Haben zwölf Jahre Schwarz-Grün Oberösterreich verändert? Der Versuch einer Bilanz.
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Wien/Linz. Am Anfang stand die Ungewissheit. Als sich ÖVP und Grüne im Oktober 2003 auf ein Arbeitsübereinkommen einigten, galt das als Experiment. Es war die erste Beteiligung der Grünen an einer Landesregierung in Österreich. Die neue Zusammenarbeit fiel in eine innenpolitisch bewegte Zeit. Im Februar 2003 waren auf Bundesebene die Verhandlungen zwischen ÖVP und Grünen gescheitert, wenig später war die Fortsetzung von Schwarz-
Blau in der Bundesregierung besiegelt. Oberösterreichs Landeshauptmann Josef Pühringer (ÖVP) scherte mit seinem schwarz-grünen Experiment gewissermaßen aus der Linie der Bundespartei aus.
Weitgehend friktionslose Zusammenarbeit
"Wir sehen eine große Chance, grüne Gestaltungselemente zu verwirklichen", sagte Oberösterreichs Grünen-Chef Rudolf Anschober damals, neben Pühringer das Gesicht der Zusammenarbeit. ÖVP-Chef Pühringer sagte kurz nach dem Zustandekommen der Koalition: "Risikofrei ist auf dieser Welt überhaupt nichts und jede Variante hat auch ein gewisses Risiko in sich." Dass die Zusammenarbeit die gesamten sechs Jahre bis zur nächsten Wahl halten werde, davon war Pühringer aber schon damals überzeugt.
Er behielt recht, die Zusammenarbeit hielt bis heute knappe zwölf Jahre und das weitgehend friktionsfrei. In der Rückschau war das Risiko für die oberösterreichische ÖVP begrenzt. Schwieriger zu beantworten ist die Frage, ob die Grünen die Chance auf Umsetzung "grüner Gestaltungselemente" nutzten. Das kommt nicht zuletzt auf den Standpunkt an. Die "Wiener Zeitung" hat einige Einschätzungen gesammelt:
Die Grünen selbst sehen die Energiewende als sichtbares Zeichen der Grünen Regierungsbeteiligung. Die Voestalpine etwa habe sich von der "Dreckschleuder" zum saubersten Stahlwerk der Welt gemausert. "Es geht, man kann Leuchttürme schaffen", sagt Anschober.
In diesem Bereich sieht auch Friedrich Schneider, Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Linz, die größten Errungenschaften der schwarz-grünen Zusammenarbeit. "Im Bereich erneuerbare Energien, Abfallwirtschaft, Recycling ist es gelungen, ein weiteres Standbein der Industrie aufzubauen. Oberösterreichische Firmen sind da führend. Die oberösterreichischen Grünen beweisen, dass grüne Gruppierungen, die marktwirtschaftlich denken, erfolgreich sein können", sagt Schneider.
Streit über 50.000 neue"grüne" Jobs
Bei der Energieproduktion schlägt sich das nicht zu Buche. Zwar nahm der Anteil der erneuerbaren Energien in Oberösterreich von 2005 bis 2013 um sechs Prozentpunkte zu, lag das Industriebundesland 2005 aber noch über dem Österreich-Schnitt, rutschte man bis 2013 darunter. Die Energiewende macht sich aber atmosphärisch bemerkbar.
Der Architekt und Kommunalentwickler Roland Gruber ist mit dem partizipativen Planungsprojekt "Nonconform Ideenwerkstatt" viel in Oberösterreich unterwegs und sagt: "Der Themenbereich Energie- und Ressourceneffizienz ist auch in den Gemeinden sehr stark präsent, in anderen Bundesländern ist das nicht so stark ausgeprägt."
Schneider argumentiert, dass der Sinneswandel zu einem Großteil auch am großen Partner der Zusammenarbeit liegt. "Ohne die ÖVP wäre es nicht gegangen. Die ÖVP hat 2003 eine mutige Richtungsentscheidung getroffen, die nicht unumstritten war", sagt der Wissenschafter. Im Wahlkampf heften sich die Grünen auch für 2015 prognostizierte neue knapp 50.000 grüne Jobs auf die Fahnen und berufen sich auf eine Studie der Universität Linz.
Schneider: "Das ist ein heikles, schwieriges Thema. Die erste Frage ist schon, was genau ein grüner Job ist. Gehört ein öffentlicher Busfahrer in einem Bus mit Erdgas auch schon dazu? Da gibt es einen ziemlichen Streit." Die Industriellenvereinigung (IV) widerspricht Anschobers Job-Prognose mit einer Studie der Wirtschaftsberater KPMG massiv. "Von einem ausgewogenen und vertrauensvollen Miteinander von Umwelt und Wirtschaft kann man nicht gerade sprechen", sagt IV-Oberösterreich-Chef Axel Greiner.
Grüne im "neoliberalenSystem gefangen"
Ebenfalls Kritik an den Grünen, allerdings von einer anderen Seite, kommt von Filmemacher, Schriftsteller und gebürtigen Oberösterreicher Kurt Palm: "Wenn man sich ansieht, dass knapp 99 Prozent der Regierungsbeschlüsse in Oberösterreich einstimmig fallen und alle Landtagsparteien auch in der Regierung sitzen, dann macht das Arbeitsübereinkommen mit den Grünen keinen großen Unterschied. "Ich habe ab und zu vergessen, dass die Grünen in Oberösterreich überhaupt in der Regierung sind", sagt Palm, der in Wien und Oberösterreich lebt.
Das Werben der Grünen für eine Fortsetzung von Schwarz-Grün bezeichnet Palm als "unglaublich peinliches Anbiedern" und wirft den Grünen Beliebigkeit vor: "Oberösterreich ist ein Beispiel dafür, dass ich mich frage, wofür braucht es diese Partei überhaupt noch?" Die Grünen seien wie die anderen Parteien auch im neoliberalen System gefangen, sagt Palm: "Es geht überhaupt nicht um Grundsätzliches, sondern nur um Kosmetik. Man erfährt mehr über den Gesundheitszustand von Anschober als über politische Projekte. Das ist aber kein Vorwurf an Anschober, sondern eine Frage des Systems."
Wirtschaftspolitisch stellt Ökonom Schneider den Koalitionspartnern ein gutes Zeugnis aus. "Oberösterreich ist relativ gut durch die Wirtschaftskrise gekommen. Die Rezession wurde abgefedert, angesichts der beschränkten Landeskompetenzen ist einiges geschehen", sagt Schneider. Die Wirtschaftsleistung pro Kopf gemessen am Bruttoinlandsprodukt (BIP) ist von 2002 bis 2013 mit 42,6 Prozent nominell wesentlich stärker gestiegen als im Österreich-Schnitt mit 37,4 Prozent. Auch bei der Arbeitslosigkeit kann Schwarz-Grün für Oberösterreich bessere Zahlen als der Rest Österreichs vorweisen. Von 2003 bis 2014 stieg die Arbeitslosenrate von 3,3 auf 4,1 Prozent, im Österreich-Schnitt stieg sie von 4,3 auf 5,6 Prozent.
Einer der wenigen Bereiche, die Österreich stark prägen und gänzlich in der Kompetenz von Ländern und Gemeinden liegen, ist die Raumplanung. Da stellt der Architekt und Raumplaner Günter Lassy aus Leonding bei Linz der schwarz-grünen Koalition ein zwiespältiges Zeugnis aus. "Die Raumordnung war in den letzten Jahren stark von der Regulierung von Naturgefahren sowie von Fragen des Umweltschutzes geprägt - ausgehend vom Hochwasser 2002", sagt er. Dieses Faktum und Änderungen in der Bauordnung hätten dazu geführt, dass Widmungsverfahren komplizierter wurden und länger dauern, erklärt der Raumplaner.
Gemeindekooperationen funktionieren
"Die Raumordnung hat sich mehr zu einem verwaltungstechnischen Instrument entwickelt und weg von einer gestalterischen Zukunftsplanung", sagt Lassy. Dafür lobt er die Entwicklung von gemeindeübergreifenden Betriebsansiedlungen, bei denen sich Gemeinden die Kommunalsteuer teilen, sowie generell den Bereich der Gemeindekooperationen.
Wie würde Oberösterreich also aussehen, wenn sich Josef Pühringer 2003 anders entschieden hätte und nicht zwölf Jahre Schwarz-Grün hinter dem Land liegen würden? Kurt Palm gibt eine eindeutige Antwort: "Ich bin überzeugt, dass es wenig Unterschied machen würde, wenn es Schwarz-Grün nicht gegeben hätte."