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Das Kopftuch ist nicht Privatsache

Von Niko Alm

Gastkommentare

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In Österreich folgt das Verhältnis von Staat und Religion dem sogenannten kooperativen Modell. Es entspricht damit eher einer gradierten Trennung als einem klaren Prinzip. In den 16 gesetzlich anerkannten Kirchen und Religionsgesellschaften sieht die Republik einen Typus Organisation, der geeignet ist, einen positiven Beitrag für Staat und Gesellschaft zu liefern. Der Staat gesteht den willkürlich anerkannten Religionsgemeinschaften die besondere Form einer Körperschaft öffentlichen Rechts zu. Damit sind rechtliche Privilegien verbunden, die von anderen religiösen und nicht-religiösen Weltanschauungsgemeinschaften und ihren Mitgliedern nicht ausgenützt werden können.

Rechte und Pflichten der Religionsgemeinschaften

Wie dieser Zustand mit Religionsfreiheit oder Verfassung vereinbar ist, ist ein anderes Thema. Dass innerhalb der 16 anerkannten Religionen die Privilegien auch noch abgestuft sind, trägt zur Komplexität der Verhältnisse bei. Religion ist in Österreich nicht Privatsache, solange der Staat privilegierte Partner kiest.

Dieses kooperative Modell ist einerseits kritikwürdig, aber es eröffnet andererseits auch den Raum, Religionsgesellschaften noch stärker zu einem Verhalten zu verpflichten, das basale demokratische Standards respektiert. Dazu zählt auch, nicht nach Geschlecht oder sexueller Orientierung zu diskriminieren, wie es von vielen Religionen, jedenfalls aber im Islam und Katholizismus, praktiziert wird. Dazu zählt auch der Respekt vor körperlicher Integrität, der durch sowohl männliche als auch weibliche Genitalverstümmelung ("Beschneidung") konterkariert wird.

Dass Frauen zum Tragen eines Kopftuchs genötigt werden, kann in diesem Zusammenhang auch nicht als Tradition, die nichts mit Religion zu tun hat, verschleiert werden. Ob die Verhüllung nun im Koran steht oder nicht, ist insofern unerheblich, als das Kopftuch (Niqab, Burka, Hijab usw. sind mitgemeint) zweifelsfrei Teil islamischer Kultur ist. In einem Zeitalter, in dem religiöse und kulturell-religiöse Tradition kaum unterschieden werden können, ist es von außerhalb der Religion, also von Seite des Staats betrachtet, irrelevant, ob es sich um religiöse Lehr- und Glaubensinhalte oder traditionell-religiöse Kultur handelt. Genau diese Entscheidungsfreiheit wird mit dem Genuss der Sonderrechte im kooperativen Modell von Staat und Religion aufgegeben.

Kopftuch, Kreuz und Morgengebet

In dem Sinn ist es nicht nur denkbar, sondern auch notwendig, religiöse Erziehung und Praktiken in Kindergärten und Schulen zu evaluieren. Das betrifft das Morgengebet und die Schulmesse genauso wie das religiös-kulturell motivierte Tragen von Kopftuch, Kippot und religiösen Symbolen oder die Nichtteilnahme am Schwimmunterricht. Verbote sind hier natürlich immer das letzte Mittel und jedenfalls auch auf das Alter vor Erreichen der Religionsmündigkeit (14 Jahre) eingeschränkt.

Wer sich jetzt still empört, dass das alles durch die Religionsfreiheit der Eltern (nicht der Kinder wohlgemerkt) gedeckt sei, möge sich noch einmal daran erinnern, dass Religion in Österreich eben nicht Privatsache ist, sondern im Gegenzug für ihre Privilegien auch kontrolliert werden darf. Natürlich gibt es mit Laizität, einem indifferenten Zugang zu Religion und Weltanschauung, auch eine Alternative. Das setzt aber breiten - derzeit weit und breit nicht sichtbaren - politischen Willen des Gesetzgebers voraus und würde dazu führen, dass manche Symbole und Praktiken aus Schulen und Kindergärten verschwinden müssten.

Diese Praktiken werden dann aber nicht beendet, weil sie religiös sind - das entspräche einer Abwehrhaltung gegen Religion -, sondern weil sie allgemeingültigen Regeln zuwiderlaufen und für Religion keine Ausnahmen mehr gemacht werden.

Ungeachtet der Motive des Vizekanzlers sollten die Rahmenbedingungen eines Kopftuchverbots in Kindergärten und Volksschulen in die Debatte mit aufgenommen werden. Die Ausgestaltung des Verhältnisses von Staat und Religion ist dabei ein relevanter Faktor.