Beate Meinl-Reisinger, Neos-Wien-Chefin, ist in die Politik eingestiegen, um als Frau ganz vorn präsent zu sein.
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Wien. Die Wiener Landessprecherin der Neos, Beate Meinl-Reisinger, hat die ÖVP verlassen, weil sie gesehen hat, dass eine Neuausrichtung nicht möglich war. Warum die zweifache Mutter sich für die Neos entschieden hat und warum sich die Jungen oft nicht mehr in den "alten, verkrusteten" Parteien wiederfinden würden, erzählt sie im Interview.
"Wiener Zeitung": Sie sind jetzt seit gut einem Jahr im Nationalrat. Haben Sie sich die Arbeit dort so vorgestellt? Ein Jahr ist ja noch nicht lang . . .Beate Meinl-Reisinger: Lang genug (lacht). Ich hab ja schon Politikerfahrung gehabt, daher habe ich gewusst, dass die Möglichkeiten als kleinste Oppositionspartei beschränkt sind. Das Parlament ist ja nicht gerade minderheitenfreundlich. Was mich allerdings überrascht hat, ist die Praxis, jeden Antrag der Opposition zu vertagen. Klar ist auch, dass alle anderen Fraktionen es wahrscheinlich gerne gesehen hätten, wenn wir in der parlamentarischen Arbeit auf die Nase gefallen wären.
Was hat Sie dazu bewogen, in die Politik zu gehen?
Ich habe ja bereits als Referentin unter Christine Marek (ehem. Familien-Staatssekretärin und Wiener ÖVP-Klubchefin, Anm.) Regierungsarbeit erlebt. Wir haben damals das einkommensabhängige Kinderbetreuungsgeld entwickelt, und das ist ja auch wirklich etwas geworden. Das war eine tolle Erfahrung.
Sie waren zwei Jahre lang als Referentin bei der ÖVP. Warum haben Sie das Schiff wieder verlassen?
Ich fand den Wahlkampf 2010 nicht gut. Die Law-and-Order-Ausrichtung ist nicht meine. Ich habe eine liberalere Grundhaltung. Wir haben damals einen Prozess für eine Neuausrichtung gestartet. Es war für mich rasch nachvollziehbar, dass es da kein Interesse weder an einer inhaltlichen noch an einer strukturellen Neuausrichtung gibt. Die Strukturen sind einfach verkrustet. Ich wollte danach eigentlich gar nichts mehr mit Politik zu tun haben. Bei den Neos wollte ich ursprünglich eine Management-Funktion übernehmen. Die Frage, warum ich kandidiert habe, hat sehr viel damit zu tun, dass ich eine Frau bin. Denn als ich gesehen habe, wie wenig Frauen, die von Anfang an bei uns aktiv waren, gesagt haben, jetzt stell ich mich auf, habe ich mir gedacht, das kann ja wohl nicht wahr sein. Da waren dann nur Männer, die gesagt haben, ja sicher, ich, hier.
Haben Sie sich mit diesem Schritt selbst überrascht?
Natürlich habe ich die Kandidatur mit meiner Familie besprechen müssen. Das war zu Weihnachten 2012. Ganz ehrlich, ich habe mir damals nicht gedacht, dass wir das wirklich schaffen. Ich wollte es versucht haben. Es geht ja auch darum, sich als Mensch Herausforderungen zu stellen, und zwar immer wieder.
Sehen Sie sich als Frauen-Vorbild?
Ich bin der Meinung, wenn man etwas verändern will, muss man auch aktiv werden.
Wie haben Sie dann Familie und Beruf vereinbart?
Mein Mann ist in Karenz und zur Wahl hin (Nationalratswahl September 2013, Anm.) in Teilzeit gegangen. Er hat mich also voll und ganz unterstützt. Die Kinder gehen in den Kindergarten, und wir haben auch das Glück, dass wir externe Unterstützung haben. Auch unsere Eltern unterstützen uns. Die Kehrseite der Herausforderung in der Politik ist, dass ich natürlich auch ein schlechtes Gewissen habe und meine Kinder nicht so oft sehe, wie ich sie gerne sehen würde. Ich will meinen Töchtern aber lieber ein aktives, selbstbestimmtes Leben vorleben, als nur immer zu Hause zu sein. Auch meine Mutter war berufstätig.
Wann sehen Sie Ihre Kinder?
Ich blockiere Zeiten im Kalender. Zwei Nachmittage in der Woche sind fix für sie reserviert. Es kann natürlich sein, dass etwas dazwischenkommt. Ich bemühe mich aber und fordere das auch bei meinen Kollegen ein. Wir machen nicht nur physische Treffen, sondern auch Telefonkonferenzen. Diese werden um 21 Uhr abgehalten und nicht um 18 Uhr, wo es zu Hause mit den Kindern rund geht.
Sollte Familienfreundlichkeit in allen Unternehmen Thema sein?
Ich glaube schon, dass man da viel machen kann, etwa bei der Frage, wann man Meetings abhält, oder welche Kultur generell vorherrscht. Erst wenn die Väter beginnen, Kinderzeiten einzufordern, wird sich die Kultur aber tatsächlich ändern.
Wie beurteilen Sie die Kindergärten in Wien?
Im Vergleich zu den anderen Bundesländern steht Wien natürlich sehr gut da. Allerdings mangelt es nach wie vor an Plätzen für die Unter-Dreijährigen. Auch ist der Betreuungsschlüssel mit 7,5 Kindern pro Betreuungsperson viel zu hoch. Die Kindergärten müssten als Bildungseinrichtung endlich ernst genommen werden. Klar ist aber auch, dass der Stadt Wien das Geld ausgeht.
Nun zum politischen Nachwuchs: Sowohl ÖVP als auch SPÖ leiden unter Nachwuchsproblemen, es fehlen vor allem Menschen, die quer denken. Woran liegt das?
Dass es alte Parteien sind, in ihrer alten Parteistruktur, die Mitglieder haben, die mit ihnen mitaltern. Von unten kommt aber nichts nach. Es ist nicht mehr zeitgemäß, eine Partei auf Mitgliedschaften aufzubauen. Wir haben zwar auch Mitglieder, man muss bei uns aber nicht Mitglied sein, um mitzumachen. Wir sehen uns als offene Bewegung. Die Welt hat sich verändert, sie ist volatiler geworden. Es gibt auch immer weniger stabile Erwerbsbiografien. In einem Jahr ist man angestellt, im nächsten Jahr nicht mehr, oder man ist beides parallel, weil es sich sonst nicht ausgeht. Was will man dann mit einer Partei, die noch immer in einer bündnischen Logik denkt. Die Einpersonenunternehmen, die Zwangsmitglieder bei der Wirtschaftskammer sind, sind weder Arbeitgeber noch kümmert sich die Arbeiterkammer um sie. Man kann die Fragen der Zukunft nicht mit den Strukturen der Vergangenheit lösen.
Jede Partei hat ihre Ideologie. Welche haben Sie?
Ich bin keine Verfechterin von Ideologien. Ich finde, wir leben in einer postideologischen Zeit. Ich bin Pragmatikerin mit Wunsch nach Gestaltung. Die Neos stehen für Wertebasiertheit, für Eigen-Verantwortung, Freiheitsliebe, für Nachhaltigkeit für unsere Kinder und für Wertschätzung und Authentizität. Werte muss man aber immer wieder hinterfragen.
Die Einbindung aller ist Ihnen besonders wichtig. Wie funktioniert Basisdemokratie mit Häuptlingen wie Ihnen oder Neos-Chef Matthias Strolz? Können diese von den jungen Wilden, wie bei Ihnen die Jugendorganisation Junos, overruled werden?
Wir versuchen, Basisdemokratie und klare Struktur miteinander zu verbinden. Es gibt eine breite Einbindung, aber sehr wohl Leadership. Unsere Liste in Wien erstellen zu einem Drittel die Wiener, zu einem Drittel der Vorstand und zu einem Drittel die Mitglieder. Die Themen werden in den Mitgliederversammlungen beschlossen. In Wien haben wir rund 1000 Mitglieder. Die Versammlungen sind aber auch für Nicht-Mitglieder offen. Das heißt, jeder, der kommt, kann über unser Programm mitdiskutieren. Die Jungen wie die Alten. Die Jungen haben das Recht auf revolutionäre Gedanken. Und das ist gut.
Politik-Aussteiger sind oft verdrossen. Es gehe nur um den Verkauf von Interessen und nicht um den Inhalt. Die meisten Politiker klopften nur ihre Phrasen hinunter.
Das stimmt. Ein Kernanliegen von uns ist es, einen anderen Stil in die Regierung, in die Politik zu bringen. Nämlich Wertschätzung und Authentizität und Zusammenarbeit. Ich kann jemanden wertschätzen, auch wenn ich anderer Meinung bin. Andererseits haben wir schon jetzt die Erfahrung machen müssen, dass es erwartet wird, dass man professionell diskutiert. Das ist ein Spannungsbogen. Man muss hier eine gute Balance finden basierend auf Redlichkeit.
Ich nehme an, Ihr Ziel ist es, dass die Neos eines Tages mitregieren können. Dafür wird es Kompromisse brauchen. Können Sie mir drei Dinge nennen, die nicht zur Debatte stehen würden?
Ohne Bildungsreform wird es mit uns keine Regierung geben. Wir fordern eine Modellregion Wien für eine autonome Schule. Zweitens Umkehr vom Schuldenpfad. Die Schulden steigen ins Unermessliche in Wien. Reformen muss man angehen. Allein eine raschere Angleichung der Beamtenpension, jetzt 2042, würde 350 Millionen Euro einsparen. Wir bestehen auf Transparenz, was die Beteiligungen der Stadt angeht. Die Stadt ist in Wirklichkeit der größte Konzern in Wien.
Beate Meinl-Reisinger
Die Juristin wurde 1978 in Wien geboren. Sie ist Neos-Wien-Chefin und hat einen Sitz im Nationalrat. Davor war sie Referentin bei der ÖVP Wien. Im Vorstand der Neos Wien sind 4 Frauen und 3 Männer. Auf Bezirksebene sind es 9 Frauen und 14 Männer.