Zum Hauptinhalt springen

Das Klima der Gewalt

Von Roland Knauer

Wissen
Wärme beeinflusst unser Aggressionsverhalten.
© corbis

Die Gewaltbereitschaft steigt mit der Tageshöchsttemperatur.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 11 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Wenn die Sommerhitze das Land unter extremen Temperaturen stöhnen lässt, reagieren manche Menschen aggressiver als sonst: Beim Autofahren ertönen die Hupen öfter, und Mannschaftssportler foulen ihre Gegenspieler häufiger. Psychologen kennen den Zusammenhang: Mit den Temperaturen kann die Gewaltbereitschaft steigen. Und Sozialwissenschafter nehmen an: Ändert sich das Klima, brechen häufiger Kriege aus. Forscher um Solomon Hsiang von der Columbia Universität in New York haben nun 60 unterschiedliche Studien zu diesen Zusammenhängen in der Fachzeitschrift "Science" neu analysiert. Sie kommen zu dem alarmierenden Schluss, dass der Klimawandel bis zum Jahr 2050 deutlich mehr Gewalt als bisher auf der Erde verursachen könnte.

Die untersuchten Studien nehmen weit mehr als aggressive Autofahrer unter die Lupe. So steigt in den USA die Zahl der Vergewaltigungen mit der Tageshöchsttemperatur, ebenso wie die Gewaltbereitschaft von Polizisten. In Afrika brechen häufiger Bürgerkriege aus, wenn die Jahrestemperatur über dem Durchschnitt liegt. Anhand einer Grafik zeigen die US-Forscher zudem, dass gewaltsam ausgetragene politische Konflikte in Ostafrika oft genau dann beginnen, wenn das Thermometer höhere Werte zeigt als sonst.

Allerdings sind sich die Wissenschafter keineswegs einig. "Es gibt eine wissenschaftliche Kontroverse über den Zusammenhang von Klimawandel und Gewaltkonflikten", räumt Jürgen Scheffran von der Forschungsgruppe Klimawandel und Sicherheit der Universität Hamburg ein: "Menschen und Gesellschaften reagieren nicht mit festgelegten Verhaltensweisen auf Klimaänderungen", betont er.

An sich hat sich der Einzelne an seine Bedingungen angepasst: Bauern verlassen sich darauf, dass ab Mitte Mai in Mitteleuropa keine Nachtfröste mehr auftreten, die Nutzpflanzen gefährden, und dass die Flüsse auch während trockener Perioden genug Wasser liefern, um die Felder zu bewässern und das Vieh zu tränken. Ändert sich aber das Klima, stresst das nicht nur den Einzelnen, sondern auch die Gesellschaft. "Dies kann entweder die Gewaltbereitschaft steigern, oder eine bessere Zusammenarbeit fördern, um die Probleme zu lösen", erklärt Scheffran.

Um die Hälfte mehr Unruhen

Hsiang und seine Kollegen versuchen, die Zunahme von Klimwandel-bedingter Gewalt in Zahlen zu fassen. Treibt der Klimawandel die Temperaturen um zwei Grad Celsius in die Höhe, könnte in vielen Regionen die Zahl der Kriege, Bürgerkriege und zivilen Unruhen um mehr als 50 Prozent steigen, vermutet einer der Autoren, Marshall Burke von der University of California in Berkeley. Auf die Gewalt gegen Einzelne würde sich der Klimawandel mit plus acht bis 16 Prozent hingegen etwas moderater auswirken.

Jedoch ist das Klima weder der einzige noch der wichtigste Faktor, der Aggression auslöst. Hsiang vergleicht die Situation mit Verkehrsunfällen, die bei Regen häufiger passieren: "Schuld aber sind meist Fehler des Fahrers, Regenwetter macht dann einen Unfall wahrscheinlicher", erklärt er. Scheffran sieht es ähnlich: "Bei Kriegen und Bürgerkriegen kommen meist mehrere Dinge zusammen, der Einfluss des Klimas ist nur einer unter vielen."

Ein weiteres Problem sehen die US-Forscher in ihrer eigenen Studie: "Wenn in Zukunft Gesellschaften genauso reagieren wie in der Vergangenheit, könnte der von Menschen ausgelöste Klimawandel gewalttätige Konflikte verstärken", betonen sie. Allerdings ist nicht bekannt, wie die Menschen künftig mit solchen Problemen umgehen werden. Laut Scheffran zeige sich in einer Studie aus 2012, dass der Einfluss des Klimas auf Krieg in länger zurückliegenden Epochen stärker sei als in der jüngeren Vergangenheit. "Damals hingen die Gesellschaften stärker von der Landwirtschaft ab, die vom Klima besonders stark beeinflusst ist", erklärt er. Jedoch schwankte die Durchschnittstemperatur in Epochen wie der Kleinen Eiszeit und dem mittelalterlichen Klimaoptimum um weniger als ein Grad. Der derzeitige Klimawandel wird mit hoher Wahrscheinlichkeit viel stärkere Temperaturänderungen bringen.