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Das kleine Mädchen mit dem roten Mantel

Von Katharina Schmidt

Politik

Bach: "Eichmanns einziges Bestreben war es, dieses Volk zu vernichten."


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Wien. Er sieht ein wenig müde aus. Der Flug war lang, seine Ohren sind noch belegt, meint er. Außerdem hat er nicht viel Zeit - er hetzt von Interview zu Interview, so gut es eben geht. Gabriel Bach ist 84 Jahre alt und er ist einer jener Männer, die 1961 die Anklage im Prozess gegen Adolf Eichmann vertreten haben. Jetzt steht er im Wiener Justizpalast und hält eine Mappe in die Fernsehkamera. Es sind alte Fotos von damals - von ihm und den anderen Staatsanwälten. Dann geht er langsam durch die Ausstellung über den Eichmann-Prozess, immer wieder bleibt seine Frau Ruth kurz stehen und weist ihn auf einzelne Texte hin.

Dazwischen erzählt er Anekdoten aus dem Prozessalltag. Als ob es gestern gewesen wäre. Zum Beispiel über Hannah Arendt, die mit ihrer Kritik an der öffentlichkeitswirksamen Verhandlung heftige Kontroversen ausgelöst hat. Erst kurz vor Verhandlungsstart sei die Politologin nach Jerusalem gekommen. Dass sie damals sein Angebot, sich mit ihr zu treffen, ablehnte, ärgert ihn noch heute. Und in ihrem Buch über den Prozess habe sie dann Akten falsch zitiert. Gabriel Bach ist nicht gut zu sprechen auf die Frau, die das Banale in Eichmann gesehen hat.

Im Interview mit der "Wiener Zeitung" klingen seine Schilderungen gar nicht banal, sondern eher wie eine Szene aus dem Film "Schindlers Liste".

"Wiener Zeitung": Sie sind als junger Staatsanwalt in den Prozess gegen Eichmann hineingegangen. Was war das prägendste Erlebnis in den Monaten der Verhandlung?Gabriel Bach: Viele Momente haben mich geprägt. Ich werde zum Beispiel den ersten Moment dieses Prozesses nie vergessen: Die Richter kamen in den Saal, hinter sich das Wappen Israels. Da stand dieser Mann, dessen einziges Bestreben war, dieses Volk zu vernichten, auf und nahm vor einem Gericht des souveränen israelisch-jüdischen Staates Haltung an. Die Bedeutung des Staates Israel war mir in diesem Moment klarer als je zuvor.

Ein weiterer Schlüsselmoment war die Geschichte eines Zeugen. Heinrich Himmler hat den Meister persönlich - also Eichmann -nach Ungarn geschickt, um dort eine Massenflucht von Juden nach dem deutschen Einmarsch zu verhindern. Die ersten Juden, die mit ihren Familien nach Auschwitz geschickt wurden, mussten Postkarten nach Hause schicken und erklären, an welchem wunderbaren Ferienort sie sich befinden. Ich hatte einen Zeugen gefunden, der noch so eine Postkarte hatte. Er kam im letzten Augenblick, brachte mir die Karte und erzählte dann, wie er von seiner Frau und seinen Kindern getrennt wurde. Er beschrieb die Selektion - die Frau verschwand in der Menge, der dreizehnjährige Sohn verschwand in der Menge. "Aber mein zweieinhalbjähriges Töchterchen hatte einen roten Mantel - mit diesem roten Punkt, der immer kleiner wurde, verschwand meine Familie aus meinem Leben", erzählte der Zeuge. Meine Tochter war zu dem Zeitpunkt zweieinhalb Jahre alt und ich hatte ihr gerade einen roten Mantel gekauft. Als ich die Geschichte hörte, verschlug es mir für einige Minuten die Sprache, ich musste warten, bis ich wieder eine Frage stellen konnte. Seither bekomme ich gelegentlich plötzlich Herzklopfen und sehe ein kleines Kind mit einem roten Mantel. Für mich symbolisiert das den Prozess.

Sie haben einmal gesagt, der Prozess sei für Sie traumatisierend gewesen. Wie wirkt sich diese Verhandlung bis heute auf Sie aus?

Ich war Generalstaatsanwalt und Oberster Richter - ich hatte nie Routinefälle. Dennoch vergeht kein Tag, an dem man nicht an diesen einen Prozess erinnert wird. Besonders traumatisch war für mich, dass immer wieder versucht wurde, bestimmte jüdische Familien oder Persönlichkeiten zu retten. Deutsche Generäle haben manchmal Eingaben gemacht, dass gewisse Juden nicht deportiert werden sollen, weil sie wichtig seien für die deutsche Armee. Jedes Mal, wenn die Entscheidung darüber bei Eichmann lag, war das Resultat fatal und die Leute sind umgekommen.

Haben Sie je Reue bei Adolf Eichmann gesehen?

Einmal hat er vor Gericht gesagt, er hält die Shoah für eines der schwersten Vergehen der menschlichen Geschichte. Diese Aussage hätte für das Strafmaß von Bedeutung sein können. Als die Richter mich fragten, ob ich glaubte, dass er das ernst gemeint hatte, verneinte ich. Denn ich könnte mir zwar vorstellen, dass selbst einem solchen Mann zwischen 1945 und 1961 die Augen hätten geöffnet werden können. Aber wird hatten Beweise, dass dem nicht so war. 1956, als er schon in Argentinien war, wurde er von einem Journalisten gefragt, ob ihm manchmal leid täte, was er getan hat. Und da antwortete er: "Eines tut mir leid: Dass ich nicht hart genug war, dass ich nicht scharf genug war, dass ich diese verdammten Interventionisten nicht genug bekämpft habe. Und jetzt sehen Sie das Resultat: die Entstehung des Staates Israel und die Wiedererrichtung dieser Rasse dort." Wenn er das noch elf Jahre nach dem Krieg gesagt hat, und dann noch einmal fünf Jahre später - um sein Leben ringend - plötzlich vom schwersten Vergehen der Geschichte spricht, dann nehme ich das nicht ernst. Die Richter haben das akzeptiert.

Zur Person: Gabriel Bach

Geboren am 13. März 1927 in Halberstadt (Sachsen-Anhalt), wuchs Gabriel Bach in Berlin auf. Im Oktober 1938 flüchtete die Familie vor den Nazis nach Amsterdam, 1940 nach Israel. 1949 schloss Bach in London sein Jus-Studium ab. Er war 1961 stellvertretender Staatsanwalt im Prozess gegen Adolf Eichmann, später Richter am Obersten Gerichtshof in Israel. Bach lebt mit seiner Frau Ruth in Jerusalem, am Donnerstag war er anlässlich der Ausstellung "Der Prozess - Adolf Eichmann vor Gericht" in Wien.