun über das "Recht zur kollektiven Selbstverteidigung", Bündnispartnern im Kriegsfall zur Seite zu springen. Früher hatte das die Verfassung verboten.
Keine Alternativen
Die Verfassung nach seinen Vorstellungen zu ändern, sei das eigentliche Ziel des Nationalisten Abe, sagte der japanische Politikjournalist Takao Toshikawa. Was ihm Sorgen mache, sei, dass Abe eine auffallend gute Chemie mit Autokraten wie etwa Wladimir Putin habe.
Nur: Kaum jemand scheint sich dafür zu interessieren. Es fehlt an echten Streitpunkten sowie an Alternativen. Noch dazu könnte das kalte Winterwetter am Wahltag viele davon abhalten, ihre Stimme abzugeben. Experten sagen eine historisch niedrige Wahlbeteiligung voraus. Je geringer sie ist, desto höher sind Abes Chancen, der auf seine Stammwähler, vor allem große Organisationen, zählen kann.
Auch in den Medien wird auffallend wenig über die Neuwahlen berichtet, vielleicht auch, weil die LDP an viele Medien einen Brief mit dem Appell geschickt hatte, "fair" zu berichten. Eine klare Ansage, nichts Negatives über die LDP zu sagen. Der "Nikkan Gendai" war das offenbar egal.