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Unscheinbaren Helfer im Kampf gegen den Terror: Poller, Sitzbänke und Straßenpflanzen.
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Wien. Unglamourös ist so ein Poller. Auf der Straße gehört der Ruhm anderen. Der Kunstinstallation auf der Verkehrsinsel, der Sitzlandschaft in der Fußgängerzone und dem lesbischen Ampelpärchen bei der Kreuzung. Ihnen werden Artikel gewidmet. Sie stehen im Rampenlicht. Wozu einem Stahlpfosten Beachtung schenken? Höchstens Hunde und Halbstarke interessieren sich für ihn. Die einen bepinkeln ihn, die anderen bespringen ihn. Ansonsten bleibt der Poller inkognito. Dabei ist er das kleine Schwarze des Stadtmobilars. Unaufdringlich. Elegant. Praktisch. Mal versinkt er im Boden, mal hält er wacker die Stellung. Stadtplaner lieben den Poller. Er ist ihr wichtigstes Instrument im Anti-Terror-Kampf. Denn dort steht er an vorderster Front. Kein anderer kann so diskret und effektiv ein Fahrzeug aufhalten wie er. Das macht ihn zum Star einer Branche, die sich nicht mehr weiterzuhelfen weiß.
Weltweit zerbrechen sich Stadtplaner und Architekten den Kopf darüber, wie sie ihre Städte gegen Anschläge wappnen können. Egal ob Regierungsviertel, öffentliche Plätze oder Konzerthallen, den Amokfahrer mit der explosiven Ladung kalkulieren sie bereits am Skizzenblock mit ein. Und das nicht erst seit Nizza, Berlin, London oder Stockholm.
Wie designt man eine Stadt gegen den Terror?
Fieberhaft basteln sie seit Jahren an der richtigen Designstrategie gegen den Terror. Verlassen wir uns auf Massenüberwachung wie in Israels Vorzeigesicherheitsstadt Ramat Hasharon? Oder setzen wir doch besser auf meterhohe Betonwände, wie in den Gated Communitys dieser Welt? Einen Masterplan gibt es nicht. Das haben sie schnell begriffen. Eher learning by doing. Wie kann man Sitzbänke so arrangieren, dass sie als Schutzwall dienen? Wie Fußgängerzonen bepflanzen, dass sie Attentäter behindern? Wie Häuserfronten verglasen, sodass ihre Fassaden bei Detonationen nicht großflächig zerbersten? Man will dem Wahnsinn nicht kampflos das Feld überlassen. Doch wie schafft man eine wehrhafte Stadt, ohne sie in eine abgeschottete Festung zu verwandeln?
Kurz: Wie designt man eine Stadt gegen den Terror?
"Wir sind immer hinten nach. Wann auch immer wir glauben, dass wir eine Gefahr in unserem Design gebannt haben, taucht eine andere wo anders auf", sagt die britische Architektin Ruth Reed. Vor sechs Jahren hat sie als Präsidentin der britischen Architektenkammer, Royal Institute of British Architects (RIBA), einen Leitfaden für ihre Kollegen konzipiert, wie sie Gebäude und öffentliche Plätze Anti-Terror-tauglich machen. Die Palette ist lang. Sie reicht vom kugelsicheren Material für die Glasfassade bis zur Auflistung von Lüftungstechnikern, die zu Rate gezogen werden sollen, damit die Klimaanlage nicht für einen Giftgasangriff missbraucht wird. Im Zentrum des Leitfadens steht vor allem eine Gefahrenquelle: das Auto. Schon früh haben die Briten sein Terrorpotenzial erkannt. Egal ob fahrend oder geparkt, kann es zu einer gefährlichen Waffe werden. Beim Anschlag auf das Parlament in Westminister wurden die Londoner wieder schmerzlich daran erinnert.
Jahrelang predigt die britische Architektenkammer, Gebäude und Plätze so zu konstruieren, dass sie vom Verkehr und parkenden Autos abgeschottet sind. Lässt es sich nicht vermeiden, sollte vor Gebäuden ein Sicherheitsabstand von mindestens 30 Metern zwischen Eingangshalle und Auto eingehalten werden. Außerdem sollen Straßenmöbel wie Sitzbänke, Pflanzen und Poller so eingesetzt werden, dass sie als Schutzschild dienen könnten.
Oberstes Motto dabei: Diskretion. Keiner soll merken, dass der Farn im Betontopf als Anti-Terrormaßnahme herhalten musste. "Die größte Herausforderung im Design ist die Frage der Verhältnismäßigkeit. Es ist nicht sinnvoll, übermäßige Schutzmechanismen aufzufahren und am Ende der Gesellschaft den Zugang zu einem Objekt zu verwehren", sagt Ruth Reed. Von einer "Bunkermentalität" hält sie nichts. Das wäre Kapitulation. "Wenn wir defensiv wirken, haben wir dem Terrorismus klein beigegeben. Wir sind zwar defensiv, aber das subtil", erklärt sie, "und wenn man das Design gut macht, merkt es auch keiner."
Großbritannien ist geübt im Anti-Terrorkampf im eigenen Land. Die IRA testete jahrzehntelang das britische Sicherheitsempfinden. Das hat seine Spuren hinterlassen. Terror ist nicht neu auf britischem Boden. Und daher auch kein Tabu der Stadtplanung.
Wien hat keine Strategie
In Wien gibt man sich gelassen. Anti-Terror Design klingt hierzulande mehr nach Science Fiction. Im Gegensatz zu den britischen Kollegen gibt es von der Wiener Architektenkammer keine Empfehlungen zur Gestaltungen schutzwallähnlicher Sitzlandschaften. Ebenso wenig hat man sich in der Stadt Wien eingängig mit dem Thema beschäftigt. In der MA19, dem Magistrat für Stadtentwicklung und Stadtplanung, hat man noch nie von terrorresistenten Pflanzenarrangements gehört. Auch in der Abteilung Organisation und Sicherheit der Magistratsdirektion wurden diesbezüglich keine Konzepte entwickelt. Gesetzliche Änderungen, wie beispielsweise in der Bauordnung, gebe es in dieser Hinsicht nicht. Was getan werde, sind regelmäßige Briefings mit Experten der Exekutive und dem Innenministerium, um über das aktuelle Gefahrenpotenzial informiert zu werden, heißt es aus der Magistratsdirektion.
Ruth Reed nimmt die mangelnde Voraussicht der Wiener Kollegen in Schutz. "Jede Stadtverwaltung würde alles in ihrer Macht Stehende tun, um für ihre Bewohner einen sicheren Ort zu schaffen", sagt sie. "Manchmal muss aber traurigerweise etwas passieren, bis man sich über solche Dinge Gedanken macht."
70 Cobra-Beamte im Dauereinsatz
Unterdessen hat das Innenministerium seine Sicherheitskonzepte nach den jüngsten Terroranschlägen überarbeitet. 70 Cobra-Beamte sind künftig rund um die Uhr im Einsatz, weitere Spezialkräfte sind in Rufbereitschaft. An allen Cobra-Standorten stehen Helikopter bereit. Mit der neuen Strategie soll die Exekutive im Ernstfall schneller reagieren können. Erhöhte Alarmbereitschaft gibt es auch in Hinblick auf bevorstehende Großevents in Österreich.
In Wien werden seit Mittwoch die Ostermärkte von Polizisten mit Sturmgewehr und Schutzweste überwacht. In der Bundeshauptstadt stehen in den nächsten Monaten mehrere Großveranstaltungen bevor. Den Anfang macht am 23. April der Vienna City Marathon. 400 Polizisten und 500 Ordner vom Veranstalter werden an diesem Sonntag entlang der Strecke im Einsatz sein. Sie sind für Straßensperren und Verkehrsregelungen abgestellt.
Auch bei einem zweiten Großevent, dem Donauinselfest, hat das Thema Sicherheit inzwischen höchste Priorität. Bereits im Vorjahr wurden die Vorkehrungen verschärft, wobei nicht alle Details verraten wurden. Die Pläne für die Ausgabe 2017, und damit wohl auch für das Sicherheitskonzept, werden kommende Woche präsentiert.