Grüne und FDP könnten in Deutschland bestimmen, wer Kanzler wird. Sie wollen offenbar schon einmal vorsondieren.
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Er habe sehr gut geschlafen, sagte Olaf Scholz. Und dann zeigte der große Gewinner der deutschen Wahl, der die SPD auf Platz eins geführt hatte, ein Lächeln - was insofern bemerkenswert ist, weil das bei dem spröden Hanseaten gar nicht so oft vorkommt. Er habe nach dem Aufwachen noch einmal nachgeschaut, ob irgendetwas passiert sei, was er beim Einschlafen nicht zur Kenntnis nehmen konnte, sagte Scholz. "Und hab mich dann nochmal gefreut."
Allerdings könnten Scholz doch noch einige unruhige Nächte bevorstehen. Denn er leitet aus den 25,7 Prozent der Stimmen, die die SPD erhalten hat, einen eindeutigen Wählerauftrag für sich als nächster Kanzler ab. Allerdings hat der derzeitige Finanzminister dabei das Heft des Handelns gar nicht so fest in der Hand, wie man es sich vielleicht nach einem Wahlsieg erwarten würde. Denn die Kanzlermacher in Deutschland heißen derzeit Grüne und FDP.
Das erschließt sich aus einem Blick auf mögliche Koalitionen: Zwar ginge sich eine Neuauflage der großen Koalition rein rechnerisch aus, wobei diesmal die zweitplatzierte Union der Juniorpartner wäre. Doch eine Fortsetzung dieser Zweckehe ist innerhalb der politischen Zirkel eher unbeliebt und passt auch nicht zum Schlagwort der Erneuerung, das nach 16 Jahren Angela Merkel nun die Runde macht.
Damit bleiben als Optionen, die eine Chance auf Realisierung haben, nur solche, die sowohl einen grünen als auch einen gelben Farbton (Gelb ist in Deutschland die Farbe der FDP) enthalten, also die Ampel und Jamaika. Die Ampel wäre eine von der SPD angeführte rot-gelb-grüne Koalition, Jamika wäre nach den Farben der Flagge des Karibikstaates ein von der Union angeführtes schwarz-gelb-grünes Bündnis.
Sowohl die Ökopartei als auch die Liberalen wollen lieber regieren, als weitere vier Jahre auf der Oppositionsbank zu sitzen. Darüber hinaus möchten sie sich aber nun offenbar absprechen, wie sie miteinander regieren könnten. Daraus würde sich wohl wiederum ergeben, mit wem, also SPD oder Union, sie sich leichtertun würden.
Erfolgreich in den Städten und bei Jungwählern
FDP-Chef Christian Lindner sagte am Montag, der Parteivorstand habe "Vorsondierungen" mit den Grünen beschlossen. Danach seien die Liberalen offen, Einladungen von CDU/CSU und SPD über weitere Gespräche anzunehmen, "wenn sie denn kommen". Mit Annalena Baerbock und Robert Habeck haben auch bereits die beiden Vorsitzenden der Grünen ihre Bereitschaft zu solchen Gesprächen deutlich signalisiert.
Allerdings wird es nicht leicht für die beiden Parteien, gemeinsame Schnittmengen zu finden. Zwar ist ihre Wählerschaft gar nicht so unähnlich. Sie punkten vor allem in urbanen Zentren und bei Jüngeren - so waren die Grünen bei den unter 30-Jährigen mit rund 22 Prozent Zuspruch die beliebteste Partei, knapp gefolgt von der FDP, die in dieser Altersgruppe 20 Prozent erhielt. Und Gelb und Grün haben auch gesellschaftspolitisch oft die gleichen Ansätze. Allerdings wird eine kontrollierte Freigabe von Cannabis, wie sie es beide fordern, nicht ausreichen, um Deutschland zu regieren. "Wir sind in sozial-, steuer-, finanzpolitischen Fragen wirklich konträr", sagte der Grünen-Vorsitzende Habeck. "Da treffen Welten aufeinander."
Beispiel Klimapolitik: Hier wollen die Grünen klare Vorgaben machen und etwa ab 2030 Verbrennungsmotoren verbieten. Die FDP wiederum möchte, und das passt auch ganz zu ihrem wirtschaftsliberalen Selbstverständnis, es vielmehr den Unternehmen selbst überlassen, wie sie den Klimaschutz umsetzen.
Die Grünen sind bereit, für die Bekämpfung des Klimawandels viel Geld in die Hand zu nehmen und dafür vorübergehend Kredite aufzunehmen. FDP-Chef Lindner hat hingegen am Montag erneut bekräftigt, mit seiner Partei werde es kein Aufweichen der Schuldenbremse geben. Auch eine Erhöhung von Steuern ist eine rote Linie für die Liberalen, die sie nicht überschreiten wollen, während die Grünen für höhere Abgaben auf Vermögen plädieren.
Aus dieser Programmatik ergibt sich auch, dass diese beiden Parteien bei der Wahl zwischen SPD und CDU/CSU verschiedene Präferenzen zeigen. "Die Nähe zur SPD ist nun wirklich größer als zur Union", sagte Habeck. FDP-Chef Lindner wiederum hat nie einen Hehl daraus gemacht, dass er die Union bevorzugen würde. Es fehle ihm die Vorstellungskraft, welche Angebote Olaf Scholz der FDP machen könne, die zugleich auch auf Begeisterung der SPD-Linken Kevin Kühnert und Saskia Esken stoßen würden, sagte er.
Trotzdem ging am Montag die Dynamik ein wenig mehr in Richtung Ampel. Während die SPD laut Medien bereits ein sechsköpfiges Sondierungsteam für mögliche Gespräche bestimmt hat, wurden in CDU/CSU ganz andere Stimmen laut.
"Ich sehe einen klaren Wählerwillen, der deutlich gemacht hat, die Union ist dieses Mal nicht die erste Wahl", sagte etwa Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer dem MDR. Der gescheiterte Unions-Spitzenkandidat Armin Laschet will aber auf alle Fälle über eine "Zukunftskoalition" ernsthaft verhandeln. "Olaf Scholz und ich sind, finde ich, zur gleichen Demut aufgerufen", sagte er.
Grenzen der Kompromissbereitschaft
Klar ist: Wer mit Grünen und FDP koalieren will, muss sorgsam mit ihren Forderungen umgehen. Die Grünen werden danach trachten, dass sie die Klimaagenden übertragen bekommen. Und das möglichst umfangreich, am liebsten in einem Superministerium, das sämtliche klimarelevante Themen, also etwa auch Verkehr und größere Infrastrukturprojekte, umfasst. Lindner wiederum hat immer wieder deutlich gemacht, dass seine Partei den nächsten Finanzminister stellen möchte.
Zuerst müssen aber noch FDP und Grüne zueinanderfinden. Der Wille dazu ist vorhanden, doch bedarf es viel Phantasie, um sich vorzustellen, wie ein Regierungsprogramm ausschauen soll, in dem sich sowohl Grüne als auch Liberale wiederfinden können. Beide Parteien werden an die Grenzen ihrer Kompromissbereitschaft gehen müssen. Sind sie dazu nicht bereit, könnte doch wieder das kommen, was eigentlich keiner der handelnden Akteure so richtig will: eine Neuauflage der großen Koalition.