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Das Kampusch-Interview ging völlig daneben

Von Engelbert Washietl

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Der Autor ist Sprecher der "Initiative Qualität im Journalismus"; zuvor "Wirtschaftsblatt", "Presse" und "Salzburger Nachrichten".

Es ist nicht Aufgabe des ORF, das einstige Entführungsopfer in die an der Medien-Bassena versammelte Halbwissensgesellschaft einzureihen.


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Der ORF hat am Montag mit dem Interview mit Natascha Kampusch eine respektable Quote mit 715.000 Fernsehzuschauern erreicht. Am 6. September 2006, als die aus Wolfgang Priklopils Gefangenschaft ausgebrochene Entführte das erste Interview gab, sahen noch 2,5 Millionen zu. In beiden Fällen und auch in einem 2008 für das "Thema Spezial" produzierten Gespräch war Christoph Feurstein der Interviewer.

ORF und Feurstein pflegen ihr Monopol auf Kampusch. Da sich Kampusch in ihrer neuen Freiheit entschlossen hatte, die Öffentlichkeit nicht zu meiden, sondern sogar eine kurz geratene Medienkarriere versuchte, war gegen die ersten zwei Interviews nichts einzuwenden. Mit Rücksicht auf die "Extremsituation" der damals 18-Jährigen hatte Feurstein 2006 seine Fragen vor dem Interview mit ihr und mit ihrem Beraterteam durchgearbeitet und Fragen über eventuelle sexuelle Details ausgeschlossen.

Aber die Zeiten haben sich geändert. Spekulationen erreichen den Höhepunkt. Staatsanwälte, Ex-Höchstrichter und Weise aller Art verwickeln sich in Expertenkämpfe, die Politik schaltet sich in Form eines geheimen Nationalratsunterausschusses und nicht geheimer Politikeräußerungen ein. Man sollte meinen, dass amtliche Untersuchungen Klarheit geschaffen hätten. Aber nein, es tritt ein verwirrt wirkender Polizist auf, der sich für den Detektiv Josef Matula hält und einem Schulkind nachspürt.

Unter diesen Umständen musste Feurstein seine Interviewfragen wie nach einem Journalismus-Lehrbuch formulieren. Es hätte ihn das Renommee gekostet, wenn er sich bei Kampusch nicht nach einer möglichen Schwangerschaft während der Gefangenschaft und gemeinsamen Tochter mit Priklopil sowie einem Pädophilenring erkundigt hätte. Ihre Antworten waren wie erwartet. "Unglaublich", "man greift sich an den Kopf", "unfassbar bis unerträglich", "traumatisierend". Was sie dazwischen sagte, war hörbar eingelernt - auch diesmal mit Nachhilfe Feursteins? Die treffendste Antwort Kampuschs hatte philosophische Qualität: "Da gehört ein Film dazu - in der Fantasie."

Das Interview ergibt nichts weiter, als dass ab sofort 715.000 Zuschauer samt Freundeskreisen über das mitreden, worüber die "Experten" noch immer ergebnislos diskutieren. "Hexenjagd auf Kampusch", war gestern auf orf.at zu lesen, "Auf der Straße werde sie bespuckt, wie ORF-Redakteur Christoph Feurstein und Vertrauter von Natascha Kampusch erzählte."

Feurstein muss sich entscheiden, ob er der unabhängige ORF-Journalist oder ein sogar in ORF-Online ausgeschilderter "Vertrauter" ist. Am besten, der ORF veranstaltet kein Kampusch-Interview mehr. Denn er ist jetzt dort angekommen, wo er sich dank Kampusch-Beratern 2006 den ersten Platz gesichert hatte. Kampusch gab damals drei ausgewählten Medien Interviews: dem ORF, "News" und der "Kronen Zeitung". Warum sie übersehen hat, dass der Konsum ihrer Persönlichkeit damit für die Masse freigegeben wurde, wäre ein weiterer ungeklärter Punkt im Fall Kampusch.