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Wien. "Babys mit drei Eltern": Um die Transplantation von Eizellplasma, durch die künftig Erbkrankheiten beim Baby ausgeschaltet werden könnten, ist eine Debatte entstanden fast so kontroversiell wie jene zum Klonen. Konkret geht es um Erbkrankheiten, die durch Defekte an den Mitochondrien hervorgerufen werden.
Die Mitochondrien im Zellplasma sind die "Kraftwerke" der Zellen. Sie verbrennen Nahrung und setzen dabei Energie frei. Jede Zelle braucht die Mitochondrien zum Überleben. Unabhängig vom Zellkern, in dem das individuelle Erbgut aus der DNA von Vater und Mutter untergebracht ist, haben die Mitochondrien ihren eigenen kleinen Satz an Genen, die dafür sorgen, dass sie ihre Arbeit machen können. Wenn die Energielieferanten aufgrund von Erbgutfehlern versagen, ist der Krankheitsverlauf meist tödlich. Ist die Mutter Trägerin eines solchen Defekts, vererbt sie ihn zu 100 Prozent an ihre Kinder. Rund eines von 6500 Kindern entwickeln ernsthafte mitochondriale Erkrankungen wie etwa Myopathie, eine Muskelschwäche, die Betroffene an den Rollstuhl fesselt. Anlassfall ist eine Britin, die aufgrund eines mitochondrialen Defekts bereits sieben Fehlgeburten erleiden musste. Mit den neuen Methoden hofft sie, ein gesundes Kind zu bekommen, das die Krankheit nicht mehr trägt.
Mitochondrien lassen sich allerdings nicht einfach austauschen wie Batterien. Um einem Kind ein Leben mit defekten Mitochondrien zu ersparen, muss dafür entweder ein Vorkern-Transfer oder ein Spindel-Transfer vorgenommen werden. Beim Vorkern-Transfer wird die Eizelle einer Spenderin entkernt - zurück bleibt die gespendete Hülle mit dem Eizellplasma voller gesunder Mitochondrien. In die Hülle wird nun der Kern der künstlich befruchteten Eizelle der Mutter eingebracht. Sofern sich ein gesunder Embryo entwickelt, wird er in den Mutterleib eingebracht.
Beim Spindel-Transfer wird hingegen der Eizell-Kern mit dem Erbgut der Mutter aus der Eizelle mit den defekten Mitochondrien entfernt. Unterdessen wird der Spenderzelle der Kern entnommen, damit die Eizelle der Mutter in die gesunde Spenderzelle eingebracht werden kann. Erst danach wird künstlich befruchtet.
Vergangenen Freitag hatte die britische Aufsichtsbehörde Human Fertilisation and Embryology Authority (HFEA) in London eine Gesetzesänderung empfohlen. Demnach sollen klinische Studien an beiden Methoden nun erstmals am Menschen erlaubt werden. Es wurden Bedenken laut. Obzwar die britische Bevölkerung in einer Umfrage diese Forschung befürwortet hatte, sprechen Kritiker von einem Dammbruch und dem ersten Eingriff in das Erbgut der menschlichen Spezies an sich.
"Überspitzte Interpretation"
Jürgen Knoblich, stellvertretender Direktor des Instituts für Molekulare Biotechnologie (Imba), sieht es anders. Er befürchtet nicht, dass diese Möglichkeiten der künstlichen Befruchtung durch In-vitro-Fertilisation (IVF) einen Eingriff in das Erbgut darstellen. "Ich halte eine solche Interpretation für überspitzt. Es geht nicht darum, dass Kinder mit drei Eltern geschaffen werden sollen, sondern sie haben nach wie vor nur zwei Eltern", sagt der Molekularbiologe und Stammzellenforscher zur "Wiener Zeitung". Die Mitochondrien seien "weder für Aussehen, noch Gesundheit noch Persönlichkeit und Intelligenz und alles, was das Individuum ausmacht verantwortlich."
Vielmehr enthalten sie nur ein Prozent der rund 25.000 menschlichen Gene. "Die Zelle hat ihre riesengroße DNA im Zellkern, die unsere vererbbaren Eigenschaften beeinflusst. Auch die Eigenschaften der Mitochondrien werden von der Zelle gegeben. Die mitochondriale DNA ist hingegen darauf spezialisiert, Energie herzustellen. Weil das gefährlich ist für die Zelle, sind sie abgeschlossen wie Atomkraftwerke", sagt Knoblich. Gerät der hochenergetischer Prozess außer Kontrolle, explodiert alles. Deswegen ist der Ofen sauber abgeschirmt. Nur beim programmierten Zelltod, der Teil des Alterungsprozesses ist, öffnet die Zelle den Ofen. "Mit der Keimbahn, in der das Erbmaterial geschützt wird, hat das aber nichts zu tun. Man kann sagen, für die mitochondriale DNA gibt es keine Keimbahn", so Knoblich. Von einem Eingriff in die Keimbahn könne nicht die Rede sein.
Wie Angst vor Meteoriten
Weiters hält der Stammzellenforscher es für "unwahrscheinlich", dass man dazu übergehen werde, auch andere Gene zu verändern. Denn um Gen-Defekte an normalen Chromosomen auszuschalten, können gesunde Embryonen im Rahmen der - ebenfalls umstrittenen - Präimplantationsdiagnostik bei der IVF ausgewählt werden. "Über den Wert eines Kinderwunsches kann man unterschiedlicher Meinung sein, aber ich finde, man muss es respektieren, wenn jemand diesen Wunsch hat und ihn sich durch diese Methode vielleicht verwirklichen kann. Die meisten Kritiker sind im Unterschied dazu nicht betroffen", betont Knoblich. Und: "Nehmen wir an, es kommt wirklich dazu, dass eine Gesellschaft sich in eine falsche Richtung entwickelt und es akzeptabel wird, etwa die Augenfarbe zu verändern. Dann werden die Dammbrüche von heute aber nicht mehr wichtig sein, denn dann kann man immer noch alles entwickeln." Ängste, dass man künftig alles manipulieren werde, seien so begründet wie die Angst vor einem Meteoriteneinschlag.