Zum Hauptinhalt springen

Das Kartell der Steuervögte

Von Christian Ortner

Kommentare
Christian Ortner.

Warum (mehr) Steuerwettbewerb in der EU nicht nur für deren Bürger, sondern auch für die Staatsfinanzen von Vorteil ist.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 12 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Höchst legale Steuervermeidung ist für unsere Nachbarn in der Schweiz ebenso simpel wie alltäglich: Wer meint, übermäßig hohe Steuern zu zahlen, kann meist relativ leicht in einen Kanton mit niedrigeren Abgaben übersiedeln. Tausende Schweizer nutzen diese Form der gesetzeskonformen persönlichen Abgabenminimierung jedes Jahr, ohne von der Obrigkeit dabei irgendwie behelligt zu werden.

Das ist nicht nur für den einzelnen Steuerzahler relativ erfreulich, es hält vor allem auch den Staat und die Kantone finanziell fit. Denn unter diesem permanenten steuerlichen Wettbewerbsdruck sind die Kantone gezwungen, ihre Verwaltung möglichst schlank und effizient zu halten - denn sonst steigen ja die Kosten und damit die Steuern so stark, dass die Bürger flüchten.

Um so betrüblicher ist, dass die EU - natürlich unter dem massiven Druck der klammen Mitgliedsländer - im Begriff zu sein scheint, immer mehr den entgegengesetzten Weg einzuschlagen und den Steuerwettbewerb sukzessive zurückzudrängen. Algirdas Semeta, litauischer EU-Steuerkommissar, soll sogar überlegen, die Übersiedlung eines EU-Bürgers oder -Unternehmens von einem Staat in einen anderen unter eine Art Generalverdacht der Steuervermeidung zu stellen. Wer dabei nicht nachweisen kann, dass die Übersiedlung andere als steuerliche Motive hat, müsse mit (noch nicht ganz ausformulierten) fiskalischen Pönalen rechnen. So haben wir uns die Niederlassungsfreiheit in der EU schon immer vorgestellt.

Würde das Wirklichkeit, sollte damit natürlich verhindert werden, dass mental mobile Europäer mit guten Einkommen auf unanständige Steuersätze ihrer jeweiligen Heimat mit Flucht in eine Gegend innerhalb der EU mit milderem Steuerklima reagieren. So könnten Franzosen, die den neuen Grenzsteuersatz von 75 Prozent nicht für angemessen halten, davon abgehalten werden, nach London zu übersiedeln, wo die Steuern deutlich niedriger sind. (Österreich hat von diesem innereuropäischen Steuerwettbewerb übrigens jahrzehntelang dank eines smarten Stiftungsrechtes durchaus erheblich profitiert, indem es reiche Deutsche in Scharen anlockte.)

Sollten sich die EU-Staaten tatsächlich darauf verständigen, den Steuerwettbewerb mit solchen brachialen Methoden erheblich zu behindern, handelten sie nicht viel anders als etwa Banken, die sich über Konditionen und Zinssätze verabredeten. Man nennt das gemeinhin ein Kartell, und wer sich dabei erwischen lässt, hat die Staatsanwaltschaft am Halse - außer natürlich es handelt sich nicht um Unternehmen, sondern um Staaten, die Kartelle zum Schaden ihrer Bürger bilden. Dann nennt man das nicht mehr Verbrechen, sondern "Steuerharmonisierung", auch wenn es wirtschaftlich aufs Gleiche hinausläuft.

Der Steuerzahler Schaden bestünde nicht nur darin, allfälligen Steuerexzessen ihrer Regierung nicht mehr ausweichen zu können, sondern vor allem, dass jedes Steuerkartell von EU-Staaten natürlich dazu führte, dass der Druck auf die nationalen Regierungen, sparsam und effizient zu wirtschaften, spürbar abnähme.

Nur ein Schelm wird denken, dass genau das die Absicht ist.