In vielen Bereichen gestalten katholische Christen unser Land und seine Gesellschaft positiv mit.
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Ist Österreich ein säkularer Staat? Ja, und das ist gut so. Niemand soll zu einem Glauben gezwungen werden. Die meisten Menschen in Österreich sind Mitglied einer gesetzlich anerkannten Kirche oder Religionsgesellschaft. Die größte Gruppe davon mit 5,05 Millionen - das entspricht etwa 57 Prozent der Bevölkerung - sind die katholischen Christen. Wenn man das öffentliche Leben Österreichs wahrzunehmen versucht, wird man allerdings kaum glauben, dass mehr als die Hälfte der Staatsbürger Katholiken sind. Die Medienpräsenz der katholischen Kirche, die Äußerungen ihrer Repräsentanten, die alltagsbestimmende Kraft dieser Menschen könnten also durchaus wahrnehmbarer sein.
Doch da lohnt der zweite Blick. In vielen Bereichen gestalten katholische Christen unser Land und seine Gesellschaft mit. Dem christlichen Glauben entsprechend, ist unser Engagement in organisierter Form im sozialen Bereich, im Schulwesen und im Gesundheitsbereich besonders zu bemerken. Es gibt also viele Bereiche, in denen Staat und Kirche Berührungspunkte aufweisen. Diese Beziehungen zwischen Staat und Kirche werden in Österreich durch ein Konkordat geregelt. Immer wieder gibt es auch Mitbürger, die allerlei Privilegien wittern, die die Kirche hätte, und wie fast immer ist das Unwissen das solide Fundament für Fehleinschätzungen.
Das Schulfach Religion ist kein Intoleranzindoktrinationskurs
Auch hier gilt: Um einzelne Pinselstriche richtig zu deuten, ist oft der Blick auf das ganze Gemälde hilfreich. Als ein Spitzenerlebnis in diesem Zusammenhang, wird mir die Begegnung mit einer österreichischen Nationalratsabgeordneten in Erinnerung bleiben, die mir erklären wollte, dass die katholische Kirche in Österreich Staatsreligion sei. Manche meinen, Österreich sei so katholisch, dass man eben diesen Eindruck gewinnen könnte. Ich lebe jetzt seit 1976 in diesem Land - und mich hat noch nie ein derartiges Gefühl beschlichen.
Der Einfluss der Kirche reicht heute in der Praxis weder durch die Religionslehrer lückenlos ins Klassenzimmer noch durch den Pfarrer ins Privatleben der Menschen und schon gar nicht durch die Politiker ins Parlament. Man bedenke, dass man sich vom Pflichtgegenstand Religion abmelden kann, so man in Unkenntnis des Lehrplanes der Meinung verfallen wäre, es handle sich um einen gefährlichen Intoleranzindoktrinationskurs.
Ich erlebe mich in meiner Schulgemeinschaft nicht als von Schülern, Eltern, Lehrern und Direktion gefürchtetes Machtausübungsinstrument kirchlicher Obrigkeit. Die Möglichkeiten des Pfarrers gestalten sich angesichts des mageren Gottesdienstbesuches auch eher wie eine Fastenspeise, und die Rücksichtnahme auf die Lehre der Kirche im Hinblick auf die Gestaltung unserer Gesellschaft konnte man pars pro toto rund um das Zustandekommen des Medizinfortpflanzungsgesetzes als nicht existent erleben. Sitzt man am Stammtisch in Steinwurfweite eines Klosters und hört den Stiftsangestellten zu, vernimmt man keine Klagen über Gewissensfreiheit, lästiges Abgeben des Beichtzettels beim Dienstgeber oder andere inquisitorische Maßnahmen zur Feststellung der Religionsausübung. Freilich wird man als kirchlicher Angestellter kein Freudenhaus im Nebenerwerb betreiben, aber wer will das schon, wenn es die Frohe Botschaft im Gotteshaus gibt?
Was bleibt, ist also das Protokoll mit seinen althergebrachten und vielen liebgewordenen Traditionen: Der Apostolische Nuntius führt das Diplomatische Corps an und fährt mit dem Kennzeichen "WD 1", so müssen keine weltlichen Mächte in Streit geraten. Gelegentlich sind Vertreter der Kirchen bei staatlichen Anlässen als Ehrengäste geladen. Nun, sie repräsentieren im religiösen Sinn ja auch das Volk, warum also nicht? "So gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist", schreibt der Evangelist Matthäus. In Österreich gelingt uns das auf Basis des Konkordates seit mehr als 85 Jahren sehr gut.